Salzburger Nachrichten

Von der Torheit des Kreuzes

Warum ist das Leid im Christentu­m so zentral? Ein SN-Gespräch über die Freiheit, die Gier, christlich­en Masochismu­s und den „heiligen Zorn“.

- JOSEF BRUCKMOSER

NNotker Wolf, langjährig­er Abtprimas der Benediktin­er, spricht bei den Disputatio­nes Salzburg zum Thema „Kraft fürs Leben aus der Passion?“SN: Warum spielt das Leid im Christentu­m eine so große Rolle? Notker Wolf: Das Leid ist eine Dimension des Lebens, an der wir anrennen, die ausweglos ist, dumpf. Als Christen glauben wir, dass Jesus das Leid überwunden hat. Sein Kreuzestod ist die größte Solidaritä­t Gottes mit leidenden Menschen. SN: Das setzt aber einen starken Glauben an die Auferstehu­ng voraus. Im ersten Korintherb­rief schreibt der Apostel Paulus, dass das Kreuz für die Welt eine Torheit sei, dass es mit der Weisheit der Welt nicht zu verstehen ist. Es verlangt den christlich­en Glauben, ganz klar. Mir hat ein Buddhist einmal gesagt, dass Christus ihm sehr gut gefallen würde, aber mit einem Gott, der gelitten hat und gekreuzigt wurde, könne er nichts anfangen. SN: Wenn Sie am Bett eines schwerkran­ken Menschen stehen, können Sie kaum sagen: Schau auf Jesus und alles wird leichter. Das geht nicht ohne Weiteres, das stimmt. Ich sagte einmal einer schwerkran­ken Frau, als ich nicht mehr weiterwuss­te: Schauen Sie auf das Kreuz, den Gekreuzigt­en. Ach was, hat die Frau gesagt, der hat ja gewusst, dass in drei Tagen alles vorbei ist. aber SN: Ein oft sehr nicht schwer mehr die leidender Hoffnung, Mensch dass hat es in diesem Leben wieder besser wird. Zumindest nicht in dieser Welt, ja. Aber für mich ist die Ewigkeit keine ausgestrec­kte Zeit, sondern die Begegnung mit dem Auferstand­enen. Das ist unsere große Hoffnung. SN: Vertröstet das Christentu­m den leidenden Menschen also auf die Ewigkeit? Nein, weil es dem Leiden jetzt schon einen Sinn gibt, in dem Maße, in dem ein gläubiger Mensch fähig ist, sein Leiden in das Leiden von Jesus Christus hineinzuge­ben, es in der Einheit mit dem leidenden Christus zu sehen. Das verlangt natürlich, das ist ganz klar, den Glauben an Jesus Christus. SN: Dass das Kreuz eine Torheit sei, ist schwer aus der Welt zu schaffen. Es bleibt ein Paradox, dass Jesus zu Nikodemus sagt: Gott hat seinen Sohn hingegeben für das Leben der Welt. Das heißt, Gott hat alles getan, um dem Menschen wieder eine Zukunft zu geben. SN: Viele bedrängt die Frage, warum Gott eine Welt mit so viel Leid zulassen kann. Gott hat den „Fehler“begangen, dass er dem Menschen die Freiheit gegeben hat. Durch Missbrauch dieser Freiheit wird das meiste Leid erzeugt, von Krieg über Terror bis zur Folterung. SN: Der allwissend­e Gott musste aber wissen, was da herauskomm­t. Dann hätte er dem Menschen das höchste Gut, die Freiheit, vorenthalt­en müssen. Aber es heißt, Gott habe den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen. Daher hat der Mensch mit der Freiheit auch die Verantwort­ung. SN: Wenn Tausende an den Folgen von Naturkatas­trophen sterben, wer ist dann verantwort­lich? Zum Teil der Mensch wegen der Klimaverän­derung. Wir haben alles perfekt machen wollen ohne Gott und ohne Rücksicht auf die Gesetze der Natur. Daher müssen wir die Folgen tragen. Aber es gibt – da haben Sie recht – auch viel Leid durch Naturkatas­trophen, für die niemand verantwort­lich ist. Das bleibt ein Fragezeich­en, das können wir nicht auflösen. Ich kann nur Paulus zitieren, der schreibt, dass die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtsweh­en liegt. Gott hat auf diese Frage keine intellektu­elle Antwort gegeben, sondern eine existenzie­lle, indem er selbst zum Leidenden wurde und sich mit den Leidenden solidarisc­h gemacht hat. SN: Es gab und gibt Christen, die meinen, sich zusätzlich Leid auferlegen zu müssen. Das ist christlich­er Masochismu­s. Die Selbstgeiß­elung ist für mich ein Irrweg. Ich kann mir Opfer auferlegen, um mich zu kräftigen, etwa das klassische Fastenopfe­r. Aber das ist etwas ganz anderes. SN: Was macht Sie froh am Christentu­m? Die Freiheit. Die Freiheit von den Abhängigke­iten, die Freiheit von der Sünde. Diese Freiheit ist die Quelle von Lebensfreu­de. SN: Wäre das vergleichb­ar mit dem buddhistis­chen Gedanken des Loslassens? Ja, es darf aber nicht zur Leidenscha­ftslosigke­it führen. Für mich heißt Kraft aus dem Kreuz, aus der Passion zu schöpfen auch, dass ich mit Leidenscha­ft und Begeisteru­ng an meine Aufgaben herangehe. Das kann sogar eine gewisse Leidensfäh­igkeit verlangen. SN: Was ist für Sie der „heilige Zorn“? Wenn Jesus die Händler aus dem Tempel vertrieben hat, das ist heiliger Zorn. Es ist die Aufwallung des Menschen, die dazu führt, wieder Gerechtigk­eit und Recht zu schaffen. SN: Wo würde Sie dieser heilige Zorn heute erfassen? Es erfasst mich durchaus ein heiliger Zorn, wenn ich sehe, wie viel Unrecht und Ungerechti­gkeit passiert. Es sind vor allem zwei Dinge: Das eine ist die unendliche Gier, gerade auch derjenigen, die ohnehin schon extrem viel haben. Das Zweite ist die Macht der Mächtigen. Macht kann etwas Gutes sein, wenn sie dient. Aber sie kann auch zu einer Gier ausarten, wo ich andere nicht mehr respektier­e.

Wie Jesus gesagt hat: Die Mächtigen dieser Welt unterdrück­en ihre Leute, bei euch aber soll es nicht so sein. Wer unter euch der Größte sein will, soll euer Sklave sein. Hinweis: Zu den Disputatio­nes siehe auch Seite 5.

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