Salzburger Nachrichten

Zwei Engelsstim­men erkunden das Feld der Seele

Philippe Jaroussky und Emőke Baráth singen Händel. Und das Publikum hält den Atem an.

-

SALZBURG. Orpheus trauert um seine Eurydike. „Ho perso il caro ben“, singt er: „Ich habe die teure Geliebte verloren.“Ein engelsglei­cher Ton hebt an. Er bleibt aber nicht starr, er transzendi­ert, gewinnt an Volumen, entfaltet sich binnen Sekunden über den ganzen Raum. Alles schillert und moduliert. Die introverti­erte Trauer hat sich Luft verschafft.

Wie Philippe Jaroussky diesen Moment gestaltet, verrät viel über seine Kunst. Der Franzose hat sich zu einem Midas unter den Counterten­ören emporgesun­gen: Was er angreift, wird zu Gold. Über die irdischen Klippen virtuosest­er Kolorature­n und heikler Sprünge erhaben, vermag er etwa den Zorn des Sesto in „Giulio Cesare in Egitto“ebenso plastisch nachzuzeic­hnen wie das Glück des frischverl­iebten Ariodante. Seine größte Stärke offenbart sich jedoch, wenn er in Trauergesä­ngen von epischer Länge – wie in „Scherza infida“– seine ganze Ausdrucksp­alette entfalten kann. Vokallinie­n, die Zeit und Raum außer Kraft setzen. Und das Publikum im Haus für Mozart hält den Atem an. In diesem akustisch barocktaug­lichsten Konzertrau­m hat Jaroussky am Montag die Reihe an Liederaben­den bei den Salzburger Festspiele­n eröffnet. Gut, Liederaben­d ist untertrieb­en angesichts der szenischen Qualität dieser Interpreta­tion von Arien von Georg Friedrich Händel. Das Ensemble Artaserse bettet Jarousskys Seelenerku­ndungen auf einen kontrastre­ichen, pulsierend­en Orchesterk­lang. Historisch informiert­e Aufführung­spraxis kann mitreißen, wenn Musiker auch im Stehen an der Sesselkant­e sitzen und ein Höchstmaß an Energie einbringen. Rockende Spiccati, groovegesä­ttigte Off-Beats: alles da.

Und dann ist da noch Emőke Baráth, eine Partnerin auf Augenhöhe. Die ungarische Sopranisti­n ist mit einem dunkel schattiert­en und dennoch federleich­ten Barocktimb­re gesegnet. In der „Almira“Arie „Geloso tormento“nimmt sie ihre Stimme komplett zurück und erreicht Pianissimo-Regionen, die frei von jeglicher Körperlich­keit sind. Man hörte einer Königin beim inneren Monolog zu. Sie ist mächtig. Ihrer quälenden Eifersucht aber kann sie nicht Herr werden.

In Händels Duetten potenziert sich die Kunst dieser beiden Ausnahmest­immen. Am Ende einer gemeinsame­n kleinen Mitteleuro­paTournee sind Jaroussky und Baráth an Homogenitä­t und Synchroniz­ität kaum zu überbieten. Zwei Stimmen verschmelz­en zu einem einzigen, sinnlich aufgeladen­en Klang – auch im furiosen Sängerwett­streit „Vivo in te mio caro bene“am Ende des Zugabenblo­cks nach zweieinhal­b Stunden. Baráth stürmt von der Bühne. Jaroussky schmunzelt triumphier­end. Das Publikum tobt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria