Unabhängiger Journalismus, den die Welt auch digital braucht
Der britische „Guardian“ist ein europäischer Vorreiter für die Transformation der Tageszeitungen vom Papier ins Internet.
„The Guardian“ist eine global angesehene Medienmarke. Die Londoner Tageszeitung nennt sich stolz „Der Welt führende liberale Stimme, seit 1821“. Doch das Blatt erreicht mit 140.000 Stück nur 850.000 Leser. Das ist etwa die Auflage des „Kurier“und zirka die Reichweite der „Kleinen Zeitung“. Anders verglichen: Der „Guardian“kommt mit doppelt so vielen Exemplaren wie die „Salzburger Nachrichten“auf ein drei Mal so großes Publikum.
Wirkliche Weltblätter haben oft mehr Ruf als Geschäft. In der Schweiz kommt die „Neue Zürcher Zeitung“mit einer Auflage wie die OÖN auf weniger Leser als die SN. Österreichs Printmedien stehen im globalen Vergleich hervorragend da. Titel wie der „Guardian“sind für sie lediglich eine Art Frühwarnsystem, wohin die Reise geht. Entsprechende Beachtung erhält die Meldung, dass das britische Renommier-Verlagshaus erstmals mehr mit digitalen Angeboten als durch Papierprodukte einnimmt. Doch das senkt dort bloß den Jahresverlust auf 21 Millionen Euro.
Also betonen die Engländer, ihre Printausgabe so lange zu behalten, wie die Leser sie schätzen. Offenbar nicht genug: Das Experiment eines wöchentlichen Best-of als „the long good read“(das lange gute Lesen) verlief auf der Insel ebenso im Sand wie diesseits des Kanals der umgekehrte Versuch, mit „Spiegel daily“vom Wochen- ins Tagesgeschäft einzubrechen. Also konzentriert sich der „Guardian“auf digitale Transformation und setzt auf ein Kaufmodell der Freiwilligkeit: „Helfen Sie mit, den unabhängigen Journalismus zu bieten, den die Welt braucht.“Diesem Aufruf folgen weltweit schon mehr als eine halbe Million regelmäßig zahlende Unterstützer.
In Deutschland versucht sich die alternative „taz“an einem solchen Modell. Marktbeobachter sehen für ein solches System aber nur bei nationalen Vorzeigemarken Chancen. Regional seien die Reichweiten zu gering. Der eingangs gezogene Vergleich mit hiesigen Zeitungen bietet ein gutes Gegenargument. Zumal in Österreich die Papierleserschaft aller Blätter noch größer als jene am Bildschirm ist. Der „Guardian“hingegen hat digital ein fünf Mal größeres Publikum als für die Printversion. Aus dieser Perspektive wirkt die Ankündigung, langfristig nicht auf Laufkundschaft via Social Media, sondern zehn Millionen treue Online-Nutzer zu setzen, vorerst überzeugend. Wenn er aber seinen acht Millionen Facebook- und sieben Millionen Twitter-Fans auf diesen Plattformen nichts mehr vorsetzt, könnte die Zahl seiner regelmäßig wiederkehrenden Homepage-Besucher rasch schwinden. Diesen strategischen Zwiespalt teilt der britische Avantgardist mit der hiesigen Insel der Papierseligen. Peter Plaikner