Noch einmal mit Würde, bitte!
Im politischen Geschäft ... geht die Würde leicht verloren. Sie wird einem genommen oder man wirft sie selbst weg. Ein Appell für die Würde des Politikers, der Politikerin in Zeiten des Umbruchs.
Der Abschied dauerte elf Minuten. Am Ende war dann ein HesseZitat, aus den „Stufen“. Er wünschte den „Damen und Herren“von den Medien noch einen schönen Sommer, Österreich „alles Gute“– und weg war Reinhold Mitterlehner, mit einem leicht schiefen Lächeln. Davor eine kompakte Rede, klar, schnörkellos und ohne Untergriffe, nur mit dieser leisen Bitterkeit – gerade auch wegen einer misslungenen Ironie-Einlage in seine Richtung am Vorabend in der „ZiB 2“. Und das Publikum war von dem schon angeschlagenen ÖVP-Chef und Vizekanzler auf einmal wieder total angetan: Was für ein Abgang! Reinhold Mitterlehner hat an diesem 10. Mai 2017 vorgemacht, wie man in Würde geht. Im Abschied liegt die Würde, zumindest, wenn der Abgang gut läuft. Es gibt für Politiker und Politikerinnen vor allem diesen einen großen, würdevollen Moment in ihrer Laufbahn – wenn sie die Bühne verlassen. Was natürlich auch viel über das politische Geschäft erzählt. „Das Wichtigste für mich war, eigenständig und selbstbestimmt zu entscheiden: Jetzt gehe ich“, sagt Mitterlehner heute. „Weil man dann natürlich ohne jede taktischen oder sonstigen Hemmungen total befreit das eigene Ich reflektiert und das authentisch bei den anderen ankommt.“Die Emotionen unter Kontrolle zu halten, das sei schwierig gewesen, dennoch, für ihn bleibe ein versöhnliches Bild vom Abschied: „Mir hat das den Respekt vieler Menschen gebracht – so konnte ich mir die Würde bewahren, das war mir nach 25 Jahren in der Politik ein großes Anliegen.“
Würde und Politik, das will im Tagesbetrieb oft gar nicht mehr zusammenpassen. Für Politiker und Politikerinnen ist die Gefahr, ihre Würde zu verlieren, jeden Tag präsent: Man muss um Kompromisse ringen, mit den eigenen Leuten, mit den Partnern, in aller Öffentlichkeit; man sollte sich des Amtes würdig erweisen und auch den Gegnern ihre Würde lassen, beides in der Realität nicht immer einfach; man unterliegt der Schnelligkeit der modernen Informationsgesellschaft; man ringt mit Problemstellungen, die man nicht allein lösen kann – auch wenn manche Politiker gern so tun, als wäre Nationalismus die einfache Antwort auf alles.
Es ist nicht die Zeit der Würde – und Politiker wie zum Beispiel Horst Seehofer zeigen das gerade anschaulich vor. Der deutsche Innenminister von der CSU versuchte kürzlich, beim Wahlvolk besonders zu reüssieren. „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden“, sagte Seehofer bestens gelaunt. Auch wenn er da noch nicht wissen konnte, dass einer der 69 Menschen wegen der Abschiebung Suizid begehen würde: Ein Minister, der menschliche Schicksale aus Wahlkampfkalkül – Bayern wählt im Herbst – so verhöhnt, benimmt sich unwürdig.
Nur: Wie lässt sich Würde grundsätzlich definieren? „Was wir fühlen, was wir denken und was wir tun – diese drei Ebenen sollten miteinander korrespondieren, dann sind wir kohärent“, erklärt der Soziologe und Netzwerkforscher Harald Katzmair. „Aber wenn wir Dinge tun, die für uns nicht richtig sind, aus Angst, nicht mehr dazuzugehören, bei denen Gefühl und Kopf uns sagen, das ist keine gute Idee – dann verlieren wir unsere Würde.“Ein Problem, das viele in ihrer Berufswelt erlebten, in der Politik sei es allerdings extremer ausgeprägt: Man erlebe hier ständig diese Inkohärenz, man wolle Autonomie und Individualität behalten, aber auch loyal sein und zu seiner Gruppe gehören. „Der Zwang, loyal zu sein, heißt oft auch, die Autonomie aufzugeben und damit die Würde zu verlieren. Es ist die Unfreiheit, die zur Würdelosigkeit führt“, sagt der Soziologe.
Sich die innere Freiheit in der Politik zu bewahren bedeutet auch ein persönliches Ringen, Sonja Ablinger weiß das. Die Lehrerin und streitbare Frauenpolitikerin saß zwei Mal für die SPÖ als Abgeordnete im Parlament, in den Neunzigerjahren und von 2007 bis 2013. Ablinger stimmte in manchen Fragen gegen die Parteilinie, wie etwa gegen Verschärfungen im Asylrecht oder gegen den EU-Fiskalpakt. „Ich habe mir gesagt: Wenn ich aus dem Parlament rausgehe, will ich mit geradem Rücken gehen können. Ich wollte mich nicht in Sachzwängen verlieren“, sagt Ablinger.
Das brachte ihr den fragwürdigen Titel „Rebellin“und wenige Freunde in der Partei ein. Sie hörte oft: „Das ist taktisch notwendig“, stell dich nicht so an! Natürlich mache man als Politikerin Kompromisse, aber bei besonders wichtigen Themen sei sie eben nicht dazu bereit gewesen. Dafür spürte sie den Druck der Gruppe vor der Abstimmung, mit Telefonaten, SMS-Bombardements, Ausgrenzung. „Manche waren auch gekränkt und haben gesagt: Du spielst die gute Sozialdemokratin und wir sind die schlechten Sozialdemokraten“, erzählt sie. Schlussendlich bekam sie kein Mandat mehr – Problem unelegant gelöst. 2015 trat Ablinger wegen der rot-blauen Koalitionsbildung im Burgenland aus der SPÖ aus.
Sich die Würde in der Politik zu bewahren wird generell immer schwieriger. Denn auch der Druck durch Medien und Öffentlichkeit sei in den letzten zehn Jahren zusehends gewachsen, meint Lothar Lockl, Strategieexperte und Berater von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er rät Menschen in der Politik generell dazu: möglichst authentisch bleiben, nicht jede PRInitiative mitmachen, Privatleben schützen