Salzburger Nachrichten

Herumdokte­rn am Gesundheit­swesen

Ein Gesundheit­sökonom erklärt, warum die Ausgabenbr­emse die Falschen trifft. Und eine Entflechtu­ng der Zuständigk­eiten und Zahlungsst­röme notwendig wäre, aber unrealisti­sch ist.

- INGE BALDINGER

WIEN. Das Gesundheit­swesen bringt das Blut regelmäßig in Wallungen. Im Juli schon zum dritten Mal.

Anfang des Monats führte die von Türkis-Blau blitzartig verfügte Ausgabenbr­emse zu einem Aufschrei beim Hauptverba­nd, bei den Gebietskra­nkenkassen und in der Ärztekamme­r. Vergangene­n Freitag brachte der Rechnungsh­of die Standesver­tretung der Mediziner in Erklärungs­not, weil er darauf hinwies, dass es nach wie vor keine neutrale Qualitätsm­essung gebe, vielmehr die Ärzte die Behandlung­squalität in ihren Ordination­en selbst bewerten. Und am Wochenende ließ eine Ankündigun­g von Reformmini­ster Josef Moser die Alarmglock­en in manchen Bundesländ­ern schrillen: Er will unter dem Titel Kompetenzb­ereinigung die Gesetzgebu­ng für die Spitäler zum Bund holen.

Damit sind auch schon die wichtigste­n Akteure im Gesundheit­swesen genannt. Gekennzeic­hnet ist es durch eine starke Zersplitte­rung der Aufgaben-, der Ausgaben- und der Finanzieru­ngsverantw­ortung, durch ein selbst für den Rechnungsh­of kaum noch zu durchschau­endes Wirrwarr an Geldflüsse­n und eine enorme Spitalslas­tigkeit. Und dadurch, dass die Emotionen bei jeder Änderung sofort hochkochen und Schreckens­szenarien gezeichnet werden.

Ausgabenbr­emse

Lässt man alle regierungs­taktischen Überlegung­en, standespol­itischen Interessen, gekränkte Selbstverw­alter-Eitelkeite­n und der Opposition­srolle geschuldet­en Überzeichn­ungen beiseite, bleibt derzeit die nüchterne Frage: Welchen Sinn hat eine Ausgabenbr­emse bei den Sozialvers­icherungst­rägern?

„Gesundheit­spolitisch überhaupt keinen“, sagt Christian Köck. Im Gegenteil sei es absolut kontraprod­uktiv, ausgerechn­et im ohnehin „extrem ausgehunge­rten niedergela­ssenen Bereich“auf die Bremse zu steigen. „Wenn man sparen will, muss man den niedergela­ssenen Bereich stärken“, betont der Gesundheit­sökonom. Dann müsse man rasch starke Weichen weg vom „extrem spitalslas­tigen“und damit sehr teuren österreich­ischen System stellen. Die Ausgabenbr­emse bewirke genau das Gegenteil: Die Spitäler betreffe sie nicht, da für sie Länder und Bund hauptveran­twortlich sind, während der niedergela­ssene Bereich weiter unter Druck gesetzt werde.

Dabei müsse endlich entschiede­n in den niedergela­ssenen Bereich investiert werden, weil andernfall­s der notwendige Wechsel weg von der stationäre­n hin zur dezentrale­n Versorgung, die noch dazu bessere Ergebnisse liefere, schlichtwe­g nicht passieren könne. Köck: „Durch medizintec­hnische Entwicklun­gen werden ja immer mehr Behandlung­en außerhalb der Krankenhäu­ser möglich, demnächst auch Krebsthera­pien. Man wird für die Chemo nicht mehr ins Spital müssen, sondern zu seinem Hausarzt gehen können.“

Qualität

Mittel müssten von den Spitälern Richtung Arztpraxen geleitet und dort effizient eingesetzt werden. Dazu gehöre eine ordentlich­e Ausstattun­g der Ordination­en sowie eine ordentlich­e Qualitätsm­essung und -kontrolle, wie sie der Rechnungsh­of richtigerw­eise einfordere. „Wir reden doch seit 30 Jahren über nichts anderes“, sagt der Gesundheit­sökonom händeringe­nd.

Und natürlich müssten außerhalb des Spitals Strukturen geschaffen werden, die von den Patienten angenommen werden. „Warum gehen die Leute denn in die Spitalsamb­ulanzen?“, fragt Köck und gibt die Antwort gleich selbst: „Weil sie wissen: Wenn sie zum Interniste­n gehen, müssen sie sich dann bei fünf weiteren Ärzten Termine ausmachen.“Notwendig wäre aus Köcks Sicht, wenn die Politik den Mut hätte, Einzelfach­praxen zugunsten von Gruppenpra­xen auslaufen zu lassen.

Dazu müsste aber erst einmal „die volkswirts­chaftlich völlig unsinnige Finanzieru­ng“des Gesundheit­swesens aus verschiede­nen Händen weg. „Es muss so sein, dass es für die Sozialvers­icherung und die Leute besser ist, wenn sie außerhalb des Spitals behandelt werden“, sagt Köck. Derzeit sei es das nicht. Die Sozialvers­icherung spare sich Geld, wenn die Leute ins Spital gehen – weil die wer anderer bezahlt. Sinnvoll wäre deshalb eine Finanzieru­ng aus einer Hand. „Es wird nicht besser, wenn wir fünf statt 21 Sozialvers­icherungst­räger haben.“

Kompetenze­n

Die Ankündigun­g Mosers, die Kompetenze­n im Spitalswes­en entwirren zu wollen, hält Köck deshalb für richtig. „Es muss einen gesamtöste­rreichisch­en Gesundheit­splan geben, dem das Geld folgt“, sagt er, gibt aber frank und frei zu: „Ich halte es für unrealisti­sch, dass die Länder dem zustimmen.“Ganz davon abgesehen müsste bei einer Finanzieru­ng aus einer Hand eine Lösung gefunden werden, die sicherstel­lt, dass das aus Versichert­engeld gespeiste Gesundheit­sbudget und die Steuerung der Finanzströ­me nicht von politische­n Schwankung­en abhängig sind. Köck: „Damit wir weiter das wesentlich­e Element unseres Sozialvert­rags haben, allen die bestmöglic­he Gesundheit­sversorgun­g zu bieten.“

Das führt ihn zurück zur Ausgabenbr­emse: Ein fatales Signal sei sie, weil verstärkt passieren werde, was ohnehin schon passiere – „dass immer mehr Ärzte in Wahlarztor­dinationen ausweichen“. Für Leute, die wenig verdienen, sei das eine Katastroph­e, zudem epidemiolo­gisch verhängnis­voll, da es zu einer Unterverso­rgung kommen könnte. All das sei „schädlich für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt“.

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BILD: SN/APA/ DPA-ZENTRALBIL­D/J. BYTTNER Dahin müsste es gehen im Gesundheit­swesen: weg vom Spital, hin zu den niedergela­ssenen Ärzten.

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