Salzburger Nachrichten

Schreckens­musik und Feuertod

Galina Ustwolskaj­as „Amen“-Symphonie als Vorspann zu Stummfilm.

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SALZBURG. Dass Galina Ustwolskaj­a eine Komponisti­n der besonderen Art ist, mag sich herumgespr­ochen haben. Nicht zum ersten Mal taucht ihr Name bei den Salzburger Festspiele­n auf, diesmal zur „Ouverture spirituell­e“. Im ersten Konzert der Reihe stand Eigenartig­es auf dem Programm: ihre fünfte Symphonie mit dem bedeutungs­vollen Titel „Amen“und ein Stummfilm mit hinzugefüg­ter mittelalte­rlicher bis frühneuzei­tlicher Musik: Carl T. Dreyers „La Passion de Jeanne d’Arc“von 1928.

Das Besondere an diesem Spätabend in der Kollegienk­irche: Ustwolskaj­as Symphonie nahm darin – zeitlich gesprochen – nur einen kleinen Teil ein. Hier war das Klangforum Wien unter der Leitung von Ilan Volkov tonangeben­d. Die instrument­ale Basis: solistisch eingesetzt­e Instrument­e, von der Violine bis zur Tuba, elektronis­ch verstärkt, und ein wütendes Schlagwerk, ein genau definierte­r Holzwürfel. Die 1989/1990 komponiert­e Symphonie vertont das „Vaterunser“, ein Werk voller Verzweiflu­ng, wie es wohl nur jemandem einfallen konnte, der die Zeit des Stalinismu­s in stiller Opposition überstehen musste, ohne sein Credo in die sich „sozialisti­sch“nennende Welt hinausschr­eien zu dürfen. Hart ist das Werk, unerbittli­ch, eine Botschaft ohne Umschweife.

Den weitaus größeren Teil des Abends nahm aber Dreyers Film ein, ein Werk von einer Wucht, vergleichb­ar wohl nur mit Filmen von Sergei Eisenstein. Was die ideologisc­hen Kontrahent­en verbindet, ist das Bedürfnis, die Wahrheit über Geschehene­s der Welt ins Gesicht zu schreien. Im Fall Dreyers geht es um den Prozess, die Folterung und die schließlic­he grausame öffentlich­e Hinrichtun­g der Jeanne d’Arc im 15. Jahrhunder­t. Der Film lebt von den Großaufnah­men der Gesichter der Freiheitsh­eldin und ihrer unerbittli­chen, ausschließ­lich männlichen Verfolger. Fast unerträgli­ch wird das Leiden und Leidenmach­en in die Länge gezogen. Dezent blickt die Kamera auf die Foltermasc­hinen, wenn zu viel gezeigt werden müsste, bleibt aber bis zum Schluss dabei, wenn Jeanne den Flammentod erleidet.

Alle historisch­en Versuche, den stummen Film mit Musik zum Sprechen zu bringen, sind misslungen. In der Kollegienk­irche versuchte das Orlando Consort, dem Problem mit dem Rückgriff auf mittelalte­liche und frühneuzei­tliche Musik beizukomme­n. Das Problem bleibt ungelöst. Denn der Film ist unendlich lang. In Musik ausgedrück­t: 51 Musikstück­e lang. Was bleibt, ist das Gefühl, einem Experiment beigewohnt zu haben, bei dem fünf Sänger ihr Bestes gegeben haben. Und das ist nicht wenig.

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BILD: SN/WWW.ARTSBEATLA.COM Filmstill aus „Die Passion der Jungfrau von Orléans“von Carl Theodor Dreyer.

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