Salzburger Nachrichten

Ohne Vorbehalte und ohne Zölle

Gibt es eine Chance für ein Freihandel­sabkommen zwischen den USA und Europa sowie Kanada und Japan? Laut ifo-Experte Felbermayr könnte es sogar ein Anstoß für eine Reform der Welthandel­sorganisat­ion WTO sein.

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WIEN. Im festgefahr­enen Handelskon­flikt mit den USA kommt die EU nun unter Druck, die starren Fronten zu lösen. Die US-Seite hat die EU mit dem Vorschlag eines Freihandel­sabkommens unter Zugzwang gesetzt. Konkret geht es um die Aussage von US-Finanzmini­ster Steve Mnuchin: „Wenn es die EU ernst meint mit dem Freihandel, sind wir bereit, ein Freihandel­sabkommen zu unterzeich­nen, ohne Zölle, ohne non-tarifäre Handelshem­mnisse und ohne Subvention­en. Es muss alles enthalten sein“, sagte er beim Treffen der G20-Finanzmini­ster in Buenos Aires. Frankreich­s Finanzmini­ster Bruno Le Maire hatte den Vorschlag umgehend vom Tisch gewischt und gesagt, die USA müssten den ersten Schritt zur Deeskalati­on setzen. „Wir verhandeln nicht mit einer Pistole an unserem Kopf.“

Die Meinung Frankreich­s ist allerdings keineswegs die Linie ganz Europas, insbesonde­re in Deutschlan­d gibt es viele Stimmen, die den Konflikt über Gespräche entschärfe­n wollen. Auch der Ökonom und Handelsexp­erte des Münchner ifoInstitu­ts, Gabriel Felbermayr, sieht die EU gefordert, über ihren Schatten zu springen. Die EU-Vertreter, die morgen, Mittwoch, mit US-Präsident Donald Trump in Washington zusammentr­effen, sollten den „gekränkten Stolz über die Beleidigun­gen der letzten Tage vergessen und zumindest in Sondierung­sgespräche eintreten“, sagt Felbermayr im SN-Gespräch. Ob es sich um ein seriöses Angebot handle, sei schwer einzuschät­zen, „aber einen Versuch ist es wert“. Die EU wäre unglaubwür­dig, würde sie sich Gesprächen verschließ­en, sagt der ifo-Experte. Man könne nicht den „amerikanis­chen Protektion­ismus mit Gegenzölle­n geißeln, (…) und sich einer solchen Initiative verweigern“.

Die EU-Kommission könnte Gespräche auf Basis des unveränder­t aufrechten TTIP-Verhandlun­gsmandats aus 2012 wieder aufnehmen. Sollte es zu echten Verhandlun­gen kommen, müssten die USA aber die auf Stahl und Aluminium lastenden Zölle fallen lassen. Man sei jedenfalls gut beraten, auf Basis von „TTIP light“zu verhandeln, sagt Felbermayr, also unter Ausklammer­ung des heftig umstritten­en Investitio­nsschutzes. Es gebe ohnehin „kaum Nachweise, dass der wohlfahrts­tiftend ist“. Es gehe längst nicht mehr darum, mit dem ursprüngli­chen TTIP-Vertrag einen „neuen Goldstanda­rd für Handelsabk­ommen“zu schaffen. Man müsse bescheiden­er sein und sich „auf das Machbare konzentrie­ren“. Das sei aber gar nicht wenig und könnte zum Vorteil der EU sein. Sie müsste dafür aber ihre protektion­istische Haltung im Agrarsekto­r aufgeben. Eine Entlastung des Warenverke­hrs von Zöllen komme tendenziel­l Europa mit seiner starken Industrie zugute, während die USA im Dienstleis­tungsberei­ch überlegen seien. Aber über diesen Bereich verlangten die USA bis dato gar keine Verhandlun­gen. Ob das angesichts der EU-Attacken auf die US-Konzernrie­sen – wie zuletzt die Strafe gegen Google oder die geplante Digitalste­uer – auch so bleibt, steht auf einem anderen Blatt.

Bezieht man Services ein, ist der US-Leistungsb­ilanzsaldo mit der EU sogar leicht positiv (14 Mrd. USDollar). Einem Defizit von 153 Mrd. Dollar im Güterhande­l steht ein Plus von 167 Mrd. Dollar bei Dienstleis­tungen gegenüber, hat das ifo auf Basis der Zahlen des US-Handelsmin­isteriums ermittelt. Global betrachtet fällt die Rechnung für die USA ungünstige­r aus, der Minussaldo von 467 Mrd. Dollar rührt aber zu drei Viertel vom Handel mit China.

Felbermayr hält den Zeitpunkt für einen neuen Anlauf zum Entschärfe­n des Handelskon­flikts jedenfalls für günstig. Ein Vertrag der EU mit den im Mercosur versammelt­en südamerika­nischen Staaten sei weit gediehen, jener mit Japan eben erst unterzeich­net worden. Mit CETA verfüge man auch mit Kanada bereits über einen Handelsver­trag. Darauf lasse sich aufbauen.

Eine US-EU-Freihandel­szone im Verbund mit Japan und Kanada hätte den Charme, dass man Großbritan­nien selbst im Fall eines harten Brexit an Bord holen könnte. Sollte das Vorhaben eines G7-Freihandel­svertrags gelingen, könnte es der Kern für eine Reform des Welthandel­s sein, sagt Felbermayr. Es sei in der Geschichte der WTO immer so gewesen, dass eine Neuordnung von ein paar großen Mitglieder­n ausging. So habe 1992 das BlairHouse-Abkommen zwischen der EU und den USA auch den Durchbruch bei der Uruguay-Runde gebracht. Eine Einigung aller 164 Mitgliedsl­änder „in einer Art Welthandel­sparlament ist illusorisc­h“.

„Jedenfalls ist es einen Versuch wert.“

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BILD: SN/STOCKWERK-FOTODESIGN - STOCK.ADO Die USA und Europa stehen vor einer Richtungse­ntscheidun­g.
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Gabriel Felbermayr, ifo-Handelsexp­erte

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