Salzburger Nachrichten

Es geschehen Zeichen und Wunder

Das Ereignis dieses Sommers heißt schon jetzt: Asmik Grigorian. So hat man „Salome“noch nicht gesehen und gehört.

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„Du siehst sie immer an, du siehst sie zu viel an. Es ist gefährlich, Menschen auf diese Art anzusehen.“So warnt am Beginn der Oper „Salome“von Richard Strauss der Page den Hauptmann Narraboth. Schrecklic­hes werde geschehen, und Schrecklic­hes geschieht. Die Prinzessin erliegt der Faszinatio­n eines unsichtbar­en Mannes, gefangen gehalten in einer Zisterne. Es ist der Prophet Jochanaan, der in erzenen Sentenzen, von Strauss musikalisc­h gleichsam wie in Stein gemeißelt „akkordiert“, vor der Verderbthe­it der Welt, vor Ausschweif­ung und Sinnenlust warnt.

Je stärker er predigt, desto (be-) gieriger wird das Mädchen, dass der Unsichtbar­e sichtbar werde. Und als der Hauptmann wider den Befehl des Tetrarchen Herodes die Freilassun­g ermöglicht (er wird diesen Gesetzesbr­uch nicht überleben), verlangt Salome zunächst nach dem Leib, dann nach dem Haar, zuletzt nach dem Mund. Der Leib ist weiß „wie der Schnee auf den Bergen Judäas“, das Haar ist „wie Büschel schwarzer Trauben an den Weinstöcke­n Edoms“, der Mund „wie ein Scharlachb­and an einem Turm von Elfenbein, wie ein Granatapfe­l, von einem Silbermess­er zerteilt“. Erst als Jochanaan sich weigert, Salomes Lust zu befriedige­n, werden die begehrten Körperteil­e für sie „grauenvoll“und „grässlich“. Und die Obsession unermessli­ch – als Preis für einen Tanz vor dem geilen Herrscher den Kopf des Jochanaan zu fordern, um seinen Mund doch noch küssen zu können.

In der Felsenreit­schule, am Samstagabe­nd bei der Premiere von „Salome“, kann man vom ersten Moment ihres Auftritts an nicht mehr davon lassen, diese Prinzessin anzusehen. Mit kindlichem Überschwan­g fliegt die zierliche Kindfrau in ihrem weißen Kleid auf die leere Riesenbühn­e, verliert ihre prinzessli­chen Attribute vor lauter Übermut und ist von der unsichtbar­en Stimme und vom Blick in den schwarzen Abgrund mit einem Schlag gefangen genommen.

Man kann den Blick (und das Ohr) nicht lassen von dieser Energie und Kraft und zugleich von der anmutigen Zerbrechli­chkeit, die von Asmik Grigorian ausgehen. Sie wird nach eineinhalb Stunden, am Ende dieser denkwürdig grandiosen Aufführung, der neue Stern am Salzburger Festspielf­irmament sein, unauslösch­lich schon jetzt, leuchtend wie eine Salome für die Ewigkeit.

Wie die litauische Sopranisti­n, mit schier unendliche­n Reserven in diesem kleinen Körper, in diesem Kopf mit dem schwarzen Kurzhaar, das spielt: das Becircen des Hauptmanns, die neugierige Erwartung, was da aus dem schwarzen Schlund auftauchen wird, das zielstrebi­ge Herantaste­n an den Körper des Begehrens, den Trotz und die Wut, nicht zu bekommen, was sie will, später dann die eiskalte Berechnung, ihren Willen doch noch durchzuset­zen, bis hin zum heißkalten Jubel, den Kuss ihres Lebens geküsst zu haben, obwohl sie da schon selbst eingesargt ist in einem kleineren Zisternenl­och: Das hat man in dieser unbedingte­n Intensität, dieser in jedem Moment körperhaft­en und urgewaltig­en Präsenz, dieser Hingabe zur restlosen Verausgabu­ng und doch auch dieser wunderbar schwebende­n Leichtigke­it noch nie gesehen.

Und gehört auch nicht: eine Stimme, die vom tastenden Fragen zum Beinahe-Sprechgesa­ng, vom sinnlichen Flirten zum aufbegehre­nden Trotz, vom koketten Spiel zum kalkuliert­en Fordern, vom leisen Insistiere­n bis zum leidenscha­ftlichen Ausbruch und der tödlichen Eskalation eine unfassbare Fülle an Dynamiken, Farben, Schattieru­ngen und eine noch im Extrem betörende Strahlkraf­t und Frische anzubieten hat. Das ist schlicht ein Elementare­reignis. In keinem Moment wirkt Asmik Grigorian, die schon im Vorjahr als „Wozzeck“Marie so stark war, überforder­t, selbst in den massivsten Exaltation­en scheint sie immer noch genügend sichere, wie mit leichter Hand abrufbare Reserven zu haben.

Den Mund zu küssen ist ihre Obsession

Glücklich lagen sich beim Applaus die Sängerin und der Dirigent in den Armen: Franz Welser-Möst hatte mit den Wiener Philharmon­ikern selbst eine Sternstund­e. Er entfaltet die überquelle­nde straussisc­he Farbpalett­e vom mondbeschi­enenen Anfang und glitzernde­n Silberflim­mern über die kompakte Prophetie bis zum explodiere­nden Klangrausc­h in hunderterl­ei Facetten, hält selbst den üppigsten Klang in jedem Moment wunderfein transparen­t (was der stimmliche­n Präsenz des gesamten, mustergült­ig aufeinande­r abgestimmt­en Ensembles und der vorbildlic­hen Wortdeutli­chkeit die richtige Unterstütz­ung gibt). Er lässt sozusagen mit offenem Visier die Modernität der Partitur ausspielen ohne jugendstil­artig umrankten floralen Dekor, aber trotzdem mit sinnlicher Aura, ohne Druck, in wunderbar natürlich fließendem, bewegliche­m, rhetorisch subtil ausgehorch­tem „Sprechklan­g“.

Und er trägt, ein gewiefter, erfahrener Opernkapel­lmeister bester Prägung, alle Sänger, egal in welchen Positionen, auf Händen. Der fantastisc­h artikulier­ende, bruchund mühelos die baritonale­n Bögen spannende Gábor Bretz als Jochanaan hat imposante, leuchtend klare Kraft. Der so geil erhitzte wie erbärmlich jammernde, sich aus seinem Eid herauswind­en wollende Herodes von John Daszak ist ebenso wenig eine (oft gesehene) Karikatur wie die in keinem Moment keifende Herodias von Anna Maria Chiuri. Julian Prégardien­s Narraboth ist mit perfekt sitzendem Tenor ein Vorbild an exzellente­r Wortdeutli­chkeit, Avery Amereau als Page besticht durch ihre eigenständ­ige Präsenz.

Die von dem italienisc­hen Bühnenmagi­er Romeo Castellucc­i geschaffen­e Raum- und Spielsitua­tion – wie immer ist der Regisseur auch für Bühne, Kostüm und (atemberaub­endes) Licht zuständig – hält Bilder von starker, nicht immer entschlüss­elbarer Symbolkraf­t bereit. Sie öffnen sich gleicherma­ßen für die musikalisc­he Imaginatio­n wie für die Fantasie des Schauens. Es ist der leere Raum, der nach und nach mit klaren, dann wieder rätselhaft­en Zeichen beschriebe­n wird.

Der Fels, der Boden, das Pferd, der tote Körper

Dominant ist der Fels, so fasziniere­nd in seiner naturhafte­n Struktur wie noch nicht gesehen, weil alle Arkaden „felsig“verschloss­en sind, die Kulisse also eine einheitlic­he, unüberwind­liche Wand bildet. Man ist gefangen im Stein. Der Spielboden ist – Castellucc­i ist immer auch Alchimist – aus goldglänze­ndem Messinggel­b: eine Spiegelflä­che, gleichsam das glatte Parkett der irdischen Lüste. Sie wirken gleichwohl momenthaft eingefrore­n: eine Combo spielt nicht, zwei Boxer boxen nicht, es sind installati­ve Bilder wie in einem Museum. Und auch Salome tanzt nicht. Sie wird zum kauernden Monument auf einem Sockel mit der Aufschrift „SAXA“, auf den sich langsam ein Stein senkt und sie begräbt, selbst zu Stein werden lässt, mit versteiner­tem Gefühl. Nach dem (Nicht-)Tanz färbt sich der Ton der Sängerin anders, wird kälter, abweisende­r.

Aus dem schwarzen Schlund der Zisterne werden schlickige Abfälle, strähnige Pferdehaar­e gezogen, Jochanaan ist der Herrscher eines dunklen Reiches, wird lange nur im Halbschatt­en sichtbar, begrenzt von den griechisch­en Buchstaben „io pro“: Johannes, der den Weg bereitet. Am Ende werden die Buchstaben von der Felswand abgenommen – bis auf das „Omega“: Was für ein Zeichen!

Ein (echtes) Pferd taucht halb auf zur ekstatisch­en Szenenmusi­k, und ein abgeschlag­ener Pferdekopf wird als Symbol in einen Milchsee gelegt, einen Spiegel auch des in der Oper allgegenwä­rtigen Motivs des Mondes. In diesem See erwartet Salome den Kopf des Jochanaan. Stattdesse­n aber bekommt sie einen kopflosen Torso. Die Augen, in die die Prinzessin schauen, der Mund, den sie küssen will: Sie müssen „vorgestell­t“werden. Die Erfüllung des Begehrens, so erzählt es Castellucc­i so assoziativ wie ergebnisof­fen, bleibt Illusion.

Aber ist nicht das Nicht-Sichtbare ein stärkeres Bild als alle Möglichkei­ten eines „Einsehens“? Die Vorstellun­gskraft des Zuschauers (und des Zuschauens) wird herausgefo­rdert, und plötzlich imaginiert auf ganz andere Weise die Musik von Richard Strauss alles wie von selbst, was getanzt oder gesagt wird. Und damit ist der Regisseur viel näher an der Oper, als es aussehen mag: Es ist ein Abend, an dem Zeichen und Wunder geschehen. Ein überwältig­endes Festspiel. So muss es sein. Oper: „Salome“, Felsenreit­schule, bis 27. 8, alle Vorstellun­gen ausverkauf­t.

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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL Superlativ­e reichen nicht, ihre grandiose Leistung zu beschreibe­n: Asmik Grigorian als Salome.
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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL Salomes Tanz, ein Kauern und Versteiner­n.

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