„Eigenverantwortung auf den Bergen fehlt“
Die Berge ziehen immer mehr Menschen in ihren Bann. Es reicht jedoch nicht allein, wenn die Alpinisten gut ausgerüstet sind.
Die Berge ziehen immer mehr Menschen in ihren Bann. Gut ausgerüstet zu sein reicht jedoch nicht allein.
Der Österreichische Alpenverein ist der größte alpine Verein Österreichs. Die SN trafen den Leiter der Abteilung Bergsport, Michael Larcher, zum Interview in Innsbruck. Ein Gespräch im Schatten der Nordkette über Gipfelstürmer zwischen Vollkaskomentalität und Freiheitsgefühl. SN: Der Bergsport erlebt einen Boom. Immer mehr Menschen zieht es in die Natur, der Alpenverein hält einen Rekord von 545.000 Mitgliedern. Wie erklären Sie sich diesen Trend? Michael Larcher: Immer mehr Menschen erleben Berge als Kontrastprogramm zur Geschwindigkeit, zur Virtualität, zur Technik, die sonst ihren Alltag bestimmen. Die Natur, die Entschleunigung am Berg, aber auch dieser Schuss Abenteuer, der hinzukommt, wirken diesem Zeitgeist entgegen. SN: Dabei hatten gerade Bergwanderer doch lange ein Imageproblem. Senioren-Hobby, verstaubt …? Oh ja! Früher galt Wandern als verstaubt, mit Bildern von Kniebundhosen vor dem geistigen Auge. Aber nun hat es ein junges Image. Es gibt wohl zwei Gründe für die Trendwende: Erstens ist es die Modeindustrie. Wandersachen gelten als hip. Kein Mensch schaut einen mehr komisch an, wenn man mit einer Softshelljacke in der Stadt unterwegs ist. Und zweitens sind es die positiven Aspekte des Sports: Man bleibt fit, jung, aktiv. Alles, was dem Jugendwahn der Gesellschaft entgegenkommt. SN: Aber gute Ausrüstung allein macht noch keinen guten Bergsteiger. Nein. Genau das beobachten auch wir seit Längerem. Den HalbschuhTouristen, der aus der Bergnot gerettet werden muss, den gibt es fast nicht mehr. Was aber vielen fehlt, ist das richtige Know-how, das Wissen für den Berg. Wir wollen die Menschen für die Berge begeistern und gleichzeitig fürs Bergsteigen qualifizieren. SN: Was meinen Sie damit? Es würde kein Mensch auf die Idee kommen, einfach so einen Tauchgang zu absolvieren, ohne vorher einen Tauchschein zu machen, aber für den Berg eignen sich die wenigsten das nötige Grundwissen an. Und dann trifft man auf dem Großglockner Menschen, die nicht einmal wissen, wie man Steigeisen richtig anlegt. SN: Könnte dies an der oft kritisierten Vollkaskomentalität liegen? Gerät man in Bergnot, zahlt eh die Versicherung für die Bergung bzw. der Hubschrauber oder die Bergrettung wird einen schon holen? Das Bewusstsein für Gefahren muss auf alle Fälle geschärft werden. Es geht um ein vernünftiges Verhältnis zwischen Sicherheits- und Risikobewusstsein. Was zwingend zu etwas führt, was vielen auf dem Berg heute fehlt.
SN: Das wäre?
Die Eigenverantwortung auf dem Berg fehlt. Aber das ist etwas, das zusehends in unserer Gesellschaft schwindet. Im Tal hat man das Gefühl, dass alles, was mit dem Thema Sicherheit zu tun hat, einem abgenommen wird. Die Sicherheit im Auto? Darum kümmert sich der Autokonzern oder die Werkstatt. Die eigene Gesundheit? Da trägt irgendwie auch der Arzt Mitschuld. Alles wird delegiert. Und dann steht man plötzlich auf 3000 Metern Seehöhe oder in einem schwierigen Klettersteig und soll Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Hinzu kommt die Verführung, sich zu überfordern.
SN: Können Menschen ihre Grenzen auf dem Berg überhaupt noch richtig einschätzen? Das ist die entscheidende Frage. Viele gehen mit ihrer Mentalität aus dem Tal auf den Berg hinauf: der Haltung, dass sie etwas erreichen müssen, dem Erfolgsdenken, um jeden Preis den fixierten Erfolg zu erzielen, ohne jegliche Bereitschaft, von ihrem Ziel auch nur einen Zentimeter abzuweichen. Aber schlechtes Wetter am Berg bleibt schlechtes Wetter am Berg. Das ist nicht verhandelbar. Für diesen Teil der Sommerserie verbrachten die SN eine Woche lang in den Hohen Tauern. Geschichten von Bergen, Bergmenschen, Bergträumen und Albträumen.