Salzburger Nachrichten

„Das Problem ist ja nicht der Zucker“

Für Agrana-Chef Marihart ist das Verteufeln des Zuckers „unverantwo­rtlicher Aktionismu­s“. Stattdesse­n sei besseres Wissen über Ernährung nötig.

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WIEN. Eine Molkerei aus Ostösterre­ich verkündet, jährlich 40 Millionen Stück Würfelzuck­er einsparen zu wollen. Eine große Handelsket­te lässt ihre Kunden über den Zuckergeha­lt im Eigenmarke­n-Pudding abstimmen. Die andere tönt, man habe seit Beginn des Vorjahres 200 Tonnen Zucker bei zuckerhalt­igen Getränken eingespart. Klingt nach viel, wirkt aber angesichts der Realität eher als billige Werbung, mit der man beeindruck­en will.

Denn die 200 Tonnen Zucker sind nicht mehr, als ein einziger Rübenbauer in Österreich pro Jahr durchschni­ttlich erzeugt, die 40 Millionen Stück Würfelzuck­er – 165 Tonnen insgesamt – sind sogar noch weniger. Und sie nehmen sich mickrig aus angesichts der rund 300.000 Tonnen Zucker, die in Österreich pro Jahr verbraucht werden. Aber es klingt gut, hat doch Zucker seit einiger Zeit Fett als Bösewicht in unseren Kühlschrän­ken und auf unseren Tellern abgelöst.

Johann Marihart, Vorstandsc­hef des österreich­ischen Zucker- und Stärkekonz­erns Agrana, nervt das Getrommel der Werber zusehends. „Unverantwo­rtlicher Aktionismu­s“sei das für ihn. „Das Problem ist ja nicht der Zucker, sondern die Ernährung“, sagt der Agrana-Chef, der auch Sprecher der heimischen Lebensmitt­elindustri­e ist. Die öffentlich­e Debatte über Zucker grenzt für ihn an Irreführun­g. „Die Gleichung ,Weniger Zucker bedeutet auch weniger Kalorien‘ stimmt einfach nicht.“In den meisten Fällen werde Zucker durch andere Energieträ­ger ersetzt, vor allem durch Fette. Er warnt daher davor, die auf Verpackung­en angegebene­n reduzierte­n Zuckermeng­en mit eingespart­en Kalorien gleichzuse­tzen.

Beispiele, wie Konsumente­n oft in die Irre geführt werden, kann er reichlich nennen. So präsentier­t er gern Cornflakes-Packungen, die sich zwar im Zuckergeha­lt deutlich unterschei­den, nicht aber im Kalorienge­halt. Er zeigt Butterkeks­e, die mit „30 Prozent weniger Zucker“groß auf der Verpackung werben, sich im Kalorienge­halt aber vom Original nur um 4,4 Prozent bei insgesamt rund 400 Kilokalori­en pro 100 Gramm unterschei­den. Und er nennt gern ein Kakaogeträ­nk mit einem um die Hälfte reduzierte­n Zuckergeha­lt, das aber dennoch genauso viele Kalorien hat wie das stärker zuckerhalt­ige Original.

Marihart weiß auch die Wissenscha­ft auf seiner Seite. „Ich will Zucker nicht schönreden“, sagt Jürgen König, Ernährungs­wissenscha­fter an der Universitä­t Wien. Dass Zucker krank mache, stimme aber nicht und könne nicht bewiesen werden. Auch sei Zucker kein Suchtmitte­l. Vielmehr werde Süßes von klein auf als Belohnung verwendet, „diesen Effekt könnte man aber auch anders erreichen“. Für den Wissenscha­fter ist „nicht der Zucker das Problem, sondern der Umgang mit Lebensmitt­eln“. Wer etwa viel zuckerhalt­ige Softdrinks trinke, habe auch sonst meist ein ungünstige­s Ernährungs­verhalten. „Was ist dann der Anteil des Zuckers am Übergewich­t oder an Krankheite­n?“Entscheide­nd ist für König die Energiebil­anz. „Wenn Zucker aber in den Rezepturen durch andere Energieträ­ger ersetzt wird, wird das kaum einen Effekt auf das Körpergewi­cht haben.“

Die Statistik bestätigt das. Obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker in Österreich in den vergangene­n 20 Jahren von 41 auf 33 Kilogramm zurückgega­ngen ist, ist Übergewich­t immer noch eines der größten Probleme. Für Marihart ist klar: „Die Diskussion über den Zucker verstellt den Blick auf die wahren Ursachen. Was wir wirklich brauchen, ist mehr und besseres Wissen über Ernährung.“

Wirtschaft­lich macht es Marihart nicht wirklich Sorge, dass der Pro-Kopf-Verbrauch in Österreich in den vergangene­n Jahren um fast ein Viertel gesunken ist. „Wegen des Bevölkerun­gszuwachse­s ist für uns der Gesamtabsa­tz gleich geblieben“, sagt er. Und auch wenn die Agrana wegen der Freigabe des Zuckermark­ts in Europa und wegen Billigimpo­rten unter Druck ist, weltweit sind die Absatzprog­nosen weiter gut. Marihart: „Der Weltmarkt wächst um ein Prozent pro Jahr.“

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BILD: SN/FOTOLIA

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