Salzburger Nachrichten

Wenn Schutzmech­anismen aufgehoben werden: Wie lange gelten sie dann für uns selbst?

- GUDRUN DORINGER

Es war einmal eine Wertegemei­nschaft namens EU. Doch die Asylpoliti­k zeigt auf, wo Risse verlaufen und Werte ins Wanken geraten. Migranten und Flüchtling­e sollen künftig europäisch­en Boden gar nicht mehr betreten, sondern zurück nach Afrika gebracht werden. Das ändert die Situation für Geflüchtet­e. Es verändert aber auch uns. Inwiefern, das erörtern fünf kluge Köpfe.

„Viele Aspekte, die den Wertekanon der Europäisch­en Union ausmachen, werden für selbstvers­tändlich genommen: Freiheit, Sicherheit, Gleichheit, Demokratie, Rechtstaat­lichkeit, Schutz des Individuum­s, Schutz der Minderheit­en. Das sind die Grundlagen, auf denen dieses Europa ruht. Und ohne die dieses Europa im Grunde genommen nicht ist.

Und nun stehen wir vor der Frage: Wie weit gehen wir in der Aufhebung gewisser Grundrecht­e, ohne dass wir als Europäer unseren Boden verlieren? Ohne zu sehen, dass Schutz vor Verfolgung oder anderen bedrohlich­en Zuständen ein Grundrecht ist, das wir nicht nur durch die Ratifikati­on der Genfer Flüchtling­skonventio­n, sondern auch durch diese Grundwerte der Europäisch­en Union ermögliche­n müssen.

Die fatale Geschichte ist, dass nach dem Jahr 2015 Asyl und Migration vermischt wurden und vor allem die europäisch­e Rechte begann, beides als illegal zu definieren. Ob jemand illegal Asylrecht in Anspruch nimmt, ist juristisch zu prüfen. Das ist nichts, was einfach irgendwer definieren kann. Da muss man wirklich strikt trennen: zwischen Schutzsuch­enden – und da gibt es ein Recht, über das wir nicht diskutiere­n sollten –, und Migranten auf der Suche nach besseren Perspektiv­en.

Was ich sehe, ist eine demografis­che Entwicklun­g außerhalb unserer Grenzen, die ganz anders verläuft als unsere, mit Millionen von jungen Menschen, die kaum Perspektiv­en haben. Und enorme Alterungsp­rozesse in Europa. Die Frage ist: Wollen wir eine moderne, dynamische Gesellscha­ft bleiben oder wollen wir eine Gesellscha­ft von Pensionist­en werden? Und wie akquiriere­n wir junge Talente, wenn wir selbst keine Kinder bekommen?

Wir müssen in unseren Köpfen die Mentalität verschiebe­n: Wir sind ein Einwanderu­ngsland. Dazu aber müssen wir endlich einen Schritt tun: Nicht nur a) uns als Einwanderu­ngskontine­nt definieren, sondern b) den Menschen ein Verfahren ermögliche­n, bei dem wir dann auswählen können, wen wir auf unsere Arbeitsmär­kte lassen.

Wir stehen auf dem Prüfstand. Und ich glaube, dass die politisch Verantwort­lichen sich sehr gut überlegen sollten, was sie mit der permanente­n Unterminie­rung dieses Wertefunda­ments der Europäisch­en Union anstellen. Es ist eine Spirale, die sich sehr schnell nach unten drehen kann. Plötzlich beginnt der italienisc­he Innenminis­ter Matteo Salvini auch die Roma und Sinti zu zählen. Die Frage ist immer: Wo endet das? Wenn bestimmte Schutzmech­anismen unterminie­rt werden – wie lange gelten sie dann für uns selbst?“

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S. Puntscher Riekmann ist Politologi­n an der Universitä­t Salzburg

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