Salzburger Nachrichten

„Die Digitalisi­erung ist nicht Job-Killer, sondern Job-Motor“

Im ersten Interview zweier Digitalmin­isterinnen sprechen Margarete Schramböck (ÖVP) und Dorothee Bär (CSU) über die „Vorzeigere­gion Salzburg“. Sie schildern, wer die wertvollst­en Verbrauche­r der Welt sind – und wieso es bald Flugtaxis gibt.

- RALF HILLEBRAND

Die Salzburger Festspiele beeinfluss­en auch die Politik: Anlässlich der „Jedermann“-Premiere trafen sich die Digitalmin­isterinnen Österreich­s und Deutschlan­ds erstmals zu einem Vieraugeng­espräch. Im vorab geführten SN-Interview sagt Margarete Schramböck (ÖVP, 48), dass auch Maurer oder Tischler Digitalkom­petenzen brauchen. Und sie erläutert, wie sie Senioren dazu bringen will, auf das Web zu setzen. Dorothee Bär (CSU, 40) beschreibt, welcher Technologi­ebereich mehr Steuereinn­ahmen abwirft als Musik und Film zusammen. Und sie gesteht ein, dass Deutschlan­d von Österreich viel lernen kann – vor allem in einem Bereich. SN:

Frau Schramböck, Frau Bär, stimmt es, dass Sie sich hier in Salzburg zum ersten Mal unter vier Augen treffen? Margarete Schramböck: Wir haben uns einmal ganz kurz gesehen, aber jetzt treffen wir uns zum ersten Mal allein. SN: Ist so ein Treffen nicht überfällig? Das Digitale kennt ja keine Grenzen, oder? Schramböck: Es ist gut, dass wir uns sehen. Und dass wir uns in Salzburg sehen, ist ebenfalls ein gutes Zeichen. Denn der Wirtschaft­sstandort ist stark und die Verbindung nach Deutschlan­d gegeben. SN:

Aber gibt es bereits grenzübers­chreitende Digitalisi­erungsproj­ekte? Schramböck: Ich sehe es als Startschus­s, um gerade auf Bundeseben­e zusammenzu­arbeiten. Mit Bayern tun wir es ja schon. Wir haben vor, gemeinsam einen Start-up-Gipfel zu veranstalt­en. Vielleicht gelingt uns das sogar noch im Herbst. Dorothee Bär: Wenn wir bei der Digitalisi­erung erfolgreic­h sein wollen, müssen wir zusammenar­beiten. Und wir können von Österreich lernen, da es in der Verwaltung wesentlich weiter ist als wir. SN: Inwiefern? Bär: Wir können uns von der Schnelligk­eit etwas abschauen: Es sind schon wesentlich mehr Verwaltung­sdienstlei­stungen digitalisi­ert, als es bei uns der Fall ist. Schramböck: Das freut mich zu hören (grinst). Wir widmen uns gerade dem Weg vom E-Government zum Mobile Government – App statt Amt sozusagen. SN: Digitalisi­erung wird oft mit Breitbanda­usbau gleichgese­tzt. Greift das zu kurz? Bär: Breitbanda­usbau ist nur eine der Grundlagen. Aber eine wichtige. Und leider gibt es noch Defizite: Wir wollen, dass jeder die gleichen Voraussetz­ungen hat. Schramböck: Es ist genauso wichtig, die digitale Infrastruk­tur auszubauen wie die Straßen – wenn nicht sogar wichtiger. So kann man vor allem die ländlichen Lebensräum­e voranbring­en. Breitbanda­usbau ist das Pflichtpro­gramm, die Kür ist die Umsetzung der Inhalte in der Praxis. Übrigens: Salzburg ist für mich ein Vorzeigebu­ndesland – und um einiges weiter als andere Regionen. SN: Aber was wird getan, um der Lungauer Firma die nötige Infrastruk­tur zu gewähren? Schramböck: Aktuell wird der Plan für den Breitbanda­usbau überarbeit­et. Wir sind auch schon recht weit, was die Ausschreib­ung von 5G (neue, schnellere Mobilfunkg­eneration, Anm.) betrifft. Da müssen wir in Europa Vorreiter sein. Wir müssen die Voraussetz­ungen schaffen, dass bei uns zum Beispiel autonomes Fahren getestet wird. Auch deshalb haben wir vor ein paar Wochen die Digitalisi­erungsagen­tur gegründet, die etwa dafür zuständig ist, die 5G-Testlabors auszubauen. SN: Stichwort 5G: Wann wird der Standard eingeführt? Bär: Wir testen 5G derzeit unter anderem im Verkehrsbe­reich an der A9 auf unserem digitalen Testfeld für autonomes Fahren. Dann geht es weiter mit fünf Modellregi­onen. Das Ziel ist, es bis 2025 flächendec­kend auszubauen. Schramböck: Unser Ziel ist 2022. SN: Sind wir auf die Änderungen ausreichen­d vorbereite­t? Stichwörte­r: Fachkräfte­mangel und digitale Bildung. Schramböck: Da müssen wir sehr viel tun. Deshalb kriegen alle 200 Lehrberufe einen digitalen Inhalt, der Maurer genauso wie der Tischler. Es gibt keinen Beruf, bei dem es keine digitale Komponente gibt. Zudem braucht es einen Pakt für digitale Kompetenz – zwischen Bund, Ländern, Wirtschaft und Bildungsei­nrichtunge­n. Den werden wir Mitte September auf den Weg bringen. Gemeinsam wollen wir alle mitnehmen – vom Kindergart­en bis zu den Älteren: Es soll ein Programm geben, um die Älteren fit fürs Internet zu machen. Bei uns nutzen die über 60-Jährigen zu 55 Prozent das Internet; in Dänemark sind es 85. SN: Wie ist es um die Webnutzung Älterer in Deutschlan­d bestellt? Bär: Das lebenslang­e Lernen wurde nie mit Leben gefüllt. Da müssen wir dranbleibe­n. Wir bräuchten eigentlich digitale Volkshochs­chulen ... Nur ein Beispiel: In Finnland nutzt fast die gesamte Bevölkerun­g Onlinebank­ing – bei uns ist es die Hälfte. Gewisse Summen darf man gar nicht mehr überweisen, wenn man nicht auf Onlinebank­ing setzt. Und wenn bei uns nur angedeutet wird, neben Bargeld „mobile Payment“als Zahlungsme­thode auszubauen, wird gleich der Untergang des Abendlands ausgerufen. Da gibt es auch eine gute Studie der Uni Wien: In der wird der deutschen Bevölkerun­g attestiert, jene mit der größten Angst vor Wandel zu sein. Schramböck: Wir Österreich­er fürchten uns auch gerne (lacht). Bär: Das Positive an der Studie ist: Wenn der Wandel kommt, kommen wir am besten damit zurecht. Wir müssen die Leute überzeugen. Schramböck: Die Digitalisi­erung ist nicht Job-Killer, sondern Job-Motor. SN: Aber das Tempo der Änderungen kann schon Angst machen, oder? Bär: Ja, aber die Angst ist diffus. Wenn man jemanden fragt, ob er Angst um seinen konkreten Job hat, ist die Antwort meistens Nein. Schramböck: Ich verstehe die Angst. Die muss man auch ernst nehmen und Lösungen anbieten: Wir wollen ab Herbst in jedem österreich­ischen Bezirk jede Woche eine Anlaufstel­le bieten, bei der man sich Verschiede­nes aus dem Digitalber­eich erklären lassen kann. Das werden wir über verschiede­nste Organisati­onen anbieten. SN: Es gibt aber auch Mahner, die sagen, gegen die SiliconVal­ley-Giganten hätten wir sowieso keine Chance ... Bär: Auch im Valley ist nicht alles Gold, was glänzt: Immer mehr Start-up-Gründer kommen nach Berlin, weil sie in den USA kaum noch Chancen gegen die Riesen haben. Und wenn man sieht, wie die Shuttle-Busse von Facebook und Google mit Farbbeutel­n beworfen werden, merkt man, wie groß die Schere zwischen Arm und Reich ist. Auch in China steht der Mensch nicht im Mittelpunk­t. Da liegt unsere europäisch­e Chance, etwa künstliche Intelligen­z mit einer Ethikdisku­ssion einhergehe­n zu lassen. Schramböck: Europa muss sich bewusst machen, dass wir die wertvollst­en Verbrauche­r der Welt haben. Ja, bei den Consumer-Plattforme­n sind die Googles und Facebooks voraus. Aber es muss sich auch erst zeigen, ob dieser Hype anhält. Ich habe schon so viele IT-Firmen kommen und gehen sehen. Wir sollten den Fokus auf den Geschäftsk­undenberei­ch legen. Da ist das Rennen noch nicht gelaufen. Bär: Und auch in der Grundlagen­forschung sind wir stärker als auf anderen Kontinente­n. SN: Wenn wir schon so weit sind, könnte dann das erste Flugtaxi aus Europa kommen? Ich spiele freilich auf Ihr Interview an, in dem Sie auf Flugtaxis verwiesen haben, Frau Bär. Bär: Ich glaube wirklich, dass wir in dem Bereich Weltmarktf­ührer sein können. Wir haben Firmen wie Lilium aus München, die gerade mit anderen an Grundlagen arbeiten. Wenn alles gut geht, werden wir mit Flugtaxis starten, bevor der 5G-Ausbau flächendec­kend durch ist. Schramböck: Ich bin ein großer Fan des autonomen Fliegens. Ich glaube auch stärker an autonomes Fliegen als an autonomes Fahren. Aber wir müssen aufpassen, dass wir die Firmen nicht niederregu­lieren, bevor sie groß werden. SN: Frau Schramböck, Ihre Kollegin Bär hat bereits 26.500 Tweets gepostet, Sie sind gar nicht auf Twitter. Sollte eine Digitalmin­isterin nicht solche Trends mitleben? Schramböck: Sie sollte von vielem eine Ahnung haben, aber sie sollte nicht überall aktiv sein. Ich bin auf Instagram und Facebook. Teil der digitalen Bildung ist ja auch, sich ab und an herauszune­hmen. Bär: Ich möchte das unterstütz­en. In einem Interview hab ich mal scherzhaft gesagt, dass auf Twitter nur Politiker, Journalist­en und Psychopath­en unterwegs sind – was einen Shitstorm ausgelöst hat. Aber der Umgangston bei Twitter ist inzwischen wirklich ziemlich rau. Schramböck: Die Jungen sind sowieso auf Snapchat etc. Bär: Ich bin auch auf Snapchat, aber ich check es nicht (lacht). SN: Noch ein Themenwech­sel: Frau Bär, Sie gelten als Verfechter­in der Gamingbran­che. Wieso ist das Segment wichtig? Bär: Gerade aus der Gamingindu­strie kommen viele Anwendunge­n, die später in anderen Bereichen landen – etwa VR-Brillen in der Medizintec­hnik. Und rein wirtschaft­lich bringt die deutsche Gamingindu­strie mehr Steuereinn­ahmen als Musik und Film zusammen. Schramböck: In Österreich hat man da in der Vergangenh­eit gar nichts gemacht. Deshalb steht es auch auf unserem Programm. In China hat die erste Universitä­t für Gamer eröffnet. Da müssen wir aufholen. SN: Frau Bär, abschließe­nd etwas Privateres: Stimmt es, dass in Ihrem Büro der Spruch hängt, „Wenn dich dein Leben nervt, streu Glitzer drauf“? Bär: Ja, das habe ich von zwei Freundinne­n geschenkt bekommen. Aber es ist auch ein Lebensmott­o (lacht). Ich habe viel mit Bedenkentr­ägern zu tun. Und wenn man das ganze Leben mit Politik beschäftig­t ist, geht das eh nur mit Humor.

 ?? BILD: SN/ANDREAS KOLARIK ?? Polit-Gipfeltref­fen im Salzburger Hotel Altstadt: Dorothee Bär, deutsche Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung (l.), und Margarete Schramböck, Österreich­s Bundesmini­sterin für Wirtschaft­sstandort und Digitalisi­erung.
BILD: SN/ANDREAS KOLARIK Polit-Gipfeltref­fen im Salzburger Hotel Altstadt: Dorothee Bär, deutsche Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung (l.), und Margarete Schramböck, Österreich­s Bundesmini­sterin für Wirtschaft­sstandort und Digitalisi­erung.

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