Von der Angst lässt sich etwas lernen
Wer sich hilflos fühlt, bekommt Angst. Und die führt zu Zorn und Rache samt fehleranfälligen Kurzschlüssen. Das kann gefährlich werden.
SALZBURG. Die Angst als Wurzel von Zorn und Gewalt nahm die USamerikanische Philosophin Martha C. Nussbaum bei den SchauspielRecherchen der Salzburger Festspiele deshalb aufs Korn, weil immer mehr Politiker die Angst instrumentalisieren oder aus Zorn spontan agieren. Zudem kommt die Reaktion auf Angst, Chaos und Zerstörung in drei Produktionen der Salzburger Festspiele vor: „Penthesilea“basiert auf Rachefeldzügen, „Die Perser“erörtern Schmach und Zorn nach einer Niederlage, „Die Bassariden“handeln von einem neuen Gott, der Terror und Wut in eine zivilisierte Stadt bringt.
Im griechischen Drama wird der Umgang mit Angst auf eine neue Stufe gehoben, auf der Demokratie und Rechtsstaat möglich werden. Am Ende der Orestie gründe Athene eine Institution, in der die Blutrache durch Recht und Gericht abgelöst werde, erläutert Martha C. Nussbaum. Dies sei aber nur mit einer zweiten Neuerung möglich: der Veränderung im Wesen der Furien. Zu Beginn des Dramas seien diese als abscheulich beschrieben, sie erbrächen Blutklumpen und gäben Tierlaute von sich. Ihr zügelloser Zorn bewirke Elend und Zerstörung. Doch am Übergang zur Demokratie bringe Athene sie dazu, ihre Brutalität aufzugeben und „ein neues Gefühlsspektrum“anzunehmen: Wohlwollen statt Rache.
Trotz dieser rund 2500 Jahre alten Erkenntnis sind wir vor dem Furor des Zorns nicht gefeit. Denn das Muster, auf Angst mit Zorn und aggressiver Rache zu reagieren, ist uns in die Wiege gelegt. Ein neugeborener Mensch sei zornfrei, erläutert Martha Nussbaum. Doch werde Zorn eine der frühesten erlernten Emotionen: Mangle es an Essen, Wärme oder Windeln, bleibe nur empörtes Schreien. Da beginnt der Trugschluss: Der Machtlose sucht einen Schuldigen und Vergeltung. Anders gesagt: Wer mir nicht hilft, ist böse. Säuglinge reagierten schon früh mit Freude, wenn eine von zwei Puppen Prügel bekomme, erläutert Martha Nussbaum. „Ich nenne das ,innere Furien‘, die wir alle in uns tragen.“
Sie erwähnt noch zwei Quellen der Angst: den Tod, sodass Angst mit dem Alter wachse, und die Liebe. „Die Liebe bewahren heißt die Angst aushalten“, sagte die Philosophin, die ihr jüngstes Buch „Monarchie der Angst: ein Philosoph betrachtet unsere politische Krise“heuer publiziert hat. Zudem gibt es so etwas wie gerechten Zorn: Der entsteht, wenn Schaden mit Unrecht gepaart ist. Dieser Zorn ist prinzipiell gut, weil er Kraft gibt, gegen Unrecht aufzustehen.
Wie heutige Demokratien habe auch das antike Griechenland ein Zornproblem gehabt, sagt Martha Nussbaum. Schon das erste Wort der Ilias sei „Zorn“. Aus Machtlosigkeit und Angst würden damals wie heute andere Gruppen, Ausländer oder Frauen falsch bezichtigt. Auch dieses Wegschieben von Schuld wird uns seit früher Kindheit eingebläut – etwa in „Rotkäppchen“und „Hänsel und Gretel“: Die Kinder hätten Angst, weil sich die Eltern nicht kümmerten, weil sie allein unterwegs seien, stellt Nussbaum fest. Statt die Ursache zu suchen, würden eine alte Frau und ein Wolf zum „Bösen“erklärt.
Zorn neige zu drei Kurzschlüssen, warnt die Philosophin. Fehler anderer würden überbewertet, der eigene Status werde ebenfalls überschätzt und vor allem: die Vergeltung, also den tatsächlichen oder vermeintlichen Schuldigen mit Schmerz, Leid oder Tod zu bestrafen. Dies helfe nichts, um die Ursachen zu beseitigen. Doch „keine andere Leidenschaft hat so wie der Zorn das Elend unserer Mitmenschen zum Ziel“, warnt Martha Nussbaum. Dieser „rohe Wunsch einer Heimzahlung“soll Nussbaum zufolge mittels Einsicht unterdrückt werden. Sonst werde der Zorn „zum Gift der Demokratie“. Anders gesagt: Um Demokratie zu ermöglichen, ist Angst zu vermindern. Und von Zorn solle zwar das Gefühl der Empörung bleiben, aber „ohne Revanche zu wollen“, empfiehlt Martha Nussbaum. „Zorn braucht sorgfältige Kontrolle.“
Die Angst, dem römischen Philosophen Lukrez zufolge die Ursache allen Zorns, ist weiterhin ein Thema in Salzburg: Bis Sonntag widmen die Salzburger Hochschulwochen die Vorlesungen dem Generalthema „Angst?“
„Jeder politische Zorn ist ein Produkt der Angst.“