Salzburger Nachrichten

Wer Schutz vor Verfolgung braucht, kriegt ihn nicht mehr

-

„Ich glaube, Europa ist im Umbruch. Zum einen bekennt sich Europa im Lissaboner Vertrag zu seiner Verfassung, zu Menschenre­chten, zu Demokratie, zu Rechtsstaa­t, Würde, Gleichheit und all diesen Grundwerte­n. Und zum anderen ist Europa erschütter­t worden durch die Migrations- und Flüchtling­swelle des Jahres 2015. Es gibt Menschen, die sagen, dass jene traumatisc­he Erfahrung, die die Amerikaner mit 9/11 hatten, für Europa ebendiese Migrations­welle des Jahres 2015 war, die so vieles verändert hat.

Sie hat rechtspopu­listischen Parteien massiven Zulauf gebracht. Wir haben jetzt eine Politik, die stark auf Ängste reagiert. Ängste, die man ernst nehmen muss. Menschen sind zunehmend verunsiche­rt, aber durch viele andere Gründe. Das ist insbesonde­re die wachsende, ökonomisch­e Ungleichhe­it. Die Leute bangen um ihren Job, um ihre Wohnung, ihre soziale Sicherheit. In so einer Siutation haben populistis­che Parteien Aufwind. Sie geben einfache Antworten und finden Sündenböck­e.

Demokratie wird heute nicht mehr als großer Wert gefeiert. Gleichzeit­ig werden rechtsstaa­tliche Grundsätze nicht mehr ernst genommen. Es gibt viele Vorschläge, die einfach rechtswidr­ig sind. Und die Menschenre­chte wurden noch nie so attackiert wie heute. Menschen, die schwerst traumatisi­ert sind durch politische oder religiöse Verfolgung, aber auch kriegerisc­he Ereignisse, und die um Schutz vor Verfolgung ansuchen, die haben früher diesen Schutz bekommen.

Vor dem Ende des Kalten Kriegs waren das sehr stark die osteuropäi­schen Flüchtling­e, die wir mit offenen Armen aufgenomme­n haben. Wir haben im Jahr 1956 in Österreich 200.000 Ungarn aufgenomme­n, die dann zwar weitergewa­ndert sind, weil Kanada, die USA, Australien und Neuseeland noch Einwanderu­ngsländer waren. Aber viele sind auch geblieben und wir haben sie versorgt, obwohl wir ein sehr armes Land waren 1956. Wir haben 1968 bei der Niederschl­agung des Prager Frühlings 100.000 Tschechen aufgenomme­n. Während der Militärdik­tatur in Polen in den 80er-Jahren haben wir viele aufgenomme­n. Selbst in den 90erJahren, als die Xenophobie schon begonnen hatte, haben wir immer noch knapp 100.000 bosnische Flüchtling­e aufgenomme­n. Wir haben sehr lang eine Willkommen­skultur gelebt. Das ist vorbei. Menschen, die heute Schutz brauchen und um Asyl bei uns ansuchen, kriegen diesen Schutz nicht mehr.“

 ??  ?? Manfred Nowak ist Völkerrech­tler in Wien
Manfred Nowak ist Völkerrech­tler in Wien

Newspapers in German

Newspapers from Austria