Verschlüsselte Botschaften gibt es überall
Posthum erscheint ein früher Roman von Roberto Bolaño, in dem die Literatur selbst zum Thema gemacht wird.
Viel Zeit blieb Roberto Bolaño nicht. 1993 begann er seine Bücher zu publizieren, zehn Jahre später starb er 50-jährig. In diesem Zeitraum sind Romane erschienen, die ihn, der in Chile geboren wurde, nach Mexiko emigrierte und später nach Spanien übersiedelte, zu einem der bedeutendsten lateinamerikanischen Autoren machten. Nach und nach wurden seine Bücher auch in sehr guten Übersetzungen auf Deutsch zugänglich.
Nun erscheint also „Der Geist der Science-Fiction“, ein früher Roman, der uns nachgereicht wird. Keine Bange, jenen Roberto Bolaño, den wir schätzen gelernt haben, finden wir wieder.
Er ist ein untypischer Schriftsteller chilenischer Herkunft, weil er mit dem magischen Realismus eines Gabriel García Márquez oder den Erfolgsgaranten vom Schlage einer Isabel Allende nichts zu schaffen haben will. Als leidenschaftlicher Leser steht ihm die europäische Moderne nahe.
Das geheime Zentrum des Romans bildet die Literatur. Die zwei Hauptgestalten sind glücklos Schreibende in Mexiko-Stadt, niemand würde auf sie wetten, dass sie es je zu einem Bucherfolg brächten. Sie werden Detektive genannt, weil sie dem beunruhigenden Phänomen auf den Grund gehen wollen, warum es über 600 Literaturzeitschriften und eine Fülle von Literaturwerkstätten in der Stadt gibt.
Das wird von ihnen aufgenommen wie der Akt einer Verschwörung, die aufzudecken sie berufen sind. Man sieht, ganz ernst geht es nicht zu bei Bolaño. Die beiden Taugenichtse leben von der Hand in den Mund in den Tag hinein, einer heißt Jan Schrella alias Roberto Bolaño. Literatur, ein Spiel, das den Verfasser selbst hineinzieht in ein Milieu, das dieser jedenfalls aus eigener Anschauung kennt, als er selbst noch der mittellos Erfolglose war.
Jan und Remo lassen sich treiben, von einer Anstrengung, sich aus dem Existenzminimum herauszuarbeiten, ist nichts in Sicht. Sie diskutieren, treffen sich mit fragwürdigen Leuten vom gleichen Schlag wie sie und begegnen der Liebe. Nichts Großartiges also, so etwas liest man bald einmal irgendwo. Bolaño aber betreibt keine Sozialstudie des Underdogs, er bleibt bei der Anschauung des Durchwurschtelns. Er lockt nicht mit dem Glück der Liebe, allzu holprig nimmt sie ihren Lauf. Sie erleben nicht nur Geschichten, die erzählenswert sind, sie leben die Literatur, die sie gelesen haben, erzählen sie weiter, sodass Einschübe wie ein Schnelldurchlauf durch fremde Bücher wirken. Jan schreibt Briefe an Science-Fiction-Autoren. Zur Eigenart dieses Romans gehört die Unterbrechungskette der Ereignisse. Attacken auf das eigene Normalitätsempfinden kommen von außen, durch zugetragene Geschichten, die dem Paradoxen Raum geben. „Verschlüsselte Botschaften gibt es (…) zuhauf“, heißt es einmal, und das sieht wie das geheime Programm Bolaños aus.
Das besagt, dass das, was wir für unsere Welt zu nehmen geneigt sind, eine fragwürdige Abmachung ist – deshalb der Rückzug ins Privatverständnis, wie es zwei lockere Vögel praktizieren. Nirgends ein fester Grund, der schwankende Boden bietet Halt genug. Roberto Bolaño, der Autor als Anti-Ideologe.