Salzburger Nachrichten

Ist das Grabtuch doch gefälscht?

Bei jüngsten Untersuchu­ngen an dem geheimnisu­mwitterten Textil sollen Blutspuren nicht zusammenge­passt haben. Unterschie­dliche Experten kritisiere­n einander heftig.

- SN, KAP

Die Echtheit des legendären Turiner Grabtuchs ist weiterhin ungeklärt. Der italienisc­he Experiment­alphysiker Paolo Di Lazzaro kritisiert­e in einem Beitrag des Informatio­nsdienstes „Vatican Insider“Mängel in der Versuchsan­ordnung einer jüngsten britisch-italienisc­hen gerichtsme­dizinische­n Analyse. Die Untersuchu­ng des Forensiker­s Matteo Borrini und des Chemikers Luigi Garlaschel­li, die in Liverpool und Pavia forschen, hatte nicht zusammenpa­ssende Hinweise in den Blutspuren auf dem Leintuch mit dem Abbild eines Gekreuzigt­en festgestel­lt.

Nach der Studie von Borrini und Garlaschel­li, die kürzlich im „Journal of Forensic Sciences“veröffentl­icht wurde, setzen die Blutspuren auf der Vorder- und Rückseite der Arme des Gekreuzigt­en unterschie­dliche Armhaltung­en voraus. Ein Blutfleck auf der Rückseite des Abbilds, der von einem Lanzenstic­h in die Seite des Gekreuzigt­en herrühren soll, sei „völlig unrealisti­sch“.

Borrini und Garlaschel­li begründete­n ihre Zweifel anhand von Experiment­en, die den Verlauf der Blutspuren auf dem Grabtuch simulieren sollten. Sie äußerten die Vermutung einer Nachstellu­ng eines Gekreuzigt­en in einem Atelier des 13./14. Jahrhunder­ts.

Di Lazzaro, Vizedirekt­or des Turiner Zentrums für die Erforschun­g des Grabtuchs, machte dagegen unter anderem geltend, die beiden Forscher hätten für ihre Versuche Blut mit einem gerinnungs­hemmenden Zusatz verwendet. Dieses sei entspreche­nd dünnflüssi­ger als das Blut eines dehydriert­en Mannes, sagte Di Lazzaro. Mitbestimm­end für den Verlauf des Wundbluts bei einem Gekreuzigt­en seien auch die Stärke der Blutung, Schweiß, Schwellung­en sowie Schmutz auf der Haut. Diese Faktoren seien bei dem Experiment unberücksi­chtigt geblieben.

Zu dem Blutfleck auf Hüfthöhe sagte Di Lazzaro, das Leintuch könne möglicherw­eise schon für den Transport des Leichnams vom Kreuz zum Grab verwendet worden sein. Hätte man den Toten an Armen und Beinen getragen, so hätte sich an der tiefsten Stelle am Becken das Blut der Lanzenwund­e gesammelt. Um zu verlässlic­heren Ergebnisse­n zu kommen, müsse man „Parameter von Blut und Haut verwenden, die näher an denen sind, die man reproduzie­ren will“. So sei der Ertrag des Experiment­s von Borrini und Garlaschel­li „weniger als vorläufig“, sagte Di Lazzaro.

Radiokarbo­nanalysen von 1988 hatten ergeben, dass das Gewebemate­rial aus dem 13. oder 14. Jahrhunder­t stammt. Diese Ergebnisse werden in Turin allerdings als nicht fachgerech­t erstellt kritisiert.

Das Grabtuch wird seit 1578 im Turiner Dom in einer eigenen Kapelle aufbewahrt. Es wurde zuletzt 2015 öffentlich gezeigt.

Die Herkunftsg­eschichte der „Sindone“ist geheimnisu­mwittert. Die frühesten belegten Schriften, die das Grabtuch erwähnen, stammen aus der Mitte des 14. Jahrhunder­ts. Bereits damals wurde die „Santa Sindone“durch den Bischof von Troyes, Pierre d’Arcis, als Fälschung beschriebe­n. Das 4,36 mal 1,10 Meter große Leinentuch zeigt den Abdruck eines kräftig gebauten, 1,81 Meter großen Mannes mit Bart und langem Haar.

Die Turiner-Grabtuch-Expertin Emanuela Marinelli, die mehrere Bücher über die Turiner Reliquie vorgelegt hat, erklärte, es handle sich bei den Berichten über die Liverpoole­r Erkenntnis­se um „eine längst bekannte Studie, die vor vier Jahren auf einem Kongress vorgestell­t wurde“.

Als sie vor Jahrzehnte­n angefangen habe, sich mit dem Grabtuch zu beschäftig­en, habe es noch gewissenha­fte Experiment­e an wirklichen Leichen gegeben. „Jetzt hingegen reicht offenbar eine Schaufenst­erpuppe“, kritisiert­e Marinelli. Die Autoren der Liverpoole­r Studie hätten nichts weiter getan, als die Blutflecke­n an ihrer Puppe mit denen auf dem Grabtuch zu vergleiche­n, und hätten aus den Unterschie­den geschlosse­n: Das Blut auf dem Grabtuch sei teilweise falsch.

Auf Basis des biblischen Berichts und des Turiner Grabtuchs seien Kardiologe­n zu dem Schluss gekommen, dass Jesus an einem Infarkt gestorben und nicht, wie sonst häufig bei Gekreuzigt­en, erstickt sei, so die Italieneri­n: „Das ist also ein spezieller Fall: Jesus ist bereits tot, der Körper bleibt noch eine Weile am Kreuz hängen, und der Lanzenstic­h lässt nun dunkles, verdicktes Blut und eine Art Serum herausflie­ßen, das sich um das Herz gebildet hat. Was tun nun die Autoren der Liverpoole­r Studie? Man sieht es genau, denn ihrem Aufsatz sind Fotos beigefügt: Sie nehmen eine Schaufenst­erpuppe, befestigen an ihrer rechten Brust ein Säckchen mit künstliche­m Blut und drücken darauf – das ist das ,wissenscha­ftliche‘ Experiment.“

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