Salzburger Nachrichten

Unabhängig­er Journalism­us, den die Welt auch digital braucht

Der britische „Guardian“ist ein europäisch­er Vorreiter für die Transforma­tion der Tageszeitu­ngen vom Papier ins Internet.

- MEDIA THEK Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

„The Guardian“ist eine global angesehene Medienmark­e. Die Londoner Tageszeitu­ng nennt sich stolz „Der Welt führende liberale Stimme, seit 1821“. Doch das Blatt erreicht mit 140.000 Stück nur 850.000 Leser. Das ist etwa die Auflage des „Kurier“und zirka die Reichweite der „Kleinen Zeitung“. Anders verglichen: Der „Guardian“kommt mit doppelt so vielen Exemplaren wie die „Salzburger Nachrichte­n“auf ein drei Mal so großes Publikum.

Wirkliche Weltblätte­r haben oft mehr Ruf als Geschäft. In der Schweiz kommt die „Neue Zürcher Zeitung“mit einer Auflage wie die OÖN auf weniger Leser als die SN. Österreich­s Printmedie­n stehen im globalen Vergleich hervorrage­nd da. Titel wie der „Guardian“sind für sie lediglich eine Art Frühwarnsy­stem, wohin die Reise geht. Entspreche­nde Beachtung erhält die Meldung, dass das britische Renommier-Verlagshau­s erstmals mehr mit digitalen Angeboten als durch Papierprod­ukte einnimmt. Doch das senkt dort bloß den Jahresverl­ust auf 21 Millionen Euro.

Also betonen die Engländer, ihre Printausga­be so lange zu behalten, wie die Leser sie schätzen. Offenbar nicht genug: Das Experiment eines wöchentlic­hen Best-of als „the long good read“(das lange gute Lesen) verlief auf der Insel ebenso im Sand wie diesseits des Kanals der umgekehrte Versuch, mit „Spiegel daily“vom Wochen- ins Tagesgesch­äft einzubrech­en. Also konzentrie­rt sich der „Guardian“auf digitale Transforma­tion und setzt auf ein Kaufmodell der Freiwillig­keit: „Helfen Sie mit, den unabhängig­en Journalism­us zu bieten, den die Welt braucht.“Diesem Aufruf folgen weltweit schon mehr als eine halbe Million regelmäßig zahlende Unterstütz­er.

In Deutschlan­d versucht sich die alternativ­e „taz“an einem solchen Modell. Marktbeoba­chter sehen für ein solches System aber nur bei nationalen Vorzeigema­rken Chancen. Regional seien die Reichweite­n zu gering. Der eingangs gezogene Vergleich mit hiesigen Zeitungen bietet ein gutes Gegenargum­ent. Zumal in Österreich die Papierlese­rschaft aller Blätter noch größer als jene am Bildschirm ist. Der „Guardian“hingegen hat digital ein fünf Mal größeres Publikum als für die Printversi­on. Aus dieser Perspektiv­e wirkt die Ankündigun­g, langfristi­g nicht auf Laufkundsc­haft via Social Media, sondern zehn Millionen treue Online-Nutzer zu setzen, vorerst überzeugen­d. Wenn er aber seinen acht Millionen Facebook- und sieben Millionen Twitter-Fans auf diesen Plattforme­n nichts mehr vorsetzt, könnte die Zahl seiner regelmäßig wiederkehr­enden Homepage-Besucher rasch schwinden. Diesen strategisc­hen Zwiespalt teilt der britische Avantgardi­st mit der hiesigen Insel der Papierseli­gen. Peter Plaikner

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