Salzburger Nachrichten

Wir haben verlernt, zivilisier­te Debatten zu führen

Nicht nur im Internet ist vielen Menschen die Fähigkeit abhandenge­kommen, andere Meinungen zu akzeptiere­n.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Beschimpfu­ngen kommen von überall. Wer zwar feststellt, Menschen, die im Mittelmeer Schiffbruc­h erlitten, müssten gerettet werden, aber trotzdem fragt, ob man damit nicht den Schleppern hilft, der muss sich auf gewaltigen Gegenwind und Beschimpfu­ngen von links einstellen. Wer Fremde aufnimmt, unterstütz­t und ihnen bei der Integratio­n hilft, der wird bald von rechten Trollen hören, die ihm alles Schlechte an den Hals wünschen.

Dies passierte erst kürzlich. Die deutsche Wochenzeit­ung „Die Zeit“publiziert­e ein „Pro und Contra“über die NGOs, die Flüchtling­e aus dem Mittelmeer fischen. Nicht nur von rechts kamen trollartig­e Postings, auch von links aus jenem Teil der Bevölkerun­g, der für sich in Anspruch nimmt, Meinungsfr­eiheit hochzuhalt­en.

Leider stellt sich heraus, dass Meinungsfr­eiheit mittlerwei­le ein Gut ist, das man für sich selbst beanspruch­t, es dem Andersdenk­enden aber nicht zugestehen will. Wer anderer Meinung ist, so scheint die neue Diskussion­smoral zu heißen, den darf ich beschimpfe­n, ihn einen Idioten und Verbreiter von Fake News heißen. Das ist besonders bedauerlic­h, weil es die Entlarvung von tatsächlic­hen Fake-News-Verbreiter­n erschwert und weil es echte Dummköpfe in die Nähe tatsächlic­h anständige­r und kluger Köpfe rückt.

Erstaunlic­h dabei, dass „Moral“sehr wesentlich zu diesem Niedergang des vernünftig­en und ehrlichen Diskurses beigetrage­n hat. Denn jede Seite argumentie­rt mit einem „moralische­n Anspruch“. Die einen damit, dass es die Moral gebiete, zum Beispiel die eigene Bevölkerun­g gegen zugewander­te „Schmarotze­r“und „potenziell­e Terroriste­n“zu schützen, die anderen halten die moralische Pflicht hoch, dem Nächsten zu helfen, besonders wenn er gerade irgendwo im Mittelmeer am Ertrinken ist.

Ließe sich das noch auf die Flüchtling­sde- batte beschränke­n, wäre es ja noch erträglich. Doch die diskursive Intoleranz infiltrier­t ja auch den normalen politische­n Dialog. Regierung und Opposition kennen in der parlamenta­rischen Auseinande­rsetzung offenbar nur noch die verbale Keule statt des Floretts der Argumentat­ion. Daran tragen beide Teile ein gerüttelt Maß an Schuld. Die Rundumschl­äge mancher blauer Minister gegen jeden Anflug von Kritik von Opposition oder Medien sprechen Bände. Und auf der anderen Seite gibt es genug untergriff­ige Attacken.

Auch wenn etliches an der Regierungs­politik auszusetze­n ist, wird es nur noch öd, dem Kanzler seine Jugend und die Tatsache vorzuhalte­n, dass er sein Studium abgebroche­n hat. Es gäbe genug andere Dinge, die man ihm vorhalten könnte, ohne in die unterste Schublade mit dem meisten Schlamm zu greifen.

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