Jedermann macht beim Tanzen schlapp
Die Wiederaufnahme der Inszenierung der Salzburger Festspiele enthält ein paar starke Bilder, doch zu wenige packende Szenen.
Die Wiederaufnahme der Inszenierung der Salzburger Festspiele enthält ein paar starke Bilder, doch zu wenige packende Szenen.
Ermattet hängt Jedermann an seinem Mammon. Die beiden tanzen, Mammon hat die Führung übernommen. Dabei hätte die Konfrontation mit seinem Geld für Jedermann siegessicher begonnen: Christoph Franken als Mammon hat sich nur kleinlaut geziert. Als er aber erfährt, dass Jedermanns letzte Stunde naht, entpuppt er sich als Unterdrücker. Er wird seinem einst stolzen Herrn sogar noch physisch das antun, was er jahrelang zuvor, nur subtiler, mit ihm gemacht hat: Er vergewaltigt ihn. Diese Szene war schon im Vorjahr markant und packend. Derart Gelungenes sieht man gern noch einmal.
Wie im Vorjahr gibt es in der Wiederaufnahme von Michael Sturmingers Inszenierung des „Spiels vom Sterben des reichen Mannes“Hugo von Hofmannsthals ein Kraft- und Machtzentrum namens Tobias Moretti. Kaum setzte der am Sonntagabend den Fuß auf die riesige Bühne des Großen Festspielhauses, da der Domplatz nach einem Regentag zu nass war, überzeugte er mit Präsenz und Innigkeit des Spiels – zunächst als ausdrucksstarker Managertyp: entschlossen, zielorientiert und führungsstark. Er hört Klagen an, wie jene des armen Nachbarn oder des Schuldknechts, und folgt dann – klug argumentierend – seinen Prinzipien. Empfindet er etwas als Unrecht, etwa Bettelei oder Forderung eines Schuldenerlasses, wird er zornig und abweisend.
Auch nach der Niederlage gegen den Mammon wird sich dieser Jedermann noch einmal aufbäumen. Er wird sogar seinen guten Zurednern, Glaube und Werke, trotzen. Sosehr er auch gedemütigt und mürbe geworden ist: Man nimmt es Moretti ab, dass er als Jedermann mit seinem „Ich glaube“nicht bloß der ultimativen Erschöpfung nachgibt, sondern einem Erkennen folgt.
Seine tollste Stelle ist jene der ersten Todesahnung: Da vernimmt er aus seinem Inneren ein Schreien. Da ertönt ein greller Schmerz in ihm, den nur er allein wahrnehmen kann. Ab nun verwandelt sich sein stolzer Ehrgeiz zum Leidensweg.
Doch ist Tobias Moretti kein betörender Liebhaber. Stefanie Reinsperger als Buhlschaft bemüht sich redlich, sie versucht’s mit Zärtlichkeit, singt und tanzt mit Verve, hat es aber schwer, diesen feschen, forschen Mann zu umgarnen. Der sagt ihr ein paar liebe Worte, kann aber schnell grob werden. Tobias Moretti ist auch als Gastgeber kein herzlicher Stimmungsmacher, der seine Feste zum Brodeln bringt. Er ist kein bacchantischer Lebemann, den der Tod aus Lust und Wonne reißt. Dieser Jedermann ist einsam – klug, ehrgeizig, ohne Beziehungsfähigkeit. Oft wirkt er wie ein Solitär, an dem die anderen Schauspieler eine Szene nach der anderen abspielen.
Das „Spiel vom Sterben“hat ein Kraftzentrum: Tobias Moretti
Seine Tischgesellschaft ist schon am Anfang da. Vor dem Festmahl ist sie zur Stehparty gekommen. Das ist besser als Jedermanns Schlafzimmer samt Kingsize-Liebesbett, womit es im Vorjahr begonnen hat. Aus dieser Stehparty dreht Sturminger die Szene mit dem Schuldknecht, den Fritz Egger spielt, gut heraus: Dieser steht im unscheinbaren Manager-Dresscode bereits in der Partygesellschaft. Er wird wegen seiner Schulden schief angeredet. Da setzt er sich zur Wehr, prangert Jedermanns Unerbittlichkeit an, wird aber dann abgeführt. Auch das ist eine schlüssige Neudeutung.
Die Wiederaufnahme bringt vor allem zwei Neuerungen – eine zum Vorteil, eine zum Nachteil. Wohltuend ist die weitgehende Rückkehr zu Hofmannsthals klug strukturiertem, oft herrlichen Text. Somit sind die hatscherten Umdichtungen des Vorjahres getilgt. Einige Details sind wie im Vorjahr verändert – etwa dass Jedermann gleich Dom samt Domplatz kauft, um die Kirche zum Lusthaus und den Platz zum Garten umzubauen. Auch wenn zu würdigen ist, dass ein alter Plot mit neuen Akzenten aufgefrischt wird, bleibt dies ein flapsiger Kniff, der keinen substanziellen Gewinn bringt.
Ein Ärgernis ist die neue Musik Wolfgang Mitterers. Der Anfang ist gelungen – da mischen sich in das Glockengeläute scharfe Gegentöne, die die hehre Schönheit stören. Das folgende Durcheinander der Klänge von allerlei symphonischen Instrumenten wirkt wie ein geborstener Spiegel – wie Bruchstücke von Bildern, die mit Spiegelungen und Verzerrungen Orientierungslosigkeit und Ungeborgenheit vermitteln.
Nach diesem aparten Einstieg verkommt die Musik zu Untermalung oder gar Illustration, die alles unterbuttert. Zum Fest der Tischgesellschaft gibt es ein BarockmusikVerhackerts – wie barocke Musik, die aber irgendwie modern klingen muss. In grimmigen Tönen wird vorgekaut, dass es ja dramatisch wird, wenn der Tod kommt. Manches klingt wie spannungswabernder Hintergrund im Fernsehkrimi. Stellenweise legt sich die Musik wie eine Sauce über Sprache und szenisches Spiel. Wenn Johannes Silberschneider als souveräner Glaube dem Teufel die Leviten liest, bekommt seine Zurechtweisung noch einen Tusch obendrauf. Wenn Mavie Hörbiger als Werke dem Teufel einen Fußtritt nachwirft, wird das mit einem Forte quittiert. Wenn Jedermann sich der Läuterung nähert, wird die Musik salbungsvoll und danach wie eine Kinoschnulze.
Es gibt noch andere Ärgernisse. Wozu das Krankenhausbett? Wäre Jedermann schwer krank, könnte Moretti nicht auf der Matratze herumhüpfen. Irre wird er nicht geworden sein, sonst wäre die spätere
Ein Ärgernis ist die neue Musik
Bekehrung ein Jux. Und Stephan Kreiss und Hannes Flaschberger als Dünner und Dicker Vetter schusseln bei ihrem Spitalsbesuch so herum, dass nicht einmal der Witz über „das bös’ Weib daheim, das mächtig gern auf Reisen geht“, dem Publikum einen Lacher entlockt.
Schade um den Tod! Peter Lohmeyer muss in seiner Szene mit Jedermann mit Sesseln herumwerfen, sich in extrem hohen Schuhen und einem zum Stolpern verführenden langen Mantel herumplagen und beim Abtritt noch Verrenkungen vollziehen. Diese Manierismen überdecken seine aus fünf Vorjahren erinnerlichen Stärken, die er nur als Spielansager zeigen kann: ein in bedächtigen, fast meditativen Bewegungen unbezwingbarer Tod.
An Gelungenem sei noch erwähnt: Wie im Vorjahr springt Mavie Hörbiger als Werke dem Jedermann ans Gnack und krallt sich fest: Nein, die wird ihren Schützling nie verlassen! Neuerlich großartig ist Edith Clever als Jedermanns Mutter. Ein paar Schritte, ein paar Zeilen genügen ihr, um vieles auszuspielen: die mitfühlende Mutter, die fromme, angstlose Frau sowie die charmante, früher vermutlich liebreizende, nun lebenskluge Dame.
Die Inszenierung ist in einzelnen Szenen aufgefrischt, die Tischgesellschaft hat mehr Pep. Kostüme und Bühne von Renate Martin und Andreas Donhauser taugen für einige starke Bilder, doch mangelt es an schauspielerischer Symbiose und spannender Dramatik. Auch wenn Tobias Morettis Furor beeindruckt und die Rückkehr zu Hofmannsthals Text Halt und poetische Kraft verleiht, bleibt als Resümee: 2018 ist kein starkes „Jedermann“-Jahr.