Auf dem Weg zurück
Die Jobaussichten nach einer Freiheitsstrafe sind gering. Der Verein Neustart unterstützt ehemalige Häftlinge dabei, im Arbeitsleben wieder Fuß zu fassen.
Sascha S. bewirbt sich als Lagerarbeiter. Er erfüllt alle Voraussetzungen und kann auch den dafür nötigen Stapler- und Kranführerschein vorweisen. Das Bewerbungsgespräch verläuft gut, bis der Arbeitgeber fragt, wie es denn mit Vorstrafen aussehe. „Und dann ist es gelaufen“, sagt Sascha S. „Dann heißt es: ,Wir melden uns.‘“Der 42-Jährige wurde aufgrund mehrerer Suchtmitteldelikte verurteilt, das letzte Mal im Jahr 2013. Er verbrachte 13 Monate in Haft. Seit seiner bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe versucht er unnachgiebig, einen Job zu bekommen. Unterstützung bekommt er dabei vom Verein Neustart. Sascha S. ist einer von 16 ehemaligen Häftlingen, die momentan das Arbeitstraining des Vereins Neustart in Linz absolvieren. In der „Neustart Werkstatt“wird er schrittweise darauf vorbereitet, einem geregelten Arbeitsalltag nachzugehen und Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit und Genauigkeit wieder zu erlernen.
Die Teilnehmer des Trainings haben die Möglichkeit, ein Einkommen zu beziehen und ihre handwerklichen Fähigkeiten zu erweitern. „Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich“, sagt Sascha S. Wohnungsräumungen, einfache Malerarbeiten, Gartenpflege, der Zusammenbau von Möbeln und Renovierungen sind die Haupttätigkeitsfelder des Arbeitsprogramms.
„Den Großteil unserer Arbeit verrichten wir für private Auftraggeber, wir sind meist zwei Monate im Voraus ausgebucht“, sagt der diplomierte Sozialbetreuer und Leiter der Werkstatt Simon Waldhör. Alle Arbeiten werden unter Anleitung eines fachkundigen Vorarbeiters ausgeführt. „Die Zufriedenheit unserer Kunden ist sehr hoch. Und darauf sind auch die Teilnehmer der Werkstatt stolz. Es bewirkt einiges in ihnen, positives Feedback zu bekommen“, sagt Waldhör.
Die Teilnehmer absolvieren das Arbeitstraining im Rahmen ihrer Bewährungsoder Haftentlassenenhilfe: Bewährungshilfe wird vom Gericht bei einer bedingten Verurteilung oder Entlassung angeordnet. Die Haftentlassenenhilfe kann freiwillig in Anspruch genommen werden; etwa von Personen, die ihre gesamte Freiheitsstrafe absitzen müssen. In der Werkstatt können die ehemaligen Häftlinge insgesamt ein Jahr arbeiten.
„Danach sollte der Absprung in den Arbeitsmarkt leichter möglich sein“, sagt Lukas Schmid, der Leiter von Neustart Oberösterreich. Der Verein Neustart bietet das Arbeitstraining in Linz seit 20 Jahren an, finanziert wird es vom Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz und dem Land Oberösterreich. „Es ist für unsere Klientinnen und Klienten sehr wichtig, das Gefühl zu haben, von der Gesellschaft gebraucht zu werden und einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen“, sagt Schmid. Bisher hätten viele Teilnehmer des Programms den Eintritt ins Erwerbsleben tatsächlich geschafft. Arbeit ist ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Resozialisierung ehemaliger Häftlinge. Gerade in der ersten Zeit nach der Haft ist das Rückfallrisiko überproportional hoch. Durch stabilisierende Angebote, wie dem Arbeitstraining und dem regelmäßigen Kontakt mit Bewährungshelfern, kann laut Schmid das Ziel der Bewährungshilfe – ein deliktfreies Leben – gut verwirklicht werden.
Die positiven Auswirkungen der Bewährungshilfe spiegeln sich auch in der Rückfallquote wider: Jene Menschen, die bedingt entlassen oder verurteilt werden, durchlaufen eine Vielfalt an unterstützenden und kontrollierenden Maßnahmen. Im Rahmen der Bewährungshilfe besteht außerdem eine regelmäßige Berichtspflicht an das Gericht.
Etwa 30 Prozent werden nach einer bedingten Verurteilung oder Entlassung erneut straffällig. Die höchste Rückfallquote in die Kriminalität haben die sogenannten Vollverbüßer – das sind jene Straftäter, die ihre Freiheitsstrafe bis zum Ende absitzen müssen: 63 Prozent der Haftentlassenen mit Vorhafterfahrung werden wiederverurteilt. Wird Bewährungshilfe angeordnet, rückt die Auseinandersetzung mit dem Delikt und dem eigenen Verhalten in den Vordergrund. Dabei wird individuell und intensiv auf die Risikofaktoren und Ressourcen der Täter eingegangen. „Bewährungshilfe ist kein Spaziergang“, sagt Lukas Schmid.
Zuerst gehe es darum, sich einzugestehen, einen Fehler gemacht zu haben, und in Folge Verantwortung dafür zu übernehmen. „Das ist meist ein schmerzhafter und langfristiger Prozess, von dem wir aber wissen, dass er eine positive Wirkung erzielt“, sagt Schmid. Das bloße Wegsperren von Straftätern löst keine Probleme. Deshalb sieht Schmid das aktuelle Vorhaben der Bundesregierung, die Strafrahmen für Gewalt- und Sexualdelikte anzuheben, kritisch. „Es ist durch sehr umfangreiche kriminologische Forschung gesichert, dass höhere Strafrahmen in der Regel keinen präventiven Effekt haben und auch nicht abschreckend wirken“, sagt der Jurist.
Vor allem eine wirksame Arbeit mit den Tätern verhindere Opfer. „Die Haft ist kein Ort, an dem man lernt, gute Entscheidungen zu treffen“, sagt Schmid. Deshalb müsse rationale Strafpolitik nicht auf Vergeltung, sondern auf Prävention aufbauen. Das Arbeitstraining sei ein Teil davon und könne dabei unterstützend und nachhaltig wirken.
Sascha S. profitiert von der Arbeit in der Werkstatt. „Nach der Haft war für mich der Umgang mit anderen Menschen nicht so leicht. Ich habe gelernt, mich in eine Gruppe einzufügen“, sagt er.
Wichtig war für ihn, wieder in einen geregelten Tagesablauf hineinzufinden und einer sinnvollen Betätigung nachzugehen. Auch der Kontakt mit seiner Bewährungshelferin unterstütze ihn sehr im Alltag. Mit dieser trifft er sich regelmäßig, um seine Bewerbungen durchzugehen, Termine zu vereinbaren oder seinen Wohnungsumzug zu organisieren.
Sascha S. wird weiterhin seine Bewerbungsschreiben ausschicken und hofft auf einen Arbeitgeber, der ihn aufgrund seiner Fähigkeiten einstellt. Und auf die Frage, was er sich für seine Zukunft wünscht, sagt er: „Dass mir ein Chef die Chance auf einen Probetag gibt und nicht nur auf meine Vergangenheit blickt. Dann kann ich beweisen, was ich draufhabe.“