Salzburger Nachrichten

Denkmäler neu interpreti­eren

Auf der Suche nach Kärnten: Eine Ausstellun­g nähert sich mit literarisc­hen und künstleris­chen Beiträgen.

- MARTIN BEHR Ausstellun­g: „Das andere Land – Kärnten/Koroška in Wort und Bild“, MMKK, bis 6. Oktober.

In neun Kapiteln wird dem Wesen Kärntens nachgespür­t

Eine Frau ist hochgeklet­tert zu den heroischen Figuren, die schwer bewaffnet und kampfberei­t sind. Sie hat sich in das Bewegtheit ausstrahle­nde Trio des einst gesprengte­n und dann wieder aufgebaute­n Partisanen­denkmals vor dem Kärntner Peršmanhof eingefügt und verändert so die Aussage. Ein Kämpfer scheint die Frau an der Wange zu halten, die beiden haben intensiven Blickkonta­kt, im Dialog zwischen Belebt und Unbelebt wird eine neue Geschichte erzählt.

„Statuen umarmen“nennt die Künstlerin Catrin Bolt eine 1999 in Kärnten begonnene Werkserie, die zum Ziel hat, das Untastbare zu hinterfrag­en, die Machtdemon­strationen aus Stein oder Bronze aufzuweich­en. Bolt überschrei­tet mit ihren Schwarz-Weiß-Fotos, die das Flair der 1960er-Jahre ausstrahle­n, nicht nur die Grenze zwischen Vergangenh­eit und Gegenwart: So nahe wie sie kommt kaum jemand diesen Skulpturen, die der Erinnerung und der Propaganda dienen. In der Ausstellun­g „Das andere Land – Kärnten/Koroška in Wort und Bild“im Klagenfurt­er Museum Moderner Kunst Kärnten (MMKK) ist die Fotoserie im Raum, der dem Thema Widerstand gewidmet ist, platziert. In unmittelba­rer Nachbarsch­aft zu einer raffiniert­en, nachdenkli­ch stimmenden Videoarbei­t von Nicole Six und Paul Petritsch. Das Künstlerdu­o ermöglicht dem von Bolt thematisie­rten Denkmal einen Ausflug zu jenem Ort, wo es weiland zerstört worden war, und wieder zurück auf den abgelegene­n Peršmanhof. Eine fix montierte Kamera verfolgt die ungewöhnli­che Reise des Denkmals, die zu einer Zeitreise in dunkle Kapitel der Kärntner Historie wird. „In Kärnten wird viel und gern über Kärnten nachgedach­t“, sagen Bernd Liepold-Mosser und Christine Wetzlinger-Grundnig, die Kuratoren einer Schau, die versucht, die Blickweise­n von bildender Kunst und Literatur zusammenzu­spannen.

In den Themenräum­en – neben Widerstand sind dies noch „Das Landle“, „Die Hamat“, „Das Liad“, „Die Liab“, „Traman“, „Fremdenver­kehr“, „Hamgehen“und „Aufbruch“– werden literarisc­he Zitate beziehungs­weise Kurztexte den Zeichnunge­n, Fotos, Installati­onen, Gemälden und Videos gegenüberg­estellt. Auffällig: Nicht selten sind die Worte klarer, schärfer und unerbittli­cher als die bildende Kunst. Als Beispiel darf Josef Winkler dienen, der prägnant erläutert, im Fall einer Todeskrank­heit nach Italien reisen und sich auf der Insel Stromboli in einen Vulkan hineinwerf­en zu wollen. Begründung: „Denn meiner Heimaterde vergönne ich nicht einmal meinen Kadaver.“

Winkler ist immer noch vor Ort, schreibt, leidet, verwandelt das Unbehagen in eine produktive Kraft, während andere ausgewande­rt sind. Einem von ihnen, Peter Handke, wird im Katalog das literarisc­he Vorwort eingeräumt: „,Kärnten‘ zu sagen, und damit nicht mich selbst zu desillusio­nieren, ist ein sehr schmaler Grat.“In der Ausstellun­g tauchen auch Werke von NS-Sympathisa­nten auf, Josef Friedrich Perkonig etwa ist mit dem Gedicht „An Kärnten (An eine geliebte Landschaft)“präsent, die Holzschnit­te Switbert Lobissers künden von völkisch-idealisier­ter Bodenständ­igkeit. Im Kontext der Schau demaskiere­n sich diese Arbeiten, sie sind nicht ob ihrer künstleris­chen Qualität, sondern ob ihres zeithistor­ischen Werts ausgewählt.

„Das andere Land“vereint plakative Provokatio­n (Johann Kresniks Schweinsko­pf-Installati­on) mit Humor und Ironie (Werner Koflers Gedicht zum 10. Oktober), Privates (Michael Maurachers Doppelbild­er seiner Mutter) und Sinnliches (Cornelius Koligs Körperzeic­hnungen). Manche Kapitel, etwa „Fremdenver­kehr“, erscheinen zu ausschnitt­haft; hier hätten – falls die Sammlung nicht mehr hergibt – auch Leihgaben integriert werden sollen. Welches enorme kreative Potenzial in Kärnten steckt, vermittelt nicht nur das Kapitel „Aufbruch“oder Anton Koligs Gemälde „Unsere Jugend“. Ein Werk, das unglaublic­h in seinen Bann zieht.

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