Von der Torheit des Kreuzes
Warum ist das Leid im Christentum so zentral? Ein SN-Gespräch über die Freiheit, die Gier, christlichen Masochismus und den „heiligen Zorn“.
NNotker Wolf, langjähriger Abtprimas der Benediktiner, spricht bei den Disputationes Salzburg zum Thema „Kraft fürs Leben aus der Passion?“SN: Warum spielt das Leid im Christentum eine so große Rolle? Notker Wolf: Das Leid ist eine Dimension des Lebens, an der wir anrennen, die ausweglos ist, dumpf. Als Christen glauben wir, dass Jesus das Leid überwunden hat. Sein Kreuzestod ist die größte Solidarität Gottes mit leidenden Menschen. SN: Das setzt aber einen starken Glauben an die Auferstehung voraus. Im ersten Korintherbrief schreibt der Apostel Paulus, dass das Kreuz für die Welt eine Torheit sei, dass es mit der Weisheit der Welt nicht zu verstehen ist. Es verlangt den christlichen Glauben, ganz klar. Mir hat ein Buddhist einmal gesagt, dass Christus ihm sehr gut gefallen würde, aber mit einem Gott, der gelitten hat und gekreuzigt wurde, könne er nichts anfangen. SN: Wenn Sie am Bett eines schwerkranken Menschen stehen, können Sie kaum sagen: Schau auf Jesus und alles wird leichter. Das geht nicht ohne Weiteres, das stimmt. Ich sagte einmal einer schwerkranken Frau, als ich nicht mehr weiterwusste: Schauen Sie auf das Kreuz, den Gekreuzigten. Ach was, hat die Frau gesagt, der hat ja gewusst, dass in drei Tagen alles vorbei ist. aber SN: Ein oft sehr nicht schwer mehr die leidender Hoffnung, Mensch dass hat es in diesem Leben wieder besser wird. Zumindest nicht in dieser Welt, ja. Aber für mich ist die Ewigkeit keine ausgestreckte Zeit, sondern die Begegnung mit dem Auferstandenen. Das ist unsere große Hoffnung. SN: Vertröstet das Christentum den leidenden Menschen also auf die Ewigkeit? Nein, weil es dem Leiden jetzt schon einen Sinn gibt, in dem Maße, in dem ein gläubiger Mensch fähig ist, sein Leiden in das Leiden von Jesus Christus hineinzugeben, es in der Einheit mit dem leidenden Christus zu sehen. Das verlangt natürlich, das ist ganz klar, den Glauben an Jesus Christus. SN: Dass das Kreuz eine Torheit sei, ist schwer aus der Welt zu schaffen. Es bleibt ein Paradox, dass Jesus zu Nikodemus sagt: Gott hat seinen Sohn hingegeben für das Leben der Welt. Das heißt, Gott hat alles getan, um dem Menschen wieder eine Zukunft zu geben. SN: Viele bedrängt die Frage, warum Gott eine Welt mit so viel Leid zulassen kann. Gott hat den „Fehler“begangen, dass er dem Menschen die Freiheit gegeben hat. Durch Missbrauch dieser Freiheit wird das meiste Leid erzeugt, von Krieg über Terror bis zur Folterung. SN: Der allwissende Gott musste aber wissen, was da herauskommt. Dann hätte er dem Menschen das höchste Gut, die Freiheit, vorenthalten müssen. Aber es heißt, Gott habe den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen. Daher hat der Mensch mit der Freiheit auch die Verantwortung. SN: Wenn Tausende an den Folgen von Naturkatastrophen sterben, wer ist dann verantwortlich? Zum Teil der Mensch wegen der Klimaveränderung. Wir haben alles perfekt machen wollen ohne Gott und ohne Rücksicht auf die Gesetze der Natur. Daher müssen wir die Folgen tragen. Aber es gibt – da haben Sie recht – auch viel Leid durch Naturkatastrophen, für die niemand verantwortlich ist. Das bleibt ein Fragezeichen, das können wir nicht auflösen. Ich kann nur Paulus zitieren, der schreibt, dass die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Gott hat auf diese Frage keine intellektuelle Antwort gegeben, sondern eine existenzielle, indem er selbst zum Leidenden wurde und sich mit den Leidenden solidarisch gemacht hat. SN: Es gab und gibt Christen, die meinen, sich zusätzlich Leid auferlegen zu müssen. Das ist christlicher Masochismus. Die Selbstgeißelung ist für mich ein Irrweg. Ich kann mir Opfer auferlegen, um mich zu kräftigen, etwa das klassische Fastenopfer. Aber das ist etwas ganz anderes. SN: Was macht Sie froh am Christentum? Die Freiheit. Die Freiheit von den Abhängigkeiten, die Freiheit von der Sünde. Diese Freiheit ist die Quelle von Lebensfreude. SN: Wäre das vergleichbar mit dem buddhistischen Gedanken des Loslassens? Ja, es darf aber nicht zur Leidenschaftslosigkeit führen. Für mich heißt Kraft aus dem Kreuz, aus der Passion zu schöpfen auch, dass ich mit Leidenschaft und Begeisterung an meine Aufgaben herangehe. Das kann sogar eine gewisse Leidensfähigkeit verlangen. SN: Was ist für Sie der „heilige Zorn“? Wenn Jesus die Händler aus dem Tempel vertrieben hat, das ist heiliger Zorn. Es ist die Aufwallung des Menschen, die dazu führt, wieder Gerechtigkeit und Recht zu schaffen. SN: Wo würde Sie dieser heilige Zorn heute erfassen? Es erfasst mich durchaus ein heiliger Zorn, wenn ich sehe, wie viel Unrecht und Ungerechtigkeit passiert. Es sind vor allem zwei Dinge: Das eine ist die unendliche Gier, gerade auch derjenigen, die ohnehin schon extrem viel haben. Das Zweite ist die Macht der Mächtigen. Macht kann etwas Gutes sein, wenn sie dient. Aber sie kann auch zu einer Gier ausarten, wo ich andere nicht mehr respektiere.
Wie Jesus gesagt hat: Die Mächtigen dieser Welt unterdrücken ihre Leute, bei euch aber soll es nicht so sein. Wer unter euch der Größte sein will, soll euer Sklave sein. Hinweis: Zu den Disputationes siehe auch Seite 5.