Ein Wüterich outet sich
Ein tragikomisches Ritterdrama verträgt durchaus den abgründigen Witz unserer Zeit. Das beweist Axel Ranischs Inszenierung von Haydns „Orlando Paladino“in München.
MÜNCHEN. Es ist Eifersucht, die den Ritter Orlando reitet. Der Wüterich folgt seiner Traumfrau Angelica und deren Lover Medoro. Auf dem Weg hinterlässt er verbrannte Erde. Von den Sitzreihen eines Kinosaals sind fünf Stühle übergeblieben – und ein totes Pferd. Die zerstörte Luxus-Suite aus dem Film „Hangover“mag Pate gestanden haben für das Chaos, das sich im zweiten Akt von „Orlando Paladino“auftut. Weil wir uns in einer Inszenierung des Filmemachers Axel Ranisch befinden, spielt das Ritterdrama in einem heruntergewirtschafteten Kino.
Ein begleitender Kurzfilm während der Ouvertüre zeigt bereits, wohin die Reise in der letzten Saisonpremiere der Bayerischen Staatsoper, Montag im Prinzregententheater, geht. Ranisch ersetzt gängigen Opernhumor durch erfrischend schamlosen Witz unserer Zeit. Eine ganze Generation ist mit Josef Haders und Alfred Dorfers Kinohit „Indien“, der TV-Serie „Schlawiner“oder der britischen Satire „The Office“von Ricky Gervais groß geworden, deren Wesenskern groteske Alltagsszenen sind. Es ist die Komik des scheinbar Unbeobachteten, der menschlichen Peinlichkeiten und Abgründe.
Ranisch selbst hat 2013 mit „Ich fühl mich Disco“eine bunte Berliner Variante dieser neuen tragikomischen Form beigesteuert. Heiko Pinkowski verkörperte damals den überforderten Vater, der mit einem schwulen Sohn klarkommen muss. Nun steht Pinkowski als stummer Deus ex Machina auf der Bühne des Prinzregententheaters: Heiko Herz ist ein Kinobetreiber, der seine homosexuellen Neigungen im stillen Kämmerchen auslebt, während die Gattin – Gabi Herz spielt Gabi Herz – mit dem Hausmeister zugange ist.
Daraus formt Ranisch eine zweite, dem Ritterdrama beigegebene Handlungsebene, die sich auch auf einer Kinoleinwand abspielt. Zunächst beobachtet Heiko Herz noch die verworrene Geschichte um Orlando, der Angelica hinterherhetzt, aber selbst vom Gegenspieler Rodomonte gejagt wird. Die vom Treiben der Eltern verwirrte Tochter wiederum schlüpft in die Opernrolle der Zauberin Alcina – Tara Erraught zeigt starke dramatische MezzoQualitäten – und beginnt, die Fäden zu ziehen. Als der Ritter den Kinosaal zerstört, greift auch der Herr Papa ein: Er entführt Orlando und Rodomonte.
Ranisch versieht diese Volten mit vielen Details und großer Liebe zu seinen Außenseiterfiguren. Dass bei der doch etwas überbordenden Fülle an Regieideen die eigentliche Oper nicht auf der Strecke bleibt, dafür sorgt das Münchener Kammerorchester unter Ivor Bolton. Der frühere Chefdirigent des Mozarteumorchesters haucht Haydns „Dramma eroicomico“Witz und Feuer ein und hält dieses wirre Haken schlagende Werk über drei Stunden am Lodern. Dafür wird er vom Publikum zurecht gefeiert.
Der federnde, schlanke Orchesterklang trägt das junge Sängerensemble, voran Adela Zaharia als Edelfrau Angelica. Die rumänische Sopranistin muss ihre nuancenund schattierungsreiche Stimme zwar noch von leichter Intonationstrübung befreien. In vielen Momenten aber lässt sie ihr immenses Potenzial aufblitzen.
Die Dienerfiguren Eurilla und Pasquale sind bei Elena Sancho Pereg und David Portillo gut aufgehoben, einem quirligen, auch stimmlich wendigen Paar. Der US-Tenor meistert auch die virtuosen Hürden der berühmten Musikerarie mit ihren musikalischen Insiderschmähs souverän.
Mathias Vidal versieht die Titelfigur mit dunkler Tenorkraft, während Edwin Crossley-Mercers Rodomonte einen stimmlich wie körperlich höchst agilen Widerpart gibt. Regisseur Ranisch lässt es zwischen den beiden Rivalen zuletzt übrigens funken – das erlösende Coming-out für den wütenden Ritter.
Es gab sowohl begeisterte Bravos als auch laute Buhrufe für ein mutiges Regiekonzept. Oper: