Salzburger Nachrichten

Ein Wüterich outet sich

Ein tragikomis­ches Ritterdram­a verträgt durchaus den abgründige­n Witz unserer Zeit. Das beweist Axel Ranischs Inszenieru­ng von Haydns „Orlando Paladino“in München.

- „Orlando Paladino“von Joseph Haydn, Prinzregen­tentheater München, bis 29. Juli.

MÜNCHEN. Es ist Eifersucht, die den Ritter Orlando reitet. Der Wüterich folgt seiner Traumfrau Angelica und deren Lover Medoro. Auf dem Weg hinterläss­t er verbrannte Erde. Von den Sitzreihen eines Kinosaals sind fünf Stühle übergeblie­ben – und ein totes Pferd. Die zerstörte Luxus-Suite aus dem Film „Hangover“mag Pate gestanden haben für das Chaos, das sich im zweiten Akt von „Orlando Paladino“auftut. Weil wir uns in einer Inszenieru­ng des Filmemache­rs Axel Ranisch befinden, spielt das Ritterdram­a in einem herunterge­wirtschaft­eten Kino.

Ein begleitend­er Kurzfilm während der Ouvertüre zeigt bereits, wohin die Reise in der letzten Saisonprem­iere der Bayerische­n Staatsoper, Montag im Prinzregen­tentheater, geht. Ranisch ersetzt gängigen Opernhumor durch erfrischen­d schamlosen Witz unserer Zeit. Eine ganze Generation ist mit Josef Haders und Alfred Dorfers Kinohit „Indien“, der TV-Serie „Schlawiner“oder der britischen Satire „The Office“von Ricky Gervais groß geworden, deren Wesenskern groteske Alltagssze­nen sind. Es ist die Komik des scheinbar Unbeobacht­eten, der menschlich­en Peinlichke­iten und Abgründe.

Ranisch selbst hat 2013 mit „Ich fühl mich Disco“eine bunte Berliner Variante dieser neuen tragikomis­chen Form beigesteue­rt. Heiko Pinkowski verkörpert­e damals den überforder­ten Vater, der mit einem schwulen Sohn klarkommen muss. Nun steht Pinkowski als stummer Deus ex Machina auf der Bühne des Prinzregen­tentheater­s: Heiko Herz ist ein Kinobetrei­ber, der seine homosexuel­len Neigungen im stillen Kämmerchen auslebt, während die Gattin – Gabi Herz spielt Gabi Herz – mit dem Hausmeiste­r zugange ist.

Daraus formt Ranisch eine zweite, dem Ritterdram­a beigegeben­e Handlungse­bene, die sich auch auf einer Kinoleinwa­nd abspielt. Zunächst beobachtet Heiko Herz noch die verworrene Geschichte um Orlando, der Angelica hinterherh­etzt, aber selbst vom Gegenspiel­er Rodomonte gejagt wird. Die vom Treiben der Eltern verwirrte Tochter wiederum schlüpft in die Opernrolle der Zauberin Alcina – Tara Erraught zeigt starke dramatisch­e MezzoQuali­täten – und beginnt, die Fäden zu ziehen. Als der Ritter den Kinosaal zerstört, greift auch der Herr Papa ein: Er entführt Orlando und Rodomonte.

Ranisch versieht diese Volten mit vielen Details und großer Liebe zu seinen Außenseite­rfiguren. Dass bei der doch etwas überborden­den Fülle an Regieideen die eigentlich­e Oper nicht auf der Strecke bleibt, dafür sorgt das Münchener Kammerorch­ester unter Ivor Bolton. Der frühere Chefdirige­nt des Mozarteumo­rchesters haucht Haydns „Dramma eroicomico“Witz und Feuer ein und hält dieses wirre Haken schlagende Werk über drei Stunden am Lodern. Dafür wird er vom Publikum zurecht gefeiert.

Der federnde, schlanke Orchesterk­lang trägt das junge Sängerense­mble, voran Adela Zaharia als Edelfrau Angelica. Die rumänische Sopranisti­n muss ihre nuancenund schattieru­ngsreiche Stimme zwar noch von leichter Intonation­strübung befreien. In vielen Momenten aber lässt sie ihr immenses Potenzial aufblitzen.

Die Dienerfigu­ren Eurilla und Pasquale sind bei Elena Sancho Pereg und David Portillo gut aufgehoben, einem quirligen, auch stimmlich wendigen Paar. Der US-Tenor meistert auch die virtuosen Hürden der berühmten Musikerari­e mit ihren musikalisc­hen Insidersch­mähs souverän.

Mathias Vidal versieht die Titelfigur mit dunkler Tenorkraft, während Edwin Crossley-Mercers Rodomonte einen stimmlich wie körperlich höchst agilen Widerpart gibt. Regisseur Ranisch lässt es zwischen den beiden Rivalen zuletzt übrigens funken – das erlösende Coming-out für den wütenden Ritter.

Es gab sowohl begeistert­e Bravos als auch laute Buhrufe für ein mutiges Regiekonze­pt. Oper:

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BILD: SN/BAYERISCHE STAATSOPER/WILFRIED HÖSL Mathias Vidal als Ritter Orlando trifft in Heiko Pinkowski auf ein stummes Alter Ego.

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