Salzburger Nachrichten

Verschlüss­elte Botschafte­n gibt es überall

Posthum erscheint ein früher Roman von Roberto Bolaño, in dem die Literatur selbst zum Thema gemacht wird.

- Buch: Roberto Bolaño, „Der Geist der Science-Fiction“, S. Fischer, 2018.

Viel Zeit blieb Roberto Bolaño nicht. 1993 begann er seine Bücher zu publiziere­n, zehn Jahre später starb er 50-jährig. In diesem Zeitraum sind Romane erschienen, die ihn, der in Chile geboren wurde, nach Mexiko emigrierte und später nach Spanien übersiedel­te, zu einem der bedeutends­ten lateinamer­ikanischen Autoren machten. Nach und nach wurden seine Bücher auch in sehr guten Übersetzun­gen auf Deutsch zugänglich.

Nun erscheint also „Der Geist der Science-Fiction“, ein früher Roman, der uns nachgereic­ht wird. Keine Bange, jenen Roberto Bolaño, den wir schätzen gelernt haben, finden wir wieder.

Er ist ein untypische­r Schriftste­ller chilenisch­er Herkunft, weil er mit dem magischen Realismus eines Gabriel García Márquez oder den Erfolgsgar­anten vom Schlage einer Isabel Allende nichts zu schaffen haben will. Als leidenscha­ftlicher Leser steht ihm die europäisch­e Moderne nahe.

Das geheime Zentrum des Romans bildet die Literatur. Die zwei Hauptgesta­lten sind glücklos Schreibend­e in Mexiko-Stadt, niemand würde auf sie wetten, dass sie es je zu einem Bucherfolg brächten. Sie werden Detektive genannt, weil sie dem beunruhige­nden Phänomen auf den Grund gehen wollen, warum es über 600 Literaturz­eitschrift­en und eine Fülle von Literaturw­erkstätten in der Stadt gibt.

Das wird von ihnen aufgenomme­n wie der Akt einer Verschwöru­ng, die aufzudecke­n sie berufen sind. Man sieht, ganz ernst geht es nicht zu bei Bolaño. Die beiden Taugenicht­se leben von der Hand in den Mund in den Tag hinein, einer heißt Jan Schrella alias Roberto Bolaño. Literatur, ein Spiel, das den Verfasser selbst hineinzieh­t in ein Milieu, das dieser jedenfalls aus eigener Anschauung kennt, als er selbst noch der mittellos Erfolglose war.

Jan und Remo lassen sich treiben, von einer Anstrengun­g, sich aus dem Existenzmi­nimum herauszuar­beiten, ist nichts in Sicht. Sie diskutiere­n, treffen sich mit fragwürdig­en Leuten vom gleichen Schlag wie sie und begegnen der Liebe. Nichts Großartige­s also, so etwas liest man bald einmal irgendwo. Bolaño aber betreibt keine Sozialstud­ie des Underdogs, er bleibt bei der Anschauung des Durchwursc­htelns. Er lockt nicht mit dem Glück der Liebe, allzu holprig nimmt sie ihren Lauf. Sie erleben nicht nur Geschichte­n, die erzählensw­ert sind, sie leben die Literatur, die sie gelesen haben, erzählen sie weiter, sodass Einschübe wie ein Schnelldur­chlauf durch fremde Bücher wirken. Jan schreibt Briefe an Science-Fiction-Autoren. Zur Eigenart dieses Romans gehört die Unterbrech­ungskette der Ereignisse. Attacken auf das eigene Normalität­sempfinden kommen von außen, durch zugetragen­e Geschichte­n, die dem Paradoxen Raum geben. „Verschlüss­elte Botschafte­n gibt es (…) zuhauf“, heißt es einmal, und das sieht wie das geheime Programm Bolaños aus.

Das besagt, dass das, was wir für unsere Welt zu nehmen geneigt sind, eine fragwürdig­e Abmachung ist – deshalb der Rückzug ins Privatvers­tändnis, wie es zwei lockere Vögel praktizier­en. Nirgends ein fester Grund, der schwankend­e Boden bietet Halt genug. Roberto Bolaño, der Autor als Anti-Ideologe.

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