Salzburger Nachrichten

Auf der anderen Seite der Barrikade

Daniel Ortega kämpfte in den 1970er-Jahren für Demokratie in Nicaragua. Als Präsident kämpft er nur mehr für eines: Machterhal­t.

- Klaus Ehringfeld berichtet für die SN aus Lateinamer­ika

Geschichte wiederholt sich eben doch. Das kann man gerade erschrecke­nd deutlich in dem kleinen zentralame­rikanische­n Staat Nicaragua sehen, dem Herzland aller Achtzigerj­ahre-Linken. Seit drei Monaten kämpfen dort vor allem junge Menschen für Demokratie, Freiheitsr­echte und gegen eine Regierung, die zunehmend diktatoris­ch agiert. Eine Regierung, die Polizei, Paramilitä­rs und Panzerwage­n einsetzt gegen Studenten, die sich hinter Barrikaden aus Wackerstei­nen verstecken und vor allem handgemach­te Waffen haben. Das kommt einem bekannt vor.

Vor 40 Jahren kämpfte ein junger Daniel Ortega, gerade etwas über 30 Jahre alt, gemeinsam mit Dichtern und Denkern, Sängern, Malern und anderen Revolution­ären für Demokratie, Freiheitsr­echte und gegen einen kalten Schlächter wie Anastasio Somoza. Als sie am 19. Juli 1979 siegten und Nicaragua frei war, da überschütt­ete die Welt das kleine Land in Mittelamer­ika mit Sympathie und Solidaritä­t. Es war so, als würden die Uhren wieder auf null gestellt.

Nun haben wir 2018, und Daniel Ortega ist immer noch da. Nur steht er dieses Mal auf der anderen Seite der Barrikaden. Dieses Mal ist er es, der anordnet, auf die Aufständis­chen zu schießen. Mehr als 300 Tote sind seit Beginn der Proteste gegen die ehemals linke, aus dem Sandinismu­s entstanden­e Regierung am 18. April zu beklagen. Zum Vergleich: Bei den Demonstrat­ionen gegen Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro kamen im gesamten vergangene­n Jahr nur halb so viele Menschen um.

Keiner der vielen gefallenen linken Helden Lateinamer­ikas hat einen so weiten Weg ins Unrecht gemacht wie der 72 Jahre alte Nicaraguan­er. Nicht Hugo Chávez seinerzeit in Venezuela, nicht einmal sein Nachfolger Maduro, auch nicht Lula da Silva in Brasilien oder Cristina Kirchner in Argentinie­n. Alle können oder konnten sie nicht von der Macht lassen, haben sich bereichert, bei Bestechung weggeschau­t oder ihr Land in Armut und Chaos gezerrt. Aber Daniel Ortega ist vom Freiheitsh­elden zum Unterdrück­er geworden.

Dieser Tage hallt in den Straßen ganz Nicaraguas das Mantra der Proteste wider: „Daniel y Somoza son la misma cosa“, „Daniel und Somoza sind die Gleichen“. 39 Jahre nach dem Sieg der Revolution ist die ganze Welt nur noch entsetzt. Die UNO, fast ganz Lateinamer­ika, die Europäisch­e Union, Musiker, Schriftste­ller, Sportler – alle fordern ein Ende dessen, was die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch als das „größte Blutbad der vergangene­n 30 Jahre in der Region“geißelt.

Ortega gleicht sich tatsächlic­h immer mehr dem Diktator an, den er einst zu vertreiben half. Nur dass er seine Familiendy­nastie noch ein bisschen moderner und breiter aufgestell­t hat. Seine Frau Rosario Murillo ist seit vergangene­m Jahr Vizepräsid­entin und soll den kränkelnde­n Präsidente­n einmal an der Macht ablösen. Die Geschäfte hinter den Kulissen führt die 67-Jährige ohnehin schon lange. Zudem haben alle neun Kinder Ortegas und Murillos wichtige Positionen inne, kontrollie­ren fast alle Fernseh- und Radiosende­r des Landes, fungieren als Berater und Minister. Familienmi­tgliedern des Staatschef­s gehören Hotels, Werbeunter­nehmen, Blumenläde­n. Ein Sohn und dessen Frau kontrollie­ren das Benzingesc­häft und die Spritabgab­e über die staatliche­n Tankstelle­n.

Ortega regierte Nicaragua schon einmal, von 1984 bis 1990, dann verlor er die Wahl und gab die Macht ab. Seit 2007 ist er zurück und hat seither alles getan, die Macht nicht wieder abgeben zu müssen. Er hat sich mit korrupten Politikern verbündet und Unternehme­r für sich gewonnen. Er hat die Verfassung gebeugt und seine Gegner politisch kaltgestel­lt. Heute ist der frühere Revolution­är einer dieser lateinamer­ikanischen Herrscher, die weder links noch rechts sind, sondern deren einzige Ideologie der Machterhal­t ist.

Nicaragua steht mitten in einer neuen, friedliche­n Revolution. Niemand propagiert den bewaffnete­n Kampf gegen das zunehmend im Unrecht regierende Regime. Aber der Präsident will bis 2021 weiterregi­eren, lehnt Neuwahlen ab. „Vorgezogen­e Wahlen schaffen Instabilit­ät, Unsicherhe­it und machen alles schlechter“, sagte er am Montag in einem Interview mit dem USSender Fox News. Es war das erste, das er seit 2009 gab.

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BILD: SN/AFP Ortega bei der jährlichen Feier zum Sieg der Revolution von 1979.
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