Wenn Schutzmechanismen aufgehoben werden: Wie lange gelten sie dann für uns selbst?
Es war einmal eine Wertegemeinschaft namens EU. Doch die Asylpolitik zeigt auf, wo Risse verlaufen und Werte ins Wanken geraten. Migranten und Flüchtlinge sollen künftig europäischen Boden gar nicht mehr betreten, sondern zurück nach Afrika gebracht werden. Das ändert die Situation für Geflüchtete. Es verändert aber auch uns. Inwiefern, das erörtern fünf kluge Köpfe.
„Viele Aspekte, die den Wertekanon der Europäischen Union ausmachen, werden für selbstverständlich genommen: Freiheit, Sicherheit, Gleichheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Schutz des Individuums, Schutz der Minderheiten. Das sind die Grundlagen, auf denen dieses Europa ruht. Und ohne die dieses Europa im Grunde genommen nicht ist.
Und nun stehen wir vor der Frage: Wie weit gehen wir in der Aufhebung gewisser Grundrechte, ohne dass wir als Europäer unseren Boden verlieren? Ohne zu sehen, dass Schutz vor Verfolgung oder anderen bedrohlichen Zuständen ein Grundrecht ist, das wir nicht nur durch die Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch durch diese Grundwerte der Europäischen Union ermöglichen müssen.
Die fatale Geschichte ist, dass nach dem Jahr 2015 Asyl und Migration vermischt wurden und vor allem die europäische Rechte begann, beides als illegal zu definieren. Ob jemand illegal Asylrecht in Anspruch nimmt, ist juristisch zu prüfen. Das ist nichts, was einfach irgendwer definieren kann. Da muss man wirklich strikt trennen: zwischen Schutzsuchenden – und da gibt es ein Recht, über das wir nicht diskutieren sollten –, und Migranten auf der Suche nach besseren Perspektiven.
Was ich sehe, ist eine demografische Entwicklung außerhalb unserer Grenzen, die ganz anders verläuft als unsere, mit Millionen von jungen Menschen, die kaum Perspektiven haben. Und enorme Alterungsprozesse in Europa. Die Frage ist: Wollen wir eine moderne, dynamische Gesellschaft bleiben oder wollen wir eine Gesellschaft von Pensionisten werden? Und wie akquirieren wir junge Talente, wenn wir selbst keine Kinder bekommen?
Wir müssen in unseren Köpfen die Mentalität verschieben: Wir sind ein Einwanderungsland. Dazu aber müssen wir endlich einen Schritt tun: Nicht nur a) uns als Einwanderungskontinent definieren, sondern b) den Menschen ein Verfahren ermöglichen, bei dem wir dann auswählen können, wen wir auf unsere Arbeitsmärkte lassen.
Wir stehen auf dem Prüfstand. Und ich glaube, dass die politisch Verantwortlichen sich sehr gut überlegen sollten, was sie mit der permanenten Unterminierung dieses Wertefundaments der Europäischen Union anstellen. Es ist eine Spirale, die sich sehr schnell nach unten drehen kann. Plötzlich beginnt der italienische Innenminister Matteo Salvini auch die Roma und Sinti zu zählen. Die Frage ist immer: Wo endet das? Wenn bestimmte Schutzmechanismen unterminiert werden – wie lange gelten sie dann für uns selbst?“