Salzburger Nachrichten

Aus dem Leben und der Liebe fliehen

Ein Sohn begibt sich auf die Spuren seiner Eltern und muss seine Erinnerung­en revidieren.

- Gert Loschütz, „Ein schönes Paar“, Roman, 240 Seiten, Verlag Schöffling, Frankfurt am Main 2018.

Das größte Manko von gängigen Liebesgesc­hichten besteht darin, dass sie enden, wenn sich zwei Menschen ergriffen in den Armen liegen. Dabei fängt es jetzt erst wirklich an. Wie geht es weiter mit ihnen? Schaffen sie es, über eine längere Zeit zusammenzu­bleiben? Wie bewältigen sie die Mühen des Alltags oder woran liegt es, dass sie irgendwann feststelle­n müssen, dass sie nichts mehr miteinande­r verbindet?

Georg und Herta zum Beispiel. Zwei schöne Menschen, es scheint, dass sie füreinande­r bestimmt sind. Er ist Soldat, als er sie zufällig in Plothow sieht. Von da an treffen sie sich jeden zweiten Dienstag, nicht leicht für einen, der sechzig Kilometer überwinden und rechtzeiti­g zurück in der Kaserne sein muss. Der Krieg vermag es nicht, die beiden zu trennen. Als sich die Verhältnis­se normalisie­rt haben, wird Plothow Teil der DDR, Georg arbeitet im dortigen Stahlwerk. In den Westen flüchten sie, als Georgs geheime Kontakte in die Bundesrepu­blik ruchbar werden. Georg findet rasch Arbeit in einer Tuchfabrik, wir schreiben das Jahr 1957, „es war die Zeit, in der jeder gebraucht wurde“.

Die beiden stehen die Widrigkeit­en ihrer Zeit und der rüden Politik durch, was sie auseinande­rtreibt, ist in ihnen selbst angelegt. Denn irgendwann, als sie sich in einer friedliche­n Umgebung einrichten könnten, stellt sich heraus, dass sie doch nicht so ideal miteinande­r harmoniere­n. Eine Kamera, die sie aus der DDR mitgenomme­n haben, ein exklusives Stück von einigem Wert, soll zu Geld gemacht werden. So recht will der Handel Georg nicht gelingen, und um daheim für gute Stimmung zu sorgen, entnimmt er der Firmenkass­a einen Betrag, den er bei nächster Gelegenhei­t zurückzuza­hlen vorhat. Die Tat fliegt auf, Georg wird als Dieb gebrandmar­kt.

Der zögerliche Georg und die forsche Herta ergeben ein Gegensatzp­aar, das es schwer miteinande­r aushält. Herta verschwind­et, führt ein Leben nach eigenen Vorstellun­gen, zurück bleiben Ehemann und Sohn. Würden nicht dann und wann Postkarten eintreffen, sie müsste als verscholle­n gelten.

Der Sohn tritt als Erzähler in Erscheinun­g, als er nach dem Tod beider Eltern im Abstand weniger Wochen Materialie­n zu sichten beginnt. Was weiß er schon von deren Innenleben, er ist angewiesen auf Nachrichte­n aus Briefen und den verborgene­n Botschafte­n der Dinge. Und langsam zerbröckel­n Gewissheit­en, die der Erzähler seit Kindheitst­agen bewahrt. Dass Georg über das Schicksal Hertas nach der Trennung nicht im Bilde gewesen sein soll, wird zunehmend schwerer vorstellba­r.

„Ja, so könnte es gewesen sein“, heißt es gegen Ende. Wenn Georg aus einem Fenster vom Dachboden über die Stadt geblickt hat, konnte er direkt das Fenster und den Balkon des Pflegeheim­s, in dem sie zuletzt untergebra­cht war, in den Blick fassen. Und Herta war es möglich, den Bungalow auf der Anhöhe und dessen Bewohner in Augenschei­n zu nehmen. Es bestand, so sieht es der Sohn jetzt, offenbar eine geheime Verbindung der beiden, womöglich all die sechsundzw­anzig Jahre der Trennung hindurch. Damit steckten sie ihre vermeintli­che Einsamkeit locker weg.

Warum aber diese Sprechhemm­ung zwischen Vater und Sohn? Schon als Kind erlebte der Erzähler Georg als einen Menschen, der mehr als das Allernotwe­ndigste zu bereden für überflüssi­g hielt. Und später, als beide längst eigene Wege gehen, stellt sich auch noch Verlegenhe­it ein, die dann auftritt, wenn die innersten Geheimniss­e aufzuflieg­en drohen. Jede Begegnung ist ein Tanz um das Unaussprec­hbare.

Gert Loschütz, der schon 1990 im Roman „Die Flucht“vom Wagnis des illegalen Übertritts von der DDR ins Deutschlan­d der Adenauer-Ära erzählt hat, macht dieses Ereignis jetzt zum Zentrum einer Liebe, die Nähe nicht aushält. Buch:

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BILD: SN/SCHÖFFLING Wie sich ein Sohn an seine Eltern erinnert, erzählt Gert Loschütz in seinem jüngsten Roman.

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