Salzburger Nachrichten

Um Asyl ansuchen vor Gericht

Die Zahl der Asylanträg­e sinkt, doch eine Behörde hat noch immer mit Zehntausen­den Fällen aus der Flüchtling­skrise zu tun. Ein Blick hinter die Kulissen.

-

WIEN. Die Begrüßung ist herzlich. „Willkommen am Bundesverw­altungsger­icht“, sagt Richter Ferdinand Steiner zu dem jungen Afghanen Aman Rahmani (beide Namen geändert). Doch der Anlass, weshalb sich die beiden heute gegenübers­itzen, ist ernst. Der 29-jährige Rahmani will Asyl in Österreich. In Afghanista­n, so sagt er, drohe ihm der Tod. Richter Steiner muss herausfind­en, ob das stimmt.

„Sagen Sie mir die Wahrheit und was Sie wissen, Vermutunge­n helfen mir nicht“, erklärt Steiner zum Beginn der Verhandlun­g in dem kargen Saal im zweiten Stock des Bundesverw­altungsger­ichts (BVwG). Ein Dolmetsche­r übersetzt in Rahmanis Mutterspra­che, Paschtu. Der Afghane war am Höhepunkt der Flüchtling­skrise im Jahr 2015 nach Österreich gekommen. Eine seiner Schwestern lebt hier seit Jahren. Er soll von den Taliban bedroht worden sein, weil er für eine Ölfirma gearbeitet hatte, die ausländisc­he Truppen in dem umkämpften Land versorgte.

Mitte November 2017 erhielt er den negativen Asylbesche­id des Bundesamts für Fremdenwes­en und Asyl (BFA). Doch für Asylbewerb­er gibt es die Möglichkei­t, Einspruch beim BVwG gegen den Bescheid zu erheben. In etwa 75 Prozent der Fälle kommt das Verfahren zur zweiten Instanz.

42.000 Asylfälle gingen im Jahr 2017 beim BVwG ein, 30.000 wurden abgeschlos­sen. Die Welle an Asylanträg­en aus den Jahren 2015 und 2016 trifft das BVwG zeitverzög­ert, mit voller Wucht. Zusätzlich hat die Regierung die Einsparung von 120 Stellen angekündig­t.

Für Rahmani stehen die Chancen nicht so schlecht. Rund 32 Prozent der negativen Asylentsch­eidungen des BFA, der ersten Instanz, wurden im Vorjahr vom BVwG aufgehoben oder abgeändert.

Teilweise bietet die schlechte Qualität der BFA-Bescheide eine Steilvorla­ge für die Beschwerde­n. Die SN konnten BFA-Entscheidu­ngen einsehen, in denen nicht einmal der Name stimmte. „Diese Fälle gibt es, sie sind aber selten“, erklärt der Kammervors­itzende für Fremdenwes­en und Asyl am BVwG, Richter

Christian Filzwieser, ein paar Türen weiter.

Ein anderer relevanter Grund für die hohe Zahl an Aufhebunge­n liege woanders: Zwischen der Befragung des Asylbewerb­ers am BFA und der Entscheidu­ng liegt laut Filzwieser aufgrund der hohen Zahl an Asylanträg­en in den Vorjahren oft viel Zeit. „Dazwischen kann sich in den Herkunftsl­ändern viel getan haben“, sagt der Kammervors­itzende. „Vielleicht liegt mittlerwei­le ein Asylgrund vor.“Das müsse geprüft werden. „Die Höchstgeri­chte haben entschiede­n, dass wir uns die Fälle

vollinhalt­lich ansehen müssen“, sagt Filzwieser. Der Asylfall wird also komplett neu aufgerollt. Das bedeutet Aktenstudi­um, Länderberi­chte analysiere­n, Asylbewerb­er befragen.

Seit Anfang Dezember 2017 hat der BVwG-Richter Steiner den Fall von Aman Rahmani auf dem Tisch. Jetzt sitzt der 29-Jährige vor ihm, neben dem Afghanen steht ein Plastiksac­kerl mit Unterlagen, er spricht leise, begleitet wird er von einer Rechtsbera­terin.

Rahmanis Verhandlun­g dauert nun etwas mehr als eine Stunde an und leuchtet fast das gesamte Leben des Afghanen aus. Die entscheide­nde Frage ist, ob er glaubhaft machen kann, dass er in seiner Heimat mit dem Tod bedroht wird. 2012 soll er den ersten Drohanruf bekommen haben, kurz darauf habe er einen Drohbrief bekommen. Die vorerst letzte Todesdrohu­ng sei im Jahr 2015 gekommen, kurz vor Rahmanis Flucht. „Wie bekamen Sie den Brief?“, „Wo waren Sie, als die Anrufe kamen?“– Richter Steiner will jedes Detail wissen.

Rahmani legt einen Drohbrief der Taliban vor. „Du dienst den Fremden, du arbeitest Schulter an Schulter mit Juden und Kreuzzügle­rn“, steht in dem Schreiben. Der Dolmetsche­r übersetzt ihn für den Richter. Das Schreiben ist mit Stempel und Datum versehen. Alles höchst amtlich. Es folgt eine Diskussion über das Datum des Drohbriefs: 23. 7. 1433. „Islamische Zeitrechnu­ng“, sagt der Dolmetsche­r.

„Wie hat die Firma geheißen, für die Sie in Afghanista­n gearbeitet haben?“, „Hatten Sie Kontakt zu NATO-Truppen in Afghanista­n?“Eine Frage ergibt die nächste.

„Man sollte vor der Verhandlun­g wissen, welche Punkte zu klären sind. Je nachdem, wie die Antworten aussehen, weiß ich dann auch, wie das Verfahren ausgeht“, erklärt der Kammervors­itzende Filzwieser. „Man muss sich aber auch ständig hinterfrag­en, ob man nicht doch am falschen Dampfer ist.“Der wichtigste Teil des Verfahrens sei jedenfalls das persönlich­e Gespräch.

Im zweiten Stock hakt Richter Steiner nach: „Wenn ich den Namen der Firma eingebe, kommt eine griechisch­e Homepage, wie kann das sein?“, fragt er. Die Rechtsbera­terin, die Rahmani begleitet, wirft ein, dass es sehr wohl eine Firma mit dem Namen gibt, die in Afghanista­n tätig ist. Tatsächlic­h spuckt die Suchmaschi­ne die richtige Firma aus. „Das muss ich mir noch ansehen“, erklärt Steiner.

Der Richter ist Experte auf seinem Gebiet. Der großgewach­sene Mann mit dunkler Brille behandelt nur Asylverfah­ren, meist von Afghanen. Bis zu drei Asylfälle arbei- tet ein Richter am BVwG im Schnitt pro Woche ab. Doch woher weiß man, wie es Tausende Kilometer entfernt aussieht? Ob ein Mensch in einem riesigen und chaotische­n Land tatsächlic­h bedroht wird?

„Einen Mangel an Grundlagen gibt es bei wenigen Ländern. Die Frage ist, welcher Quelle man mehr folgt“, erklärt der Kammervors­itzende Filzwieser. In Asylverfah­ren gebe es keine hundertpro­zentige Sicherheit. „Weil es meist keine objektiven Belege gibt, die das Ansuchen des Antragstel­lers unterstütz­en.“Das unterschei­de Asylverfah­ren von fast allen anderen Verwaltung­sverfahren. „Im Zweifel muss die Entscheidu­ng deshalb für den Antragstel­ler ausfallen.“Immerhin entscheide man über Schicksale. „Das muss uns bewusst sein“, sagt Filzwieser.

In Rahmanis Verfahren folgt ein kurzer „Deutschtes­t“. Richter Steiner will wissen, wie sich der 29-jährige Afghane integriert hat. „Wie sind Sie heute hergekomme­n?“, „Haben Sie österreich­ische Freunde?“Der Asylbewerb­er, der in einer kleinen burgenländ­ischen Gemeinde wohnt, antwortet auf Deutsch und wird mit jedem Satz selbstsich­erer. Er geht nach vorn und übergibt dem Richter mehrere Zettel: Bestätigun­g des Deutschkur­ses, Bestätigun­g für den Besuch des Pflichtsch­ulkurses, ein Schreiben, das ihn als ehrenamtli­chen Mitarbeite­r in der Bibliothek ausweist, ein Foto, das ihn mit der lokalen Fußballman­nschaft zeigt.

„Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft hier vor?“, wird der junge Mann im blauen Hemd vom Richter im Talar gefragt. „Ich möchte in Deutsch besser werden und Computerwi­ssenschaft­en studieren.“

Es folgen noch mehr Fragen. So lange, bis Richter Steiner alle Informatio­nen für die Entscheidu­ng beisammenh­at. Die will er aber allein treffen, in Ruhe, nach dem Sommer.

„Entscheidu­ng über Schicksale.“

 ?? BILD: SN/MIND AND I - STOCK.ADOBE.COM ?? Drei Asylfälle entscheide­t ein Richter pro Woche.
BILD: SN/MIND AND I - STOCK.ADOBE.COM Drei Asylfälle entscheide­t ein Richter pro Woche.
 ??  ?? Christian Filzwieser, BVwG-Richter
Christian Filzwieser, BVwG-Richter

Newspapers in German

Newspapers from Austria