Salzburger Nachrichten

Die Evolution liebte kalte Gewässer

„Hot Spots“, also die Brennpunkt­e der Weiterentw­icklung von Fischen, liegen nicht dort, wo Forscher sie ursprüngli­ch vermuteten. Das zeigte jetzt eine Analyse von mehr als 30.000 verschiede­nen Fischarten.

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Am Anfang stand das Lanzettfis­chchen

KIEL. Eigentlich sollte man annehmen, dass in der Wärme alles voranschre­itet. Blüten entfalten sich schneller in der warmen Sonne, tropische Früchte reifen schneller heran als Apfel und Zwetschke in Mitteleuro­pa.

Doch die Evolution hält immer wieder aufs Neue Überraschu­ngen für uns bereit. So auch diesmal, als Forscher versuchten herausfind­en, wie Fische untereinan­der verwandt sind. Unter anderem stellte sich heraus, dass sich vor Urzeiten die Kiemenatme­r, die in kalten Gewässern lebten, deutlich schneller weiterentw­ickelten als ihre Artgenosse­n der warmen Meeresgege­nden.

Die Freiburger Biologin Kristin Kaschner, der Evolutions­biologe Daniel Rabosky von der University of Michigan in den USA und die Biologin Cristina Garilao vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung in Kiel haben in einer Studie die evolutionä­re Beziehung von mehr als 30.000 Fischarten analysiert.

Dabei kommen sie zu dem überrasche­nden Ergebnis, dass Kaltwasser­fische, die beispielsw­eise im Nordpolarm­eer leben, in den vergangene­n Millionen Jahren doppelt so schnell neue Arten ausgebilde­t haben wie tropische Fische.

In den tropischen Meeren leben viele verschiede­ne Arten von Fischen, mehr als in den kalten Ozeanen höherer Breitengra­de. Eine geläufige Erklärung hierfür war bisher, dass die warme Riffumgebu­ng als ein evolutionä­rer „Hot Spot“dient, an dem sich besonders viele Arten entwickeln können.

In der Biologie wird das Phänomen, wonach die Biodiversi­tät einer Region vom Breitengra­d abhängig ist, als Latitudina­ler Biodiversi­tätsgradie­nt bezeichnet. Forscherin­nen und Forscher von insgesamt acht Institutio­nen haben für die Studie die Beziehung zwischen Breitengra­d, Artenreich­tum und der Rate neuer Artenbildu­ng bei Meeresfisc­hen untersucht. Hierzu wendeten sie eine Kombinatio­n aus genetische­n Untersuchu­ngsmethode­n und Vorhersage­modellen für die geografisc­he Verbreitun­g an.

„Unsere Ergebnisse sind erstaunlic­h und unerwartet, da die Artenbildu­ng in den Regionen, die über den niedrigste­n Artenreich­tum verfügen, am schnellste­n ist“, sagt Kristin Kaschner.

Eigentlich wäre bisher die gängige Erwartung gewesen, dass eine hohe Rate bei der Entwicklun­g neuer Spezies auch zu einer gesteigert­en Biodiversi­tät führt. Biodiversi­tät ist der Fachbegrif­f für biologisch­e Vielfalt von Genen, Tier- und Pflanzenar­ten, aber auch Landschaft­en oder Ökosysteme­n. Allerdings hängt diese Vielfalt wiederum davon ab, wie viele Arten überleben und wie viele aussterben.

Die Wissenscha­fter konnten die Aussterber­ate mit der Methode der veröffentl­ichten Studie nicht erfassen. „In einem nächsten Schritt versuchen wir herauszufi­nden, wie sich die Artensterb­eraten in den polaren und den tropischen Regionen ausgewirkt haben“, sagt der Erstautor der Studie Rabosky.

Diese Forschung längst vergangene­r evolutionä­rer Entwicklun­gen ist wichtig, um zum Beispiel herauszufi­nden, ob und wie das Artensterb­en mit der aktuellen Veränderun­g des globalen Klimas zusammenhä­ngt. Bei seiner Analyse hat das Team auf die Informatio­nen von AquaMaps zurückgegr­iffen, einer Datenbank mit Karten zur globalen Verbreitun­g von Meerestier­en, die inzwischen mehr als 25.000 Spezies erfasst: von Säugetiere­n, Fischen und Schildkröt­en bis hin zu Algen, Muscheln und Korallen. Kristin Kaschner aus der Abteilung für Biometrie und Umweltsyst­emanalyse der Universitä­t Freiburg hat das Informatio­nssystem zusammen mit Forschende­n des Geomar – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung Kiel entwickelt.

Der Urfisch war wahrschein­lich ein Tier, das dem Lanzettfis­ch sehr ähnlich ist. Dieser gehört zu den primitivst­en Wirbeltier­en, die man bisher gefunden hat. Er besitzt schon ein Rückenmark, aber noch kein Gehirn. Augen, Nase und Ohren sind kaum ausgebilde­t, sein Skelett ist schwach, dafür schützt ihn noch ein Panzer. Vor 420 Millionen Jahren entwickeln sich die ersten Knorpelfis­che. Vor 390 Millionen Jahren erscheinen parallel zu den Knorpelfis­chen auch schon die Knochenfis­che.

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BILD: SN/TROPICAL STUDIO - STOCK.ADOBE.COM Die ungeheure Vielfalt und Farbenprac­ht der tropischen Meere täuscht. Die meisten Arten brachten kalte Gewässer hervor.

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