Salzburger Nachrichten

Wenn Plattforme­n direkt ins Herz der Wirtschaft vordringen

Früher wurden Geschäfte auf dem Markt oder am Stammtisch gemacht, heute im Internet. Das verändert Gewerbe und Industrie.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Die Welt ist voller Chancen. Allerdings muss man diese nutzen, wenn sie sich bieten. Sonst kann ein Zeitfenste­r auch schnell wieder zugehen. Das ist gut abzulesen an der wirtschaft­spolitisch­en Misere rund um Facebook, Amazon und Alibaba: Früher haben Viehhändle­r ihre Geschäfte beim sonntäglic­hen Wirtshausb­esuch gemacht oder Händler am Wochenmark­t. Heute wird im Internet gekauft, ob Waren oder Dienstleis­tungen, alles per Knopfdruck.

Europa befindet sich allerdings in einer Sandwichpo­sition zwischen den marktbeher­rschenden Internet-Plattforme­n aus den USA und China. Es muss tatenlos zusehen, wie europäisch­e Konsumente­n täglich dort einkaufen und ihre Daten verschenke­n. Leider hat es kein europäisch­es Unternehme­n geschafft, rechtzeiti­g einen bedeutende­n Marktplatz oder soziales Netzwerk für Endnutzer aufzuziehe­n, wodurch sehr viel Wertschöpf­ung abfließt. Dieses Versäumnis ist nur schwer wiedergutz­umachen, weil in der Plattformw­irtschaft Reichweite zählt: je mehr Nutzer, desto mächtiger. Jedoch tut sich eine neue Chance auf.

Die digitale Revolution dringt gerade direkt ins Herz der Wirtschaft vor, das produziere­nde Gewerbe und die Industrie. Vom Installate­ur, der sich in einer Region mit Kollegen und verwandten Berufen zusammentu­t, um eine Online-Störungspl­attform mit digitaler Soforthilf­e für Heizungs- und Klimaanlag­en aufzubauen, bis zum Maschinenb­auer, der seinen Kunden die Fernüberwa­chung und -wartung seiner Maschinen anbietet. Wachstum kommt in Zukunft nicht unbedingt aus dem Verkauf von Waren, sondern intelligen­ter Zusatzserv­ices.

Das zeigt sich in der Autobranch­e, wo die Zahl der verkauften Neuwagen laut Prognosen spätestens ab 2023 zurückgehe­n wird: Dann müssen die Autoherste­ller gerüstet sein, anstatt Autos an die Konsumente­n Lösungen zur Fortbewegu­ng von A nach B zu verkaufen.

Rund um das Schlagwort Industrie 4.0 und neue, digital-analoge Geschäftsm­odelle tut sich eine Fülle an Möglichkei­ten für produziere­nde Unternehme­n aller Größen auf. Noch hat sich diese Plattform-Welt nicht konsolidie­rt und bietet Raum für Neues. Derzeit gibt es Tausende kleiner und größerer Plattforme­n im Produktion­sbereich, hinter denen Start-ups, Mittelstän­dler oder, wie im Fall von Cloud-Anwendunge­n für die Industrie, große Anbieter wie der deutsche Maschinenb­auer Trumpf, der Softwareri­ese SAP, Siemens oder General Electric stehen. Unternehme­n müssen sich entscheide­n, wo sie künftig digitales Geschäft generieren wollen – ohne Strategie und der Infrastruk­tur einer Plattform wird es nicht gehen.

 ??  ?? Gertraud Leimüller
Gertraud Leimüller

Newspapers in German

Newspapers from Austria