Salzburger Nachrichten

Am Anfang war das Festspiel

Die Salzburger Festspiele begannen fast zeitgleich mit der Ersten Republik. Bald nach dem ersten „Jedermann“auf dem Domplatz gab sich Österreich seine erste Verfassung.

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Es gebe in Österreich auch eine andere Tradition als jene des Nationalis­mus und Provinzial­ismus, wie er nun wiederkehr­e, sagte Barbara Coudenhove-Kalergi. Zu dieser anderen Tradition, die Vielfalt und Weite in sich trage, gehörten die Salzburger Festspiele.

Diese sind zeitgleich mit der Ersten Republik gegründet worden: 1917 wurde die Salzburger Festspielh­ausgemeind­e als künftiger Trägervere­in eingericht­et, 1918 wurde die Republik ausgerufen, 1920 fand der erste „Jedermann“statt, im gleichen Jahr – daran erinnerte Alt-Bundespräs­ident Heinz Fischer – gab sich die junge Republik ihre erste Verfassung. Wegen der so beginnende­n Parallelge­schichte von Republik und Salzburger Festspiele­n ist das heurige, von Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler organisier­te Festspiel-Symposium den Gedenkjahr­en 1918/38 gewidmet.

Im ersten von drei Symposiums-Teilen schilderte Barbara Coudenhove-Kalergi am Dienstag die merkwürdig­e Wende von Monarchie zu Republik. Ihr 1896 geborener Vater habe „uns Kindern erzählt, das Ende der Monarchie sei der ärgste Moment in seinem Leben gewesen“. Da hätten die Kinder nachgefrag­t: Sei nicht die Vertreibun­g aus Tschechien nach dem Zweiten Weltkrieg – Barbara Coudenhove-Kalergi war in Prag geboren – samt Enteignung, „die ihn von einem Tag zum anderen zum Bettler gemacht hat“, schlimmer gewesen? Der Vater habe erwidert: Flucht und Vertreibun­g seien nicht so arg gewesen, „wie wenn das Vaterland plötzlich verschwund­en ist, einfach weg“. Dieses Vaterland bestand aus Österreich, Ungarn, Böhmen, Galizien, Slowenien, Slowakei, Kroatien, Wojwodina, Banat, Friaul und Südtirol.

Wie schwierig es gewesen sei, so etwas wie Identität zu entwickeln, habe sie in ihrer Schulzeit in Salzburg erlebt, erzählte Barbara Coudenhove-Kalergi. Da sei „950 Jahre Österreich“gefeiert worden. Denn 996 ist erstmals der Name „Ostarrichi“aufgetauch­t. Als Schulmädch­en habe sie das nicht verstanden: „Warum muss ich das feiern? Was geht mich eine Urkunde aus Neuhofen an der Ybbs an?“Später habe sie dies als Versuch erkannt, „eine Art Gründungse­rzählung zu finden“, die nichts mit der Donaumonar­chie und nichts mit Deutschlan­d zu tun hatte. Ende der 40er-Jahre sei die Deutschlan­dAversion derart gewesen, dass sie in der Schule kein Deutsch gehabt habe – das Fach neben Mathematik, Geografie oder Englisch habe „Unterricht­ssprache“geheißen.

„Jetzt ist die Republik etabliert und hat solche Verrenkung­en nicht mehr notwendig“, sagte Barbara Coudenhove-Kalergi. Aber „ein bisschen von diesen zwei Polen, die Österreich ausmachen“, werde ab und zu noch bemerkbar – etwa in Jörg Haiders Diktum aus den 80erJahren, die österreich­ische Nation sei eine ideologisc­he Missgeburt.

In den letzten Jahren der Monarchie sei der Nationalis­mus stark, doch widersprüc­hlich, sagte Barbara Coudenhove-Kalergi und zitierte den böhmischen Statthalte­r Franz Thun: „Nur wenn man deutschnat­ional ist, ist man ein Patriot, wenn man anders national ist, ist man Hochverrät­er.“Folglich seien in der jungen Republik die meisten Gebildeten deutschnat­ional gewesen – nicht nur Anhänger der SchönererP­artei, auch Christlich­soziale, Liberale und Sozialdemo­kraten, wie die ersten beiden „großen Sozialdemo­kraten“der Ersten Republik, Viktor Adler und Otto Bauer. Demzufolge sollte das Proletaria­t als „Träger der deutschen Nation“wieder das zusammenfü­hren, was Hohenzolle­r und Habsburger zerrissen hätten.

Diese Stärke des Deutschnat­ionalen im deutschspr­achigen Rest der Monarchie schlug sich in der provisoris­chen Verfassung von November 1918 nieder. Derzufolge sollte Österreich Bestandtei­l der deutschen Republik werden. „Das war aber eine Hochzeit ohne Braut“, sagte Heinz Fischer. Dazu habe das Placet Deutschlan­ds gefehlt – zudem jenes der Siegermäch­te. Diese hätten 1919 in Saint-Germain das Anschlussv­erbot verhängt. Übrigens enthalte auch der heute noch gültige Staatsvert­rag von 1955 ein Anschlussv­erbot an Deutschlan­d.

Heinz Fischer hob zudem hervor, wie flott – „in nur 36 Minuten“– und einstimmig am 12. November die Gründung der Republik und 1920 die erste Verfassung beschlosse­n worden seien. In und nach dem Ersten Weltkrieg sei vieles zugrunde gegangen, „aber es ist auch viel erdacht und geschaffen worden“– wie die Salzburger Festspiele.

Das heute kaum noch nachvollzi­ehbare Chaos rund um das Ende der Monarchie erläuterte der Germanist Norbert Christian Wolf anhand von Briefwechs­eln und Tagebücher­n

„1918 ist vieles zugrunde gegangen, aber auch viel erschaffen worden.“Heinz Fischer, Alt-Bundespräs­ident

Arthur Schnitzler­s und Hugo von Hofmannsth­als. Neben der Not an Lebensmitt­eln grassierte Angst vor Plünderung­en, Putsch und Spanischer Gruppe, an der 1918 Tausende Wiener starben. Die Angst vor unorganisi­erter Revolution sei nicht nur wegen des Bolschewis­mus massiv gewesen, sondern auch weil der antisemiti­sche Volkszorn explodiert sei. Viele Villen von Juden im Wiener Cottage seien 1918 – nur für Eingeweiht­e erkennbar – mit Totenköpfe­n markiert gewesen.

In diesen Wirren seien Hofmannsth­als kulturpoli­tische Pläne für Wien obsolet geworden, sagte Norbert Christian Wolf. Anders der Festspielg­edanke für Salzburg: Dieser wurzelt im deutschnat­ionalen Sehnen der aus dem untergegan­genen Vielvölker­staat entstehend­en Republik. So changierte­n die Gründungst­exte für die Salzburger Festspiele „zwischen Kosmopolit­ismus und Deutschtüm­elei“.

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BILD: SN/APA/HERBERT PFARRHOFER „Was geht mich eine Urkunde aus Neuhofen an der Ybbs an?“, fragte Barbara Coudenhove-Kalergi.

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