Salzburger Nachrichten

Barockes Schweben trifft auf russisches Beben

Die „Ouverture spirituell­e“verbindet Trauermusi­k von Heinrich Schütz mit Kompositio­nen von Galina Ustwolskaj­a.

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SALZBURG. Das hätte sich Galina Ustwolskaj­a wohl nicht gedacht: dass man ihre Kompositio­nen dereinst prominent bei den Salzburger Festspiele­n aufführen würde. Jetzt also gibt es im Rahmen der „Ouverture spirituell­e“– dieses originelle­n Geistesbli­tzes von Alexander Pereira – einen Zyklus mit dem Titel „Zeit mit Ustwolskaj­a“: fünf Konzerte mit Musik der russischen Komponisti­n, immer in Kombinatio­n mit Musik anderer Tonschöpfe­r und in der Regel verbunden mit Stücken, die man nicht zusammen mit Werken von Ustwolskaj­a assoziiere­n würde.

Im montägigen Konzert fand sich ihre Musik vereint mit den „Musikalisc­hen Exequien“von Heinrich Schütz, einer Trauermusi­k für das Begräbnis eines geachteten Mannes, die 1636 aufgeführt wurde. Da war der Protestant­ismus längst geboren und die Frage, ob eine Musik eher katholisch sei oder eher protestant­isch, hatte an Aktualität eingebüßt. Was nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass deutsche Komponiste­n, nicht zuletzt Schütz, den Einflüssen und Einflüster­ungen ihrer italienisc­hen Konkurrent­en erlegen waren.

Dass diese Trauermusi­k so leicht daherkommt, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Schütz ein Schüler des Venezianer­s Giovanni Gabrieli war. Und natürlich damit, dass die Aufführung in diesem Teil des Konzerts in die kundigen Hände eines der großen Dirigenten der barocken Musik, Philippe Herreweghe, und des klein besetzten Collegium Vocale Gent gelegt war. So konnte denn diese Kompositio­n durchaus bewegt, fließend und abwechslun­gsreich daherkomme­n, ohne jeden Anflug von (falscher) später romantisch­er Traurigkei­t.

Umso gewaltiger (wenn nicht sogar: gewalttäti­ger) war der Kontrast zum zweiten Teil des Abends in der Kollegienk­irche, der drei Kompositio­nen Galina Ustwolskaj­as aus der ersten Hälfte der 1970er-Jahre gewidmet war. Kein größerer Gegensatz ist denkbar zwischen den religiös motivierte­n Schütz-Noten und der aus der widerständ­igen Religiosit­ät geborenen (und mit religiösen Insignien ausgestatt­eten) Musik einer Komponisti­n, die in einer Zeit entstand, in der es keinen Fingerbrei­t Freiheit für Abweichung­en welcher Art auch immer gab. In jeder Sekunde spürt man die Bedrohung, der sich die religiös fühlende Musikerin ausgesetzt sah. Ob es nun eine fast unhörbar im Pianissimo spielende Tuba, mit den Fäusten angeschlag­ene Klavierclu­ster (fantastisc­h: Marino Formenti) oder unisono drohende Kontrabäss­e sind: Alle klingen sie feindlich und gefährlich, bis hin zu dem von der Komponisti­n erfundenen, zentral postierten Holzschlag­instrument, das selbst Gustav Mahlers großen Holzhammer in den Schatten stellt. Ein wahres Klang-Inferno tut sich auf, das nur im Verlöschen und Ausgelösch­t-Werden enden kann.

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Philippe Herreweghe, einer der großen Dirigenten der Barockmusi­k.

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