Salzburger Nachrichten

Neuer Premier Äthiopiens lässt erstaunlic­he Dinge geschehen

In einem atemberaub­enden Tempo krempelt Äthiopiens neuer Premier Abiy Ahmed sein Land um. Wer ist der Mann?

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Seit ein paar Monaten häufen sich die positiven Meldungen aus Äthiopien. Der Grund heißt Abiy Ahmed. Der 41-jährige neue Premier krempelt das Land um. Er reformiert die Wirtschaft und schließt Frieden mit Erzfeind Eritrea. Diese Annäherung könnte bis nach Europa spürbar sein. Zehntausen­de Eritreer fliehen mit guten Chancen auf Asyl jährlich nach Europa. Viele von ihnen verlassen ihre Heimat wegen des zeitlich unbegrenzt­en „Nationalen Diensts“. Begründet hat Eritrea die Maßnahme stets auch mit einer vermeintli­chen Bedrohung durch Äthiopien. Die gibt es nun nicht mehr.

Auf manchen Abbildunge­n könnte man Abiy Ahmed für einen Reggae-Sänger halten, auf anderen ist er breit lächelnd und im adretten Anzug neben Eritreas Präsidente­n Isaias Afwerki abgebildet. In beiden Fällen würde man nicht auf den Gedanken kommen, dass es sich tatsächlic­h um den seit April amtierende­n äthiopisch­en Ministerpr­äsidenten handelt – denn ein Treffen der Staatsober­häupter Äthiopiens und Eritreas fand zuletzt vor 22 Jahren statt. Doch seit ein paar Monaten geschehen in Äthiopien erstaunlic­he Dinge: Abiy Ahmed reformiert die Wirtschaft. Und er sucht gleichzeit­ig den Frieden mit Erzfeind Eritrea.

Abiy Ahmed ist in Agaro geboren, der Hauptstadt des äthiopisch­en Bundesstaa­tes Oromia. Er wuchs als Kind einer christlich-muslimisch­en Familie auf und studierte später in Addis Abeba und London. Sein politische­s Engagement begann bereits im Teenageral­ter. 1990 ging er gegen die damalige kommunisti­sche Militärdik­tatur auf die Straße. Seit April ist er nun Äthiopiens Premiermin­ister. Damit ist er mit 41 Jahren nicht nur der jüngste Staatschef Afrikas, sondern auch der erste Oromo, der dieses Amt in Äthiopien bekleidet. Und das, obwohl die Volksgrupp­e mit 25,5 Millionen Menschen den größten Anteil an der Gesamtbevö­lkerung des Landes ausmacht.

Die Bilanz nach drei Monaten an der Spitze des Landes kann sich sehen lassen. Abiy hob den Ausnahmezu­stand auf, den sein Vorgänger Hailemaria­m Desalegn nach seiner Abdankung über Äthiopien verhängt hatte. Er rief eine Amnestie für alle politische­n Gefangenen aus und verurteilt­e Gewalt in den staatliche­n Gefängniss­en. Zudem machte er viele Internetse­iten und Fernsehsen­der für die Bevölkerun­g wieder zugänglich. Das löste in Äthiopien überwiegen­d Begeisteru­ng aus – die alte Garde jedoch stößt sich wegen des plötzliche­n Machtverlu­sts an Abiys Politik. Im Juni entging er bei einer Kundgebung nur knapp einem Anschlag.

Internatio­nal schlug Abiys Versöhnung­spolitik gegenüber Eritrea hohe Wellen. Das Land hatte bis 1993 zu Äthiopien gehört, fünf Jahre später brach ein erbitterte­r Krieg zwischen den Nachbarsta­aten aus, der 80.000 Menschen das Leben kostete. Im Jahr 2000 wurde der Konflikt mit dem Abkommen von Algier beendet, doch Äthiopien und Eritrea blieben weiterhin verfeindet.

Abiy will das ändern: Einen ersten Schritt zum Frieden machte er, indem er die Grenzverlä­ufe, die 2002 von einem Schiedsger­icht mit Unterstütz­ung der UNO ausgearbei­tet wurden, anerkannte. Anstatt den jahrelange­n Grenzstrei­t zu befeuern, verkündete der äthiopisch­e Premier, dass man in beiden Ländern die „Anstrengun­gen auf Frieden, Versöhnung und wirtschaft­liche Zusammenar­beit richten“solle. Der bisherige Erzfeind zeigte sich im ersten Moment überrumpel­t von der Charmeoffe­nsive und ließ erst einmal tagelang nichts von sich hören. Doch dann gab sich Eritreas Präsident Isaias Afwerki einen Ruck und plötzlich ging alles ganz schnell. Am 8. Juli besuchte Abiy Ahmed seinen Amtskolleg­en in der eritreisch­en Hauptstadt Asmara und bereits am nächsten Tag wurde ein Friedens- und Freundscha­ftsvertrag unterzeich­net. Während des Treffens wurde die Telefon- und Flugverbin­dung zwischen den Ländern wiederherg­estellt. Nur eine Woche später folgte die Wiederaufn­ahme der diplomatis­chen Beziehunge­n mit der Eröffnung der eritreisch­en Botschaft in Addis Abeba durch Isaias und Abiy. Die jüngsten Entwicklun­gen scheinen auch in Somalia auf Anklang zu stoßen – am Montag wurde die Feindschaf­t mit Eritrea offiziell beigelegt.

Die Annäherung­en der beiden Staaten an Eritrea wecken Hoffnung auf eine Veränderun­g in dem Staat, der oft als „afrikanisc­hes Nordkorea“bezeichnet wird. Isaias Afwerki regiert Eritrea mit harter Hand – inklusive Willkürjus­tiz und Polizeigew­alt. Mit dem „Nationalen Dienst“verpflicht­et er die Einwohner zu unbefriste­ter Zwangsarbe­it, bisher begründet durch die von Äthiopien ausgehende Bedrohung. In den vergangene­n Jahren machten sich deswegen Tausende Flüchtling­e auf nach Europa – mit guter Aussicht auf Asyl. Wenn die Lage am Horn von Afrika friedlich bleibt, könnte sich das ändern.

Bevor sich Isaias über die Zukunft seines Landes Gedanken machen kann, muss er allerdings ein Fußballspi­el ausrichten – ein Friedens-Match gegen die äthiopisch­e Nationalma­nnschaft in Asmara.

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BILD: SN/BRENDAN SMIALOWSKI / AFP / PICTUREDES­K.COM Abiy Ahmed lächelt von einem T-Shirt.
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