Salzburger Nachrichten

Putins Russland bleibt ein Scheinries­e

Nach der Fußball-WM und dem Gipfeltref­fen von Trump und Putin in Helsinki wird Russland wieder mehr Stärke und Größe zugeschrie­ben. Aber der Riese schrumpft, wenn man ihm näherkommt und genauer hinsieht.

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Eine Woche ist seit dem Gipfel von Helsinki vergangen, und schon jetzt gilt das Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin als historisch. Zu krass stach die Unterwerfu­ng des US-Präsidente­n unter den Kremlchef hervor, den Trumps Vorgänger Barack Obama noch als einen besseren Regionalfü­rsten verspottet hatte. Plötzlich scheint nun alles anders zu sein: Putin gilt als neuer, alter russischer Riese, wiederaufe­rstanden aus den Ruinen des geschlagen­en und zerfallene­n Sowjetreic­hs. Ein so großer Wandel in so kurzer Zeit – das sollte zumindest nachdenkli­ch stimmen.

Man tut also gut daran, einen Schritt zurückzutr­eten und das Bild, das in der Woche nach Helsinki in immer grelleren Farben gezeichnet worden ist, noch einmal in Ruhe zu betrachten. Unstrittig ist und bleibt, dass Putin die Bühne des Gipfeltref­fens in der finnischen Hauptstadt als Sieger verlassen hat. Er verhandelt­e nicht nur auf Augenhöhe mit dem USPräsiden­ten, nein, Trump hofierte ihn regelrecht. Die tags zuvor beendete Fußball-Weltmeiste­rschaft in Russland, die weltweit als großartige­s Sportereig­nis gefeiert wurde, verstärkte diesen Eindruck zusätzlich.

Mehr noch als der Gipfel selbst und alle WM-Euphorie haben aber Trumps Entgleisun­gen im Vorfeld des Treffens von Helsinki (und auch danach) zum russischen Triumph beigetrage­n. Die Attacken des US-Präsidente­n auf die engsten Verbündete­n Großbritan­nien und Deutschlan­d, auf die NATO und die Europäisch­e Union haben den Westen als Staaten- und Wertegemei­nschaft endgültig an den Rand seiner Existenz geführt. Und genau davon, vom Ende des Westens, träumen die Strategen im Kreml spätestens seit dem Zerwürfnis der Jahre 2003 und 2004, als der Irak-Krieg und die ukrainisch­e Revolution in Orange das Thema „Regimewech­sel in Moskau“akut werden ließen. Das hat Putin nie vergessen.

Bei alldem gilt allerdings auch zu bedenken: Ein Niedergang des Westens, so er sich denn wirklich vollziehen sollte, ist noch lang nicht gleichbede­utend mit einem Wiederaufs­tieg Russlands. Dabei muss man die globale Rolle der zweitgrößt­en Nuklearmac­ht auf der Welt gar nicht in Zweifel ziehen. Der Vergleich mit China zeigt jedoch eklatant, wo die russischen Defizite liegen, die sich durch keinen noch so historisch­en Helsinki-Gipfel beseitigen lassen: Von einer echten gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Modernisie­rung kann im postsowjet­ischen Möchtegern-Imperium, anders als im Reich der Mitte, keine Rede sein.

Während China auf Hochtechno­logie und Digitalisi­erung setzt, auf Elektroaut­os und erneuerbar­e Energien, Medizintec­hnik und vieles andere mehr, ist die russische Wirtschaft weiterhin fast ausschließ­lich vom Öl- und Gassektor abhängig. Mehr als zwei Drittel der russischen Exporte hängen mit Rohstoffen zusammen. Es ist keineswegs bloße Polemik zu behaupten, dass Russlands klügste Köpfe als Hacker und Trolle für den Geheimdien­st arbeiten, statt das Land voranzubri­ngen.

An der andauernde­n wirtschaft­lichen Schwäche Russlands hat im Übrigen auch die Fußball-WM nichts geändert. Vielmehr nutzte der Kreml den Wirbel um das sportliche Großereign­is, um die Mehrwertst­euer von 18 auf 20 Prozent zu erhöhen, was zu weiter reduzierte­n Wachstumsp­rognosen geführt hat. Für 2019 gehen Ökonomen mittlerwei­le nur noch von einem Wachstum von 1,4 statt 2,2 Prozent aus. Ohnehin stagniert die Wirtschaft seit Beginn der Ukraine-Krise 2013. Während etwa der deutsche Aktieninde­x DAX seither um rund 50 Prozent an Wert zugelegt hat, büßte der russische Leitindex RTS in derselben Zeit mehr als 20 Prozent ein.

Aber auch außenpolit­isch ist Putins Lage, aus einiger Distanz betrachtet, keineswegs so gut, wie es auf den ersten Blick scheint. Beispiel Syrien: In dem Bürgerkrie­gsland ist zwar gegen den Willen Moskaus derzeit kein Frieden und auch kein neuer Staat zu machen. Aber je länger das russische Militär im Land bleiben muss, um den Status quo abzusicher­n, desto teurer wird der Einsatz – finanziell, aber auch politisch. Unterm Strich also wird Putins Russland derzeit eine Stärke und Größe zugeschrie­ben, die es nur bedingt hat. Es ist ein Scheinries­e, der schrumpft, wenn man ihm näherkommt und genauer hinsieht. AUSSEN@SN.AT

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BILD: SN/AP Putin weiß sich zu inszeniere­n, wie bei seiner Rede zur Lage der Nation im März.
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