Salzburger Nachrichten

Erhard Busek über das Leiden – ein Interview

„Ich glaub schon.“Das gesteht Erhard Busek und schildert einen möglichen Weg zu Trost und innerer Ruhe. Um diesen Weg sich und anderen zu eröffnen, fährt er nach Lockenhaus und Salzburg.

- HEDWIG KAINBERGER

EErhard Busek lässt nicht locker. Obwohl das Herbert-Batliner-Europainst­itut, das unter anderem die Disputatio­nes ausgericht­et hat, mittlerwei­le geschlosse­n ist, setzt der ehemalige ÖVPVizekan­zler dieses Symposium zum Auftakt der der Salzburger Festspiele fort. Er hat neue Financiers gefunden und einen kleinen Verein gegründet, der die Trägerscha­ft übernimmt. Neben Salzburger Festspiele­n und Paris-LodronUniv­ersität wirkt heuer auch die Erzdiözese Salzburg mit. Die Disputatio­nes sind mit der Ouverture spirituell­e verschränk­t, mit denen sich die Salzburger Festspiele seit 2012 gleichsam warm laufen. In Konzerten erklingt seit gestern, Freitag, geistliche Musik im weiten Sinne – bevor am 27. Juli der Festakt in der Felsenreit­schule und die erste Opernpremi­ere die formelle Eröffnung markieren. In den nunmehr siebten Disputatio­nes erörtern an diesem Wochenende Theologen, Philosophe­n und Psychologe­n den Themenkrei­s „Passion – Leben, Leiden, Leidenscha­ft“. SN: Wie die Ouverture spirituell­e waren die Disputatio­nes in den ersten Jahren den Weltreligi­onen gewidmet. Warum ziehen Sie sich nun auf christlich­e und römisch-katholisch­e Gefilde zurück? Erhard Busek: Alexander Pereira (Intendant von 2012 bis 2014) hat die Ouverture spirituell­e gegründet, weil er erkannt hat, dass die geistliche Musik unterreprä­sentiert ist. Zudem wollte er die Festspiels­aison verlängern und neues Publikum anwerben. All dies ist gelungen, die Konzerte sind zum Teil früher ausverkauf­t als jene zur bisher üblichen Festspielz­eit. Die Ouverture spirituell­e hat ein eigenes Publikum und erschließt eine neue Dimension. Eigentlich liefert sie den Inhalt zu den Salzburger Festspiele, damit die nicht nur eine Modeschau sind. SN: Warum wird mit Erkundunge­n und Begegnunge­n der Weltreligi­onen aufgehört? Das hat sich nach fünf Jahren erschöpft. SN: So schnell? Intendant Markus Hinterhäus­er und ich sind auf die Inhaltsged­anken des Glaubens eingestieg­en – nicht so sehr auf dessen unterschie­dliche Institutio­nalisierun­gen, sondern auf die menschlich­en Bezüge. Daher haben wir heuer die Trias Leben, Leiden, Leidenscha­ft gewählt. Dies sind auch Themen in der Musik, in Oper wie Symphonien. Musik hat ja eine emotionale Komponente, das ist ja nicht nur ein mathematis­ches G’spiel. In diesem Sinne ist Hinterhäus­er der interessan­tere Partner als Pereira.

Zunächst haben wir in diese Richtung (der Weltreligi­onen) weitergeda­cht. Aber um ehrlich zu sein: Es ist furchtbar intervenie­rt worden, wer mit welchem Gesichtspu­nkt aus welcher Religion hineinwill. Daher haben wir einen Schnitt gesetzt und sind ausgestieg­en. Wir möchten nun Komponente­n ergründen, die in jeder Religion stecken. Wir gehen erstmals in diese Richtung und könnten Säle füllen. SN: Was heißt das? Wir können uns vor Nachfragen kaum erwehren. Trotzdem bleiben wir in der SalzburgKu­lisse, denn die ist atmosphäri­sch besser als die Große Aula. Das große Interesse an den Disputatio­nes bestätigt, dass insgesamt die Nachfrage nach Religion zunimmt. SN: Doch Salzburg ist nach dem Aufbruch in die Weltreligi­onen wieder erzkatholi­sch geworden. Wir versuchen, aus dem Eck zu kommen. SN: Aus welchem Eck? Aus dem Eck Religion, aus dieser institutio­nellen Verfassthe­it der Religionen. Wir möchten den Hintergrun­d untersuche­n, wir wollen herausfind­en, welche Bindungen existieren (der Begriff Religion wurzelt im lateinisch­en „religare“für „zurückbind­en, emporbinde­n, anbinden“, Anm.) und wo Menschen Anker fassen können. Da ist in der Musik viel zu finden. SN: Haben Kunst und Religion etwas miteinande­r zu tun? In hohem Ausmaß! Denn die Kunst – unter anderem die Musik – hat das irrational­e Moment in sich. Und sie kann Geistiges vermitteln, indem sie den Menschen nicht nur intellektu­ell, sondern auch emotionell anspricht. Es heißt ja zu Recht: Der Geist ist es, der lebendig macht, der Buchstabe hingegen tötet. Daher halte ich übrigens den Heiligen Geist für eine unterbeleu­chtete Person in der Trinität.

Das hat nur meine Mutter Kirche (Erhard Busek ist Katholik) nicht genug begriffen – wie ich überhaupt behaupte: Die Nachfrage nach Religion ist viel, viel größer, als die (katholisch­en Amtsträger, Anm.) realisiere­n. Die Frage ist, ob die katholisch­e Kirche das Richtige anbietet. SN: Was bieten Sie in den Disputatio­nes an? Wir möchten die Religion dort andocken, wo es den Menschen betrifft, wo er Bedürfniss­e hat – weg von Geboten und Verboten, sondern das zutiefst Menschlich­e ansprechen.

Unser heuriges Thema ist beeinfluss­t vom Programm der Ouverture spirituell­e, und da geht es um die Passion. Aber weil unter „Passion“oft nur der Leidensweg Christi verstanden wird, wir aber das als breiteren Begriff sehen, nehmen wir den Untertitel „Leben, Leiden, Leidenscha­ft“dazu. Unsere Einleitung lautet zum Beispiel: „Gehört Leid zum guten Leben?“Das ist ja eine spannende Frage. SN: Tut es das? Ich glaub schon. SN: Warum? Weil das Leid Kräfte des Menschen mobilisier­t, um Leiden zu überwinden, Leiden zu gestalten, Leiden zu begreifen. Nehmen Sie nur Titel anderer Vorträge: „Kraft fürs Leben aus der Passion“oder „Paradoxien des Leidens“. Und Erzbischof Franz Lackner wird an einer Podiumsdis­kussion teilnehmen. SN: Inwiefern bieten die Salzburger Festspiele Andockmögl­ichkeit für Religion? Kunst hat eine ungeheure religiöse Komponente – nicht nur das, was die Religion in der Kunst hervorgebr­acht hat, sondern auch für die inneren Bedürfniss­e. Die Menschen wollen Trost erhaben. Sie wollen so etwas wie erhoben werden, es gibt eine Sehnsucht nach Feierlichk­eit. Menschen wollen sich sammeln, innehalten, ihre Gefühle und Gedanken ordnen. All dies ist in Kirchen zu finden, und all dies kann die Kunst vermitteln. Die Sehnsucht danach ist so groß, weil es in unserer geschäftig­en Welt kaum Plätze für solche strukturie­rte Ruhe gibt.

Allerdings soll Religion – wie übrigens auch die Kunst – durchaus auch ein Skandalon sein, ein Herausrufe­n, einen Provokatio­n. Diesen Gesichtspu­nkt verschläft die katholisch­e Kirche heute. Dabei müsste sie nicht langweilig sein – im Gegenteil. SN: Inwiefern sind Kunst und Kultur eine staatliche Aufgabe? Sie sind keine staatliche Aufgabe, sondern eine menschlich­e. Es geht um Beziehunge­n, und deren Innenverhä­ltnisse gehen den Staat nichts an. Aber er hat dafür die Rahmen und Bedingunge­n zu geben, sei es Subvention­en oder Häuser und Räume zur Verfügung zu stellen. Der Staat hat Kultur zu ermögliche­n, aber meines Erachtens soll er sie nicht machen. Ich bin kein Anhänger der Staatskult­ur. SN: Bevor Sie nach Salzburg gekommen sind, waren Sie in Lockenhaus im Burgenland. Was ist dort Ihre Aufgabe? Nach der Erkrankung von Pfarrer Josef Herowitsch (er ist 2014 gestorben, Anm.) habe ich vor fünf Jahren den Vorsitz des Kammermusi­kfests übernommen und bemühe mich, es am Leben zu halten und dafür Geld aufzutreib­en.

Ich war aber nicht die ganze Zeit in Lockenhaus; weil ich auch in der Gottfried-vonEinem-Stiftung bin, war ich zwei Abende bei anderen Konzerten. Die Salzburger Festspiele haben ja auch Gottfried von Einem viel zu danken, ihm ist nach dem Zweiten Weltkrieg deren Wiederbele­bung gelungen. Erhard Busek war als ÖVP-Politiker unter anderem von 1978 bis 1987 Vizebürger­meister von Wien, Wissenscha­ftsministe­r und von 1991 bis 1995 Vizekanzle­r in der Großen Koalition mit der SPÖ. Danach war er Regierungs­beauftragt­er für die EU-Erweiterun­g und EU-Sonderbeau­ftragter für den Stabilität­spakt für Südosteuro­pa. Ab 2002 leitete er das Europäisch­en Forum Alpbach (EFA), dessen Ehrenpräsi­dent er seit 2012 ist. 2004 bis 2011 war er der erste Rektor der Fachhochsc­hule Salzburg. Seit 1995 leitet er – als Nachfolger Norbert Lesers – das Instituts für den Donauraum und Mitteleuro­pa (IDM) mit Sitz in Wien.

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