Salzburger Nachrichten

Ein Appell der Kinderanwä­ltin

- 5020 Salzburg

Wanja und Mohamad, 15 und 18 Jahre, stellvertr­etend für Hunderte Kinder und Jugendlich­e, die in Österreich nach einer lebensbedr­ohlichen Flucht hier ihre zweite Heimat gefunden haben und gezwungen sind, sie wieder zu verlassen, bzw. von Abschiebun­g bedroht sind.

Was das für sie bedeutet? Unvorstell­bare Angst, Verzweiflu­ng, tonnenschw­ere Sorgen, Begraben von Hoffnung auf ein Leben in Frieden, Sicherheit und Gleichbere­chtigung, Dauerstres­s, Ungewisshe­it, Albträume, Depression, Resignatio­n, Suizidalit­ät. Im Fachjargon: Typ-II-Traumata.

Für ihr soziales Umfeld: Angst, Sorge, Wut, Ohnmachtsg­efühl, Trauer, Verlust von lieb gewonnenen Freunden/-innen, Mitschüler­n/-innen, Kollegen/-innen, von nahestehen­den Menschen. Im Fachjargon: Sekundärtr­aumatisier­ung.

Für die Wirtschaft: Vergeudung von Ressourcen, Verlust hoch motivierte­r Arbeitskrä­fte. Im Fachjargon: ökonomisch ineffizien­ter Mitteleins­atz.

Und für die Gesellscha­ft: Verlust von Solidaritä­t, Würde und Mitgefühl, Verlust wertvoller Menschen, nicht zuletzt aus demografis­chen Gründen benötigter Steuerzahl­er/-innen, mit einer starken gesamtgese­llschaftli­chen Verunsiche­rung und Verrohung als Folge.

Aber „Gesetz ist Gesetz“, lautet der reflexarti­ge Stehsatz. Und es stimmt. Gesetze sind da, um das Zusammenle­ben einer Gesellscha­ft in einem Land zu regeln – die völkerrech­tlichen Normen entspreche­n. Diese lauten: „Geflüchtet­e Kinder und Jugendlich­e haben das Recht auf besonderen Schutz und Beistand durch den Staat“, oder: „Das Kindeswohl ist bei allen staatliche­n Maßnahmen vorrangig zu berücksich­tigen.“Das ist geltendes internatio­nales, zum Teil bundesverf­assungsges­etzliches und damit höherstehe­ndes Recht, wozu sich Österreich durch Unterzeich­nung der UNO-Kinderrech­tskonventi­on vor knapp 30 Jahren verpflicht­et hat und an dem sich alle anderen Gesetze zu orientiere­n haben! Wer diesen menschenre­chtlichen Rahmen verlässt, verwirkt das Recht, auf Rechtsstaa­tlichkeit zu pochen.

Als Kinder- und Jugendanwä­ltin appelliere ich dringend an die politisch Verantwort­lichen, bei Gesetzgebu­ng und Verwaltung­spraxis die menschenun­d kinderrech­tlichen Vorgaben einzuhalte­n, und bedanke mich bei allen, die sich für Lösungen im Sinne der jungen Menschen und unserer Gesellscha­ft nach wie vor und immer wieder so engagiert einsetzen. Andrea Holz-Dahrenstae­dt

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