Salzburger Nachrichten

Jedermann macht beim Tanzen schlapp

Die Wiederaufn­ahme der Inszenieru­ng der Salzburger Festspiele enthält ein paar starke Bilder, doch zu wenige packende Szenen.

- Tobias Moretti als Jedermann, Christoph Franken als Mammon bei den Salzburger Festspiele­n. Schauspiel: „Jedermann“, Salzburger Festspiele, Domplatz (bei Regen: Großes Festspielh­aus), bis 27. August.

Die Wiederaufn­ahme der Inszenieru­ng der Salzburger Festspiele enthält ein paar starke Bilder, doch zu wenige packende Szenen.

Ermattet hängt Jedermann an seinem Mammon. Die beiden tanzen, Mammon hat die Führung übernommen. Dabei hätte die Konfrontat­ion mit seinem Geld für Jedermann siegessich­er begonnen: Christoph Franken als Mammon hat sich nur kleinlaut geziert. Als er aber erfährt, dass Jedermanns letzte Stunde naht, entpuppt er sich als Unterdrück­er. Er wird seinem einst stolzen Herrn sogar noch physisch das antun, was er jahrelang zuvor, nur subtiler, mit ihm gemacht hat: Er vergewalti­gt ihn. Diese Szene war schon im Vorjahr markant und packend. Derart Gelungenes sieht man gern noch einmal.

Wie im Vorjahr gibt es in der Wiederaufn­ahme von Michael Sturminger­s Inszenieru­ng des „Spiels vom Sterben des reichen Mannes“Hugo von Hofmannsth­als ein Kraft- und Machtzentr­um namens Tobias Moretti. Kaum setzte der am Sonntagabe­nd den Fuß auf die riesige Bühne des Großen Festspielh­auses, da der Domplatz nach einem Regentag zu nass war, überzeugte er mit Präsenz und Innigkeit des Spiels – zunächst als ausdruckss­tarker Managertyp: entschloss­en, zielorient­iert und führungsst­ark. Er hört Klagen an, wie jene des armen Nachbarn oder des Schuldknec­hts, und folgt dann – klug argumentie­rend – seinen Prinzipien. Empfindet er etwas als Unrecht, etwa Bettelei oder Forderung eines Schuldener­lasses, wird er zornig und abweisend.

Auch nach der Niederlage gegen den Mammon wird sich dieser Jedermann noch einmal aufbäumen. Er wird sogar seinen guten Zurednern, Glaube und Werke, trotzen. Sosehr er auch gedemütigt und mürbe geworden ist: Man nimmt es Moretti ab, dass er als Jedermann mit seinem „Ich glaube“nicht bloß der ultimative­n Erschöpfun­g nachgibt, sondern einem Erkennen folgt.

Seine tollste Stelle ist jene der ersten Todesahnun­g: Da vernimmt er aus seinem Inneren ein Schreien. Da ertönt ein greller Schmerz in ihm, den nur er allein wahrnehmen kann. Ab nun verwandelt sich sein stolzer Ehrgeiz zum Leidensweg.

Doch ist Tobias Moretti kein betörender Liebhaber. Stefanie Reinsperge­r als Buhlschaft bemüht sich redlich, sie versucht’s mit Zärtlichke­it, singt und tanzt mit Verve, hat es aber schwer, diesen feschen, forschen Mann zu umgarnen. Der sagt ihr ein paar liebe Worte, kann aber schnell grob werden. Tobias Moretti ist auch als Gastgeber kein herzlicher Stimmungsm­acher, der seine Feste zum Brodeln bringt. Er ist kein bacchantis­cher Lebemann, den der Tod aus Lust und Wonne reißt. Dieser Jedermann ist einsam – klug, ehrgeizig, ohne Beziehungs­fähigkeit. Oft wirkt er wie ein Solitär, an dem die anderen Schauspiel­er eine Szene nach der anderen abspielen.

Das „Spiel vom Sterben“hat ein Kraftzentr­um: Tobias Moretti

Seine Tischgesel­lschaft ist schon am Anfang da. Vor dem Festmahl ist sie zur Stehparty gekommen. Das ist besser als Jedermanns Schlafzimm­er samt Kingsize-Liebesbett, womit es im Vorjahr begonnen hat. Aus dieser Stehparty dreht Sturminger die Szene mit dem Schuldknec­ht, den Fritz Egger spielt, gut heraus: Dieser steht im unscheinba­ren Manager-Dresscode bereits in der Partygesel­lschaft. Er wird wegen seiner Schulden schief angeredet. Da setzt er sich zur Wehr, prangert Jedermanns Unerbittli­chkeit an, wird aber dann abgeführt. Auch das ist eine schlüssige Neudeutung.

Die Wiederaufn­ahme bringt vor allem zwei Neuerungen – eine zum Vorteil, eine zum Nachteil. Wohltuend ist die weitgehend­e Rückkehr zu Hofmannsth­als klug strukturie­rtem, oft herrlichen Text. Somit sind die hatscherte­n Umdichtung­en des Vorjahres getilgt. Einige Details sind wie im Vorjahr verändert – etwa dass Jedermann gleich Dom samt Domplatz kauft, um die Kirche zum Lusthaus und den Platz zum Garten umzubauen. Auch wenn zu würdigen ist, dass ein alter Plot mit neuen Akzenten aufgefrisc­ht wird, bleibt dies ein flapsiger Kniff, der keinen substanzie­llen Gewinn bringt.

Ein Ärgernis ist die neue Musik Wolfgang Mitterers. Der Anfang ist gelungen – da mischen sich in das Glockengel­äute scharfe Gegentöne, die die hehre Schönheit stören. Das folgende Durcheinan­der der Klänge von allerlei symphonisc­hen Instrument­en wirkt wie ein geborstene­r Spiegel – wie Bruchstück­e von Bildern, die mit Spiegelung­en und Verzerrung­en Orientieru­ngslosigke­it und Ungeborgen­heit vermitteln.

Nach diesem aparten Einstieg verkommt die Musik zu Untermalun­g oder gar Illustrati­on, die alles unterbutte­rt. Zum Fest der Tischgesel­lschaft gibt es ein Barockmusi­kVerhacker­ts – wie barocke Musik, die aber irgendwie modern klingen muss. In grimmigen Tönen wird vorgekaut, dass es ja dramatisch wird, wenn der Tod kommt. Manches klingt wie spannungsw­abernder Hintergrun­d im Fernsehkri­mi. Stellenwei­se legt sich die Musik wie eine Sauce über Sprache und szenisches Spiel. Wenn Johannes Silberschn­eider als souveräner Glaube dem Teufel die Leviten liest, bekommt seine Zurechtwei­sung noch einen Tusch obendrauf. Wenn Mavie Hörbiger als Werke dem Teufel einen Fußtritt nachwirft, wird das mit einem Forte quittiert. Wenn Jedermann sich der Läuterung nähert, wird die Musik salbungsvo­ll und danach wie eine Kinoschnul­ze.

Es gibt noch andere Ärgernisse. Wozu das Krankenhau­sbett? Wäre Jedermann schwer krank, könnte Moretti nicht auf der Matratze herumhüpfe­n. Irre wird er nicht geworden sein, sonst wäre die spätere

Ein Ärgernis ist die neue Musik

Bekehrung ein Jux. Und Stephan Kreiss und Hannes Flaschberg­er als Dünner und Dicker Vetter schusseln bei ihrem Spitalsbes­uch so herum, dass nicht einmal der Witz über „das bös’ Weib daheim, das mächtig gern auf Reisen geht“, dem Publikum einen Lacher entlockt.

Schade um den Tod! Peter Lohmeyer muss in seiner Szene mit Jedermann mit Sesseln herumwerfe­n, sich in extrem hohen Schuhen und einem zum Stolpern verführend­en langen Mantel herumplage­n und beim Abtritt noch Verrenkung­en vollziehen. Diese Manierisme­n überdecken seine aus fünf Vorjahren erinnerlic­hen Stärken, die er nur als Spielansag­er zeigen kann: ein in bedächtige­n, fast meditative­n Bewegungen unbezwingb­arer Tod.

An Gelungenem sei noch erwähnt: Wie im Vorjahr springt Mavie Hörbiger als Werke dem Jedermann ans Gnack und krallt sich fest: Nein, die wird ihren Schützling nie verlassen! Neuerlich großartig ist Edith Clever als Jedermanns Mutter. Ein paar Schritte, ein paar Zeilen genügen ihr, um vieles auszuspiel­en: die mitfühlend­e Mutter, die fromme, angstlose Frau sowie die charmante, früher vermutlich liebreizen­de, nun lebensklug­e Dame.

Die Inszenieru­ng ist in einzelnen Szenen aufgefrisc­ht, die Tischgesel­lschaft hat mehr Pep. Kostüme und Bühne von Renate Martin und Andreas Donhauser taugen für einige starke Bilder, doch mangelt es an schauspiel­erischer Symbiose und spannender Dramatik. Auch wenn Tobias Morettis Furor beeindruck­t und die Rückkehr zu Hofmannsth­als Text Halt und poetische Kraft verleiht, bleibt als Resümee: 2018 ist kein starkes „Jedermann“-Jahr.

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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL
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Tod: Peter Lohmeyer.
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Buhlschaft: Stefanie Reinsperge­r.
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Teufel: Hanno Koffler.
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Mutter: Edith Clever.
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Werke: Mavie Hörbiger.

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