Kern, der Reservekanzler
Sieben Monate lang schien die SPÖ nicht so recht zu wissen, wie sie die ungewohnte Rolle als Oppositionspartei anlegen soll. Zeitweise übte sie lautstarke Fundamentalopposition und feuerte verbal auf alles, was sich in der Regierung bewegte. In anderen Phasen ließ sie die Regierungsarbeit völlig unkommentiert, was selbst dem Bundespräsidenten unangenehm auffiel.
Nun scheint die Selbstfindung beendet zu sein. Christian Kern hat am Freitag eine bemerkenswerte Neupositionierung der SPÖ vorgenommen. Er kritisierte den Stil der Regierung scharf, streckte ihr aber gleichzeitig die Hand hin und bot ÖVP und FPÖ an, es gemeinsam besser zu machen.
Die Entscheidung der SPÖ ist also zugunsten konstruktiver Opposition gefallen. Das Angebot Kerns umfasst ausdrücklich auch das Mitgehen der SPÖ bei Verfassungsänderungen, die gegen sie nicht möglich wären, etwa bei Kompetenzverlagerungen zwischen Bund und Ländern.
Konstruktiv zu sein ist für eine Opposition riskant. Sie ermöglicht der Regierung dadurch Erfolge, statt auf ihr Scheitern hinzuarbeiten. Warum sich Kern trotzdem für diese Strategie entschieden hat, hat wohl drei Gründe.
Erstens nutzt er damit eine politische Marktnische. Für all jene, denen die Regierung zu schnell, zu rüpelhaft und zu kontroversiell agiert, ist ein besonnener, mahnender und selbst an heißen Sommertagen in dunkles Tuch gekleideter Oppositionschef sicher ein attraktives Angebot.
Zweitens passt die Rolle des Reservekanzlers viel besser zu Kern als die des wütenden Fundamentaloppositionellen. Seine Auftritte als hemdsärmeliger Klassenkämpfer waren schon im Wahlkampf nicht angekommen.
Drittens ist die SPÖ immer noch groß genug, um mit verteilten Rollen zu spielen. Während Kern die Zusammenarbeit anbietet, droht die Gewerkschaft der Regierung mit einem heißen Herbst.