Denkmäler neu interpretieren
Auf der Suche nach Kärnten: Eine Ausstellung nähert sich mit literarischen und künstlerischen Beiträgen.
In neun Kapiteln wird dem Wesen Kärntens nachgespürt
Eine Frau ist hochgeklettert zu den heroischen Figuren, die schwer bewaffnet und kampfbereit sind. Sie hat sich in das Bewegtheit ausstrahlende Trio des einst gesprengten und dann wieder aufgebauten Partisanendenkmals vor dem Kärntner Peršmanhof eingefügt und verändert so die Aussage. Ein Kämpfer scheint die Frau an der Wange zu halten, die beiden haben intensiven Blickkontakt, im Dialog zwischen Belebt und Unbelebt wird eine neue Geschichte erzählt.
„Statuen umarmen“nennt die Künstlerin Catrin Bolt eine 1999 in Kärnten begonnene Werkserie, die zum Ziel hat, das Untastbare zu hinterfragen, die Machtdemonstrationen aus Stein oder Bronze aufzuweichen. Bolt überschreitet mit ihren Schwarz-Weiß-Fotos, die das Flair der 1960er-Jahre ausstrahlen, nicht nur die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart: So nahe wie sie kommt kaum jemand diesen Skulpturen, die der Erinnerung und der Propaganda dienen. In der Ausstellung „Das andere Land – Kärnten/Koroška in Wort und Bild“im Klagenfurter Museum Moderner Kunst Kärnten (MMKK) ist die Fotoserie im Raum, der dem Thema Widerstand gewidmet ist, platziert. In unmittelbarer Nachbarschaft zu einer raffinierten, nachdenklich stimmenden Videoarbeit von Nicole Six und Paul Petritsch. Das Künstlerduo ermöglicht dem von Bolt thematisierten Denkmal einen Ausflug zu jenem Ort, wo es weiland zerstört worden war, und wieder zurück auf den abgelegenen Peršmanhof. Eine fix montierte Kamera verfolgt die ungewöhnliche Reise des Denkmals, die zu einer Zeitreise in dunkle Kapitel der Kärntner Historie wird. „In Kärnten wird viel und gern über Kärnten nachgedacht“, sagen Bernd Liepold-Mosser und Christine Wetzlinger-Grundnig, die Kuratoren einer Schau, die versucht, die Blickweisen von bildender Kunst und Literatur zusammenzuspannen.
In den Themenräumen – neben Widerstand sind dies noch „Das Landle“, „Die Hamat“, „Das Liad“, „Die Liab“, „Traman“, „Fremdenverkehr“, „Hamgehen“und „Aufbruch“– werden literarische Zitate beziehungsweise Kurztexte den Zeichnungen, Fotos, Installationen, Gemälden und Videos gegenübergestellt. Auffällig: Nicht selten sind die Worte klarer, schärfer und unerbittlicher als die bildende Kunst. Als Beispiel darf Josef Winkler dienen, der prägnant erläutert, im Fall einer Todeskrankheit nach Italien reisen und sich auf der Insel Stromboli in einen Vulkan hineinwerfen zu wollen. Begründung: „Denn meiner Heimaterde vergönne ich nicht einmal meinen Kadaver.“
Winkler ist immer noch vor Ort, schreibt, leidet, verwandelt das Unbehagen in eine produktive Kraft, während andere ausgewandert sind. Einem von ihnen, Peter Handke, wird im Katalog das literarische Vorwort eingeräumt: „,Kärnten‘ zu sagen, und damit nicht mich selbst zu desillusionieren, ist ein sehr schmaler Grat.“In der Ausstellung tauchen auch Werke von NS-Sympathisanten auf, Josef Friedrich Perkonig etwa ist mit dem Gedicht „An Kärnten (An eine geliebte Landschaft)“präsent, die Holzschnitte Switbert Lobissers künden von völkisch-idealisierter Bodenständigkeit. Im Kontext der Schau demaskieren sich diese Arbeiten, sie sind nicht ob ihrer künstlerischen Qualität, sondern ob ihres zeithistorischen Werts ausgewählt.
„Das andere Land“vereint plakative Provokation (Johann Kresniks Schweinskopf-Installation) mit Humor und Ironie (Werner Koflers Gedicht zum 10. Oktober), Privates (Michael Maurachers Doppelbilder seiner Mutter) und Sinnliches (Cornelius Koligs Körperzeichnungen). Manche Kapitel, etwa „Fremdenverkehr“, erscheinen zu ausschnitthaft; hier hätten – falls die Sammlung nicht mehr hergibt – auch Leihgaben integriert werden sollen. Welches enorme kreative Potenzial in Kärnten steckt, vermittelt nicht nur das Kapitel „Aufbruch“oder Anton Koligs Gemälde „Unsere Jugend“. Ein Werk, das unglaublich in seinen Bann zieht.