Torquay: Besuch bei der Queen of Crime
Torquay. Die Stadt an der englischen Riviera inspiriert zu mörderisch guten Ideen und gefährlich entspannten Ferien – wie einst Agatha Christie.
EEinsame Buchten für geheime Rendezvous. Sandstrände mit bunten Häuschen. Palmen im Garten. Uferpromenaden zum Flanieren und Fünf-Uhr-Tee im Hotel. Ihr ganzes Leben lang schwärmte Agatha Christie von ihrer Kindheit in Torquay an der englischen Südküste. Obwohl inzwischen einige der stilvollen viktorianischen Villen modernen Glasbauten gewichen sind, ist der mondäne Flair des Urlaubsorts noch zu spüren. Bereits im frühen 19. Jahrhundert stiegen Literaten und Künstler im Grand Hotel zur Erholung ab, und durch die Eisenbahn wurden es noch mehr.
Auch die britische Krimiautorin kam immer wieder in ihre Geburtsstadt zurück. Ihr Elternhaus wurde abgerissen, doch ihr Feriendomizil Greenway House kann besichtigt werden. Dorthin fuhr Agatha, wie einst Hercule Poirot im Roman und die Touristen heute, mit dem Dampfzug der Dartmouth Steam Railway. Viele Orte ihrer Heimat baute die Schriftstellerin in ihre Geschichten ein, wenn auch nicht unter deren echtem Namen. So wurden in einer Geschichte aus Kents Cavern die Höhlen von Hampsley. Ihr eigenes Bootshaus machte sie zum fiktiven Mordschauplatz und damit zu einer kleinen Sehenswürdigkeit.
In Christies Ferienhaus scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Es scheint, als hätte sie gerade erst den Raum verlassen – Spielkarten liegen herum, im Sofa ist eine Sitzmulde zu sehen, und frische Blumen aus dem Garten schmücken das Piano. Zur Schreibmaschine setzte sich Christie in ihrem abgelegenen Feriendomizil jedoch nur selten. Sie saß lieber vor dem Haus in der Sonne und zelebrierte das Nichtstun. Die neuen Geschichten ließ sie vorerst nur im Kopf entstehen. Das bekannte Foto von ihr mit der Schreibmaschine im Schlafzimmer war also vermutlich für die Presse inszeniert. Schließlich war sie durch und durch Geschäftsfrau.
Ehrgeiz und Geld motivierten sie als Autorin. Bei langen Spaziergängen dachte sie über ihre Krimis nach. Perfekt geeignet waren dafür der 13 Hektar große Garten und die lange Promenade in Torquay.
Ein eigener Rundweg führt in der Stadt zu vielen Lieblingsplätzen der Schriftstellerin. Am Beacon Cove schwamm sie gern im Meer, ging auf Tanzpartys ins Imperial Hotel, fuhr mit Rollschuhen den Pier entlang, traf sich mit einem Verehrer zum nächtlichen Picknick beim Ansteys Cove und bekam später beim Riesenrad nach einem Konzert im Pavillon einen Heiratsantrag. Überall begegnen einem die Erinnerungen an Christie. Aber ihr Leben war nicht immer unbeschwert.
Während des Ersten Weltkriegs war die Queen of Crime im Krankenhaus tätig. Sie schrieb zwischen Dienst und Fronturlauben ihres Mannes. Dann nahm sie eine Stelle in der Apotheke an und befasste sich intensiv mit der Wirkung von Pflanzen. Ihr botanisches Wissen arbeitete sie in die Krimis ein. Mehr als die Hälfte ihrer Morde wurden mit Gift verübt – von Pflanzen, die in jedem Garten wachsen. Die detaillierten Beschreibungen der Giftpflanzen faszinierten die Gärtnerin Ali Marshall und sie legte in Torre Abbey, einem über 800 Jahre alten Kloster, einen Garten mit allen Gewächsen aus Christies Büchern an.
Dort waren die Stadtväter jedoch wenig begeistert von der Idee und willigten nur mit Auflagen in dieses Vorhaben ein. Es dürfe zwar die Verbindung der Pflanzen mit Christie erzählt werden, nicht jedoch, wie daraus Gift hergestellt oder gar verwendet werde. „Das müssen Sie selbst in den Krimis nachlesen“, sagt Ali und grinst. Über 60 verschiedene Pflanzen mit literarischem Hintergrund trug sie zusammen. Im September schlüpft sie bei Führungen darüber hinaus in ein Kostüm. Denn dann verwandelt sich bei einem Festival zu Ehren der Autorin die ganze Stadt in eine Krimibühne. Und niemand wundert sich, wenn er Miss Marple in mehrfacher Ausführung auf der Straße begegnet oder Hercule Poirot um die Ecke biegt.