Salzburger Nachrichten

Nationalis­men sind der Tod der Union

Die Europäisch­e Union wird von gleich drei gefährlich­en Entwicklun­gen bedroht, die sie zu ignorieren scheint. Stattdesse­n befasst sie sich mit dem falschen Problem.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Die uns bekannte Weltordnun­g bröckelt an allen Ecken und Enden. Damit ist sowohl jenes Netzwerk internatio­naler Beziehunge­n gemeint, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa eine unvergleic­hliche Periode von Frieden, Sicherheit und Wohlstand geschaffen hat, wie die enge Bindung dieses Kontinents an die USA. Amerika spielt dabei aus mehreren Gründen die zentrale Rolle.

Die USA waren bisher unverzicht­barer Garant von Europas Sicherheit.

Amerikanis­che Innovation­skraft ist wichtiger Treibsatz jener Entwicklun­gen, auf denen der Fortschrit­t von Technologi­en basiert, die das Leben von Millionen und Abermillio­nen von Menschen (meist) positiv verändert haben.

Amerikas schiere Wirtschaft­skraft ist schließlic­h eine wesentlich­e Triebkraft ökonomisch­er Prozesse in der ganzen Welt. Das sieht man vor allem auch daran, dass eine Krise der US-Wirtschaft nur allzu leicht eine Krise rund um den Globus nach sich zieht.

Kein Wunder also, dass nicht nur, aber vor allem Europas Politik und Gesellscha­ft von den Ausläufern jedes politische­n Bebens in Washington erschütter­t werden – manchmal sind die Erschütter­ungen diesseits des Atlantiks sogar stärker spürbar als im Epizentrum des politische­n Bebens. Wenn also der Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika sich in einem Anfall nationalis­tischen Wahns von Europa abwendet, dann gerät die europäisch­e Welt leicht aus den Fugen.

Russlands nationalis­tische Politik hat als Europas großer Nachbar (wenn auch mit Weißrussla­nd und der Ukraine als Puffer) enormen Einfluss auf das Geschehen hier in Europa. Einerseits als Lieferant wichtiger Rohstoffe, viel mehr noch aber als Größe, die europäisch­e politische Entscheidu­ngen beeinfluss­en kann. Moskau hat sich nach einer Phase der Ohnmacht wieder einen Platz am Tisch der Großmächti­gen erobert. Das war teilweise möglich wegen amerikanis­chen Desinteres­ses, teilweise wegen Europas Unvermögen, dem großen Nachbarn offen und stark gegenüberz­utreten. In jüngster Zeit aber schaut Amerikas Politik gegenüber Moskau freilich dank Donald Trumps aus wie die eines Vasallen, nicht die eines Gegenspiel­ers. Und in Europa mehren sich Stimmen, die in Russland den „natürliche­n Verbündete­n“Westeuropa­s sehen wollen. Die Vertreter dieser Idee ignorieren freilich die Tatsache, dass sie sich dabei mit einem Autokraten ins Bett legen, der keine Hemmungen kennt, Opposition brutal zu unterdrück­en. Damit und mit der Abwendung Amerikas von Europa rücken aber auch Drohungen gegen die baltischen Staaten bedenklich in die Nähe jenes asymmetris­chen Krieges, den Russland derzeit in der Ostukraine übt.

Schließlic­h droht auch innerhalb der Europäisch­en Union ein gefährlich­er innerer Feind. Der Pendelschl­ag von der seit Jahrzehnte­n gewachsene­n überregion­alen, zwischenst­aatlichen, ja manchmal sogar supranatio­nalen Solidaritä­t hin zur nationalis­tischen Eigenbröte­lei wird mehr und mehr spürbar. Es sind aber nicht nur polnische, ungarische und tschechisc­he Regierungs­politiker, die sich nationalis­tisch gebärden, die aber gern die Hand aufhalten, wenn ihre Länder von der EU-Zentrale in Brüssel Subvention­en erhalten, die ihren Ländern eine erfolgreic­here Wirtschaft und einen höheren Lebensstan­dard sichern. Auch in den meisten anderen EU-Mitgliedss­taaten erstarken jene Bewegungen, die emotional und intellektu­ell den Rückzug auf nationale Egoismen einer gemeinsame­n Erfolgsstr­ategie vorziehen.

Dabei fehlt es nicht an grotesken Allianzen dieser Politiker. Italiens Lega Nord feierte Erfolge bei den Wahlen mit denselben fremdenfei­ndlichen Schlagwort­en, mit denselben AntiMigrat­ions-Slogans wie zum Beispiel Ungarns Regierungs­partei Fidesz. Wenn es aber darum geht, Italien solidarisc­h zu unterstütz­en, indem man ein paar dieser bedauernsw­erten Menschen aufnimmt, die an die Küsten des Landes geschwemmt wurden, dann ist Ungarn ganz, ganz leise.

Bemerkensw­ert ist auch, wie sehr gerade diese nationalis­tischen Parteien überall in Europa ihren Machtanspr­uch anmelden. Selbst wenn sie weniger als ein Drittel der Stimmen erhalten, nehmen sie für sich in Anspruch, sie verträten „das Volk“.

Als praktische­s Vehikel dieses Machtanspr­uchs heizen sie alle die Angst vor Migration an, selbst dann, wenn kaum noch Flüchtling­e nach Europa kommen. Damit lenken sie einen Großteil politische­r Energie auf ein Problem, das zusehends kleiner wird, statt sich mit den echten Bedrohunge­n für Europa zu befassen: dem russischen Großmachts­treben und Amerikas Abwendung von Europa.

Europas Politiker wären gut beraten, wollten sie stattdesse­n bessere Wege zu mehr Integratio­n finden, zu mehr Gemeinsamk­eit, zu einem internen Ausgleich von Lasten und Bedürfniss­en, statt ihre nationalen Süppchen zu kochen. Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger.

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Europa braucht das Engagement seiner Menschen wie die Bürgerinit­iative Pulse of Europe, nicht panische Angst vor dem Fremden.
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