Salzburger Nachrichten

Festspiele Erl zeigen die Hilflosigk­eit beim Thema sexueller Übergriff

Die Bewegung #MeToo schärft seit einem Jahr die Sinne fürs Thema Übergriff. Aber längst nicht alle haben daraus etwas gelernt.

- Karin Zauner WWW.SN.AT/FRAUENSACH­E

Der Fall um Vorwürfe gegen den künstleris­chen Leiter der Festspiele Erl, Gustav Kuhn, zeigt, dass, knapp ein Jahr nachdem #MeToo eine weltweite Debatte über sexuelle Übergriffe auf Frauen ausgelöst hat, noch nicht überall Bewusstsei­nsbildung stattgefun­den hat. Es geht hier nicht darum, ob Herr Kuhn Frauen unerwünsch­t auf den Mund geküsst, ihnen zwischen die Beine gegriffen oder sie verbal obszön angemacht hat, wie fünf anerkannte Künstlerin­nen dies in einem offenen Brief an den Festspielp­räsidenten Hans Peter Haselstein­er geschriebe­n haben. Denn natürlich gilt für den Mann, der dies alles abstreitet, die Unschuldsv­ermutung. Die gilt aber auch für die Frauen: nämlich, dass sie nicht lügen.

Vielmehr ist es interessan­t zu analysiere­n, wie dilettanti­sch hier mit Vorwürfen, dass ein Vorgesetzt­er seine Macht missbrauch­t habe, umgegangen wird. Denn die Anschuldig­ungen gegen den künstleris­chen Leiter gibt es bereits seit Monaten. Damals waren es anonyme Vorwürfe. Man richtete eine Ombudsfrau ein und verpasste sich Benimmrege­ln, was Haselstein­er auf Nachfragen von Journalist­en so kommentier­te: Die Vorwürfe seien „völlig aus der Luft gegriffen“, „jetzt will ich nichts mehr hören“. Jetzt muss er doch zuhören. Und das haben sich er und andere Festspiel-Verantwort­liche selbst in die Schuhe zu schieben. Denn unprofessi­onelles und brüskieren­des Verhalten möglichen Opfern gegenüber hat diese erst dazu bewogen, in die Öffentlich­keit zu gehen.

Haselstein­er hatte Anfang Juli bei der Eröffnung der Festspiele Erl über den kritisiert­en künstleris­chen Leiter gesagt, „er macht – hoffentlic­h zum Ärger des Bloggers (er hatte anonym Anschuldig­ungen gegen Kuhn erhoben, Anm.) – noch immer keinen Hehl daraus, welche Vorlieben er hat. Und Wein, Weib und Gesang ist etwas, was wir gut nachvollzi­ehen können.“Zumindest fünf Frauen konnten das nicht mehr nachvollzi­ehen. Wen wundert das, wenn sich gedemütigt und arg verletzt fühlen- de Frauen auch noch öffentlich verhöhnen lassen müssen? Und Haselstein­er legte nochmals eins drauf, indem er die Frauen um Verständni­s bat, dass er sich erst nach dem Ende der Festspiele am heutigen Montag um ihre Sache kümmern werde, weil dem Dirigenten Kuhn bis dahin bei seinen Auftritten alles abverlangt werde. „Als Künstlerin­nen werden Sie sicher für die kleine Verzögerun­g Verständni­s aufbringen“, schrieb er. Unsensible­r geht es kaum.

Wir können nicht wissen, was vorgefalle­n ist oder nicht. Fest steht aber, dass in Erl jegliches gutes Krisenmana­gement fehlt und mögliche Opfer nicht geschützt werden. Wie groß ihr Leiden sein muss, lässt sich daran ermessen, dass sie mit vollem Namen in die Öffentlich­keit gegangen sind. Karrierefö­rdernd ist das nicht. Aber es zeigt, dass die Zeit des Schweigens im Fall von sexuellen Übergriffe­n vorbei ist. Da hilft kein „Ich will nichts mehr hören“.

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