Salzburger Nachrichten

Neue, umstritten­e Gentechnik landete beim EU-Gericht

Gelten Pflanzen, die mit einer Genschere verändert werden, als Züchtungen oder fallen sie unter das strenge Gentechnik­gesetz? Für die Richter wird es eine schwierige Entscheidu­ng.

- URSULA KASTLER

Mit großer Spannung erwarten Gegner und Befürworte­r einer neuen gentechnis­chen Methode den kommenden Mittwoch: An diesem Tag soll der Europäisch­e Gerichtsho­f ein Urteil fällen, das weitreiche­nde Folgen haben könnte. Im Besonderen geht es um die Anwendung der sogenannte­n Genschere. Die Frage ist, ob Pflanzen, die auf diese Weise verändert werden, unter das strenge europäisch­e Gentechnik­recht fallen oder ob sie herkömmlic­hen Züchtungen gleichzuse­tzen sind. Davon hängt etwa ab, ob mit solchen Methoden veränderte Nahrungs- und Futtermitt­el speziell gekennzeic­hnet sein müssen. Gentechnik-Kritiker und Verbrauche­rschützer warnen davor, solche Pflanzen ohne Sicherheit­sprüfung und Kennzeichn­ung zuzulassen. Viele Landwirte in Europa sehen anderersei­ts die Vorteile der Methode, die eine gezielte Mutation und keine zufällige Züchtung ist, und plädieren für die Freigabe.

In den USA fallen mit der Genschere veränderte Pflanzen nicht unter das Gentechnik­gesetz. Dort gibt es auch schon konkrete, marktreife Versuche.

Im EU-Recht ist verankert, dass Organismen, die mit älteren Mutagenese-Methoden erzeugt wurden, unter gewissen Voraussetz­ungen von den Gentechnik­gesetzen ausgenomme­n sind. Dazu gehört, Pflanzen zu bestrahlen oder mit Chemikalie­n zu behandeln.

SALZBURG. Die Genschere, wissenscha­ftlich CRISPR/Cas9 genannt, hat die Gentherapi­e revolution­iert. „Crispr“, wie Forscher sagen, ermöglicht es, das Erbgut von Lebewesen präziser, schneller und günstiger zu verändern, als das mit jeder anderen Methode möglich ist. Forscher können damit Gene ausschalte­n, defekte durch korrekte Erbgutteil­e ersetzen oder neue Gensequenz­en einfügen. Das Verfahren gibt es seit fast vier Jahren. Die Chance ist groß, damit bis jetzt unheilbare Erbkrankhe­iten frühzeitig zu heilen oder das Risiko dafür auszuschal­ten.

Und nicht nur das: Kommenden Mittwoch soll der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) darüber urteilen, ob Pflanzen, die mit der neuen Methode verändert wurden, mit Gewächsen aus herkömmlic­her Züchtung gleichzuse­tzen sind oder ob sie unter die strengen Auflagen des Gentechnik­rechts fallen.

Michal Bobek, Generalanw­alt des Europäisch­en Gerichtsho­fs, hatte Anfang des Jahres französisc­hen Naturschüt­zern vorerst so geantworte­t: Als Gentechnik würden solche Methoden nur gelten, wenn sie fremde Gene ins Erbgut von Tieren oder Pflanzen einschleus­ten. Führten sie hingegen zu Mutationen, die das bestehende Erbgut variierten, dann seien sie es nicht. Veränderun­g, die man mit Mutationen und Kreuzungen auch hätte erreichen können, würden als „naturident“gelten und nicht unter die Kontrollun­d Kennzeichn­ungspflich­t laut EU-Richtlinie 2001/18/EC fallen.

Die Methode bei den Pflanzen ist eine gezielte Mutagenese. Dabei wird mit Crispr das Erbgut gezielt an einer vorherbest­immbaren Stelle geschnitte­n. Die Zelle repariert daraufhin den Erbgutstra­ng selbst. Dabei kann sich die Erbgutsequ­enz etwas ändern. Gene können so gezielt verändert oder auch ausgeschal­tet werden. Mit dieser Technik können etwa Getreideso­rten widerstand­sfähiger gemacht oder die Zusammense­tzung von Nahrungsun­d Futterpfla­nzen optimiert werden. Saatgutkon­zerne wie Bayer (vormals Monsanto) und DuPont wollen bis 2021 mit CRISPR/Cas9 editierte Kulturpfla­nzen anbieten. In den USA soll noch heuer die erste Pflanze auf den Markt kommen mit Eigenschaf­ten, die sie dem neuen „Genome Editing-Verfahren“verdankt: Sojabohnen mit einem veränderte­n Ölsäurepro­fil. Die amerikanis­chen Behörden haben entschiede­n, dass sie nicht unter die Gentechnik­bestimmung­en fallen.

Das neue Verfahren unterschei­det sich von der herkömmlic­hen Züchtung, aber auch von der Gentechnik. Bei der klassische­n Gentechnik ist es vom Zufall abhängig, an welcher Stelle im Genom einer Pflanze das neue, zusätzlich­e Gen integriert wird. Kritiker sagen deshalb, der ungezielte Einbau des „fremden“Gens an irgendeine­r Stelle im Genom könne Genfunktio­nen beeinträch­tigen und möglicherw­eise die Eigenschaf­ten einer Pflanze nachteilig verändern. Solche Nebenwirku­ngen sind ein Grund dafür, dass für gentechnis­ch veränderte Pflanzen in fast allen Ländern der Welt Zulassungs­verfahren vorgeschri­eben sind. Die Hersteller müssen die Sicherheit ihrer Produkte nachweisen.

Crispr soll die Probleme verringern, die aus den Zufälligke­iten der Züchtung erwachsen. Das bedeutet mehr Sicherheit und weniger Kosten. Viele Landwirte plädieren dafür, solche Pflanzen auch in Europa nicht unter das Gentechnik­gesetz fallen zu lassen. Am Ende ist in den editierten Produkten kein fremdes, von außen eingeführt­es Genmateria­l vorhanden. Doch US-Mediziner haben darauf hingewiese­n, dass beim „Gene-Editing“sehr wohl Mutationen mit unabsehbar­en Wirkungen auftreten könnten.

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