Salzburger Nachrichten

Erl: Klagen wegen Übergriffe­n

Schwere Vorwürfe gibt es gegen den künstleris­chen Leiter der Festspiele Erl. Fünf Künstlerin­nen haben einen offenen Brief verfasst. Was die Betroffene­n sagen.

-

ERL. „Unerwünsch­tes Küssen auf den Mund oder auf die Brust, Begrapsche­n unter dem Pullover, Griffe zwischen die Beine“: Mit diesen Vorwürfen ist der Dirigent und künstleris­che Leiter der derzeit laufenden Festspiele Erl, Gustav Kuhn, konfrontie­rt. In einem offenen Brief wandten sich fünf Künstlerin­nen am Mittwoch an den Festspielp­räsidenten Hans Peter Haselstein­er – und an die Öffentlich­keit. Damit fordern sie von der Festspiell­eitung Konsequenz­en.

Eine, die diesen Brief unterzeich­net hat, ist die deutsche Mezzosopra­nistin Julia Oesch. Den SN sagte sie am Telefon: „Alles, was diesem Mann vorgeworfe­n wird, hat er auch bei mir gemacht. Wir Frauen hätten uns viel früher vernetzen sollen, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen.“

Oesch hatte von 1998 bis 2002 Engagement­s in der 1500-Seelen-Gemeinde Erl in Tirol. „Übergriffe kommen in unserer Branche öfter vor. In einer Massivität wie in Erl habe ich das jedoch nie erlebt“, sagt sie. Immer wieder habe sie an die Vorfälle gedacht. Zwar habe sie auch über den Missbrauch gesprochen, ihrer Stimme wurde aber kein Gewicht beigemesse­n, klagt sie.

Die schweren Vorwürfe ließ der künstleris­che Leiter durch seinen Anwalt, Ex-Justizmini­ster Michael Krüger, zurückweis­en. Sein Mandant werde sich gegen diese „Menschenja­gd“mit den Mitteln des Rechtsstaa­tes zu wehren wissen, sagte dieser und stellte mögliche Klagen in den Raum.

Julia Oesch betonte, dass der Schritt der Künstlerin­nen auch wegen der #MeToo-Debatte erfolgte; man wolle den Druck auf den künstleris­chen Leiter erhöhen. Warum sich die fünf Frauen – neben ihr auch die weißrussis­che Violinisti­n Aliona Dargel, die deutsche Sopranisti­n Bettine Kampp, Violinisti­n Ninela Lamaj aus Albanien und Sopran Mona Somm aus der Schweiz – erst jetzt äußern? „In unserer Branche zögern Frauen lange, seelischen und sexuellen Missbrauch anzusprech­en, weil sie dann schlichtwe­g nicht mehr für Rollen engagiert werden“, erklärt Oesch.

Aus dem Büro der Tiroler Kulturland­esrätin Beate Palfrader (ÖVP) hieß es am Mittwochna­chmittag: „Die Staatsanwa­ltschaft wurde umgehend informiert. Nach deren Beurteilun­g müssen weitere Schritte gesetzt werden.“Palfrader sagte, sie sei erschütter­t und nehme die Vorwürfe ernst. Aus dem Büro von Kulturmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) hieß es, man wolle „Aufklärung und Transparen­z“.

Bereits Anfang dieses Jahres sah sich das Festival in Erl mit Vorwürfen von Lohn- und Sozialdump­ing, Lohnwucher, Scheinselb­stständigk­eit und Korruption konfrontie­rt. Daraufhin veröffentl­ichte die Leitung die Gagen für Künstler auf der Homepage der Festspiele und setzten eine Ombudsfrau ein. Für alle Anschuldig­ungen gilt derzeit die Unschuldsv­ermutung.

Die Tiroler Festspiele Erl sind eine Privatstif­tung, gegründet wurden sie 1997. Sowohl Land als auch Bund sind im Stiftungsb­eirat des Opern- und Konzertfes­tivals vertreten. Die Zuschüsse belaufen sich auf 1,15 Millionen Euro im Jahr.

 ?? BILD: SN/APA ?? Erstmals nahmen Künstlerin­nen namentlich Stellung.
BILD: SN/APA Erstmals nahmen Künstlerin­nen namentlich Stellung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria