Theater reizt durch Widerspruch
Festspiele und Theater können ungemütlich werden. Sie können sogar den Regierenden politisch ungemütlich werden. Dürfen sie das?
Ein „Jedermann“-Regisseur bekam es in dieser Woche mit der Politik zu tun. Indem er zur Teilnahme an einer Demonstration aufrief, reizte er bayerische CSU-Politiker. Es geht um den „Jedermann“Regisseur der Jahre 2002 bis 2012, Christian Stückl, derweil Direktor des Münchner Volkstheaters. Diesem kündigte der Münchner Vizebürgermeister Josef Schmid (CSU) deswegen „dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen“an, zudem verweigerte er die Unterschrift unter Stückls Verlängerungsvertrag.
Das macht hellhörig. Aufs Erste erscheint es plausibel, dass ein Stadtregent den Störenfried maßregelt, der ihm in den politischen Kaffee spuckt. Die Demonstration am morgigen Sonntag, zu der annähernd 130 Initiativen und Verbände – darunter SPD, Grüne und Linksparteien – aufrufen, richtet sich „gegen die verantwortungslose Politik der Spaltung von Seehofer, Söder, Dobrindt und Co.“. Freilich geht es auch um tagespolitisches Kleingeld, im Oktober wird ja in Bayern gewählt. Weil die CSU offenbar den Absturz befürchtet, versucht sie sich in einem AfD-Abklatsch – samt neuer bayerischer Grenzpolizei, die übrigens seit Mittwoch die Grenze zu Österreich kontrolliert.
Soll sich ein Theater da einmischen? Darf ein Theaterdirektor zu so einer Demonstration aufrufen? Sagen wir es mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Rede bei den Bregenzer Festspielen: Es ist keine Frage, ob ein Theater das soll, darf oder muss, sondern es muss dürfen. Diese Freiheit ist nicht Gunst eines Vizebürgermeisters, nicht einmal einer Regierung, sondern sie ist ebenso Pfeiler der Demokratie wie Gewaltenteilung, Freiheit für Wissenschaft und Presse, Versammlungsfreiheit und Rechte der Opposition. Ob Stückl privat demonstriert oder als Theaterdirektor aufruft, macht keinen Unterschied. Denn für Kunst- wie Demonstrationsfreiheit gilt: Eine Regierung muss das aushalten können.
Dass das mühelos am Programm der soeben begonnenen Salzburger Festspiele zu erläutern ist, macht deutlich, wie klug, relevant und anspruchsvoll diese gestaltet sind. Da werden „Die Perser“von Aischylos aufgeführt. Dieser ältesten Tragödie der Menschheit entspringt das Gründungscharisma des Theaters. Vor deren Uraufführung hatten die Griechen die Perser geschlagen. Aischylos lässt aber nicht die Sieger hochleben, sondern führt ihnen vor, welche Fehler der zuerst siegessichere Xerxes gemacht hat und wie geschmäht er nun dasteht.
So ein Theater richtet sich gegen die Verblendung des Siegers, gegen die Selbstgefälligkeit des von einer Mehrheit gewählten Strahlemanns, gegen die Unmündigkeit von Gefolgsleuten. So ein Theater stellt die herrschende Meinung infrage, indem es Gegenargumente ausspielt. Es entzündet jene Debatten, die im Abwägen von Für und Wider eine bessere Lösung bringen als einsame Entscheidungen oder blanker Machthunger. So ein Theater reizt Herrschende, auf dass sie sich behaupten. Daher ist es für die Demokratie nützlich, ja existenziell, weil Widerspruch Entwicklung forciert.
Apropos Machthunger, wie er heutzutage vor Wahlen gern seine Blüten treibt: Der hat nicht nur Xerxes verblendet. Auch Jedermann schwelgt ab morgen, Sonntag, in seiner dem Geld zu verdankenden Macht. An seiner Not können wir studieren, was an so einem hermetisch gesicherten Wohlstand falsch sein kann. Was die Gier zur Macht an süßer Erotik samt einer über Leichen gehenden Rücksichtslosigkeit bedingt, kann uns in „Poppea“erschrecken. Was Begierde zur ultimativen Macht über einen anderen Menschen vermag, zeigt „Salome“.
In „Penthesilea“treffen sich zwei mächtige Rivalen. Ihre Zweisamkeit scheitert, weil keiner der beiden überwinden kann, was wir heute „nationale Identität“oder „unsere Werte“nennen. Die Amazone kann mit dem Griechen nicht leben – so wie vermutlich am Sonntag ein Münchner Demonstrant kaum mit einem CSU-Mitglied gemütlich ein Bier wird trinken können (außer sie reden dabei übers Wetter).
Der Festspielsommer wird nicht nur grimmig. Eine neue „Zauberflöte“wird ein Märchen erzählen – um zu hören, zu schauen und zu staunen. Wer hören will, wie Mythen in Musik klingen, kann sich an Konzerte mit Beat Furrer halten. Wer’s klassisch will, bekommt Beethoven, Mozart oder Mahler. Es hebt also ein reichhaltiger, schon im Vorhinein funkelnder Festspielsommer an, der mühelos jeden Münchner Vizebürgermeister überflügelt.
Die Tragödie enthält den Gründungsauftrag