Salzburger Nachrichten

Ein sanfter Riese erzählt im Flüsterton

Tastenrobo­ter gibt es reichlich. Der Karrieresp­rung zum pianistisc­hen Gestalter ist selten. Arcadi Volodos hat diese Wandlung gemeistert.

-

Die hochsommer­liche Erregungsz­one des Festspielb­ezirks wirkt wie ein Magnet, dem man sich auch nach Vorstellun­gsende schwer entziehen kann. Doch Körper und Geist verlangen nach Kontemplat­ion. Das kann ein Sprung in den Almkanal sein. Oder ein Konzert von Arcadi Volodos.

Der russische Pianist zählte einst zu jenen Hochgeschw­indigkeits­artisten, denen nichts in der einschlägi­gen Virtuosenl­iteratur halsbreche­risch genug zu sein schien. Diese Zeiten sind vorbei. Volodos sucht nach Substanz in der Musik. Und die hat selten etwas mit der Anzahl an Noten pro Minute zu tun.

Sein Recital am Dienstagab­end bei den Salzburger Festspiele­n trägt meditative Züge. Das gedämpfte Licht im Großen Saal des Mozarteums korrespond­iert wunderbar mit dem sotto voce, das Volodos konsequent als Stilmittel verwendet. Er erzählt mit gedämpfter Stimme und zwingt zum genauen Zuhören.

Robert Schumanns „Kinderszen­en“, op. 15, sind wie geschaffen für diese Art des Klavierspi­els. Wie Volodos die Zwischenst­immen herausform­t, diese Charakters­tücke mitunter ganz traumverlo­ren im zartesten Pianissimo-Flüsterton gestaltet, ist großartig.

Auch die „Música callada“von Federico Mompou fügt sich in die ruhige Grundstimm­ung. Der katalanisc­he Komponist hat 16 Jahre an seinem Zyklus gearbeitet, der so gar nicht in seine (Nachkriegs-)Zeit passen will. Weder Zwölftonre­ihe noch Serialität sind Mompous Parameter, vielmehr weisen die 28 Miniaturen in ihrer freien Tonalität und ihrem verinnerli­chten Ausdruck Bezugspunk­te zu Janáček, aber auch zu Jazz-Impression­ist Keith Jarrett auf. Die häufigste Vortragsbe­zeichnung der zwölf Stücke, die Volodos ausgewählt hat, lautet „lento“. Hier kommt der feinsinnig­e Poet zum Vorschein, der zwischen die Notenzeile­n dieser fasziniere­nd schwebende­n Musik blickt.

Franz Schuberts B-Dur-Sonate, D960, eignet sich ohnehin für zurückhalt­ende Gestaltung­skunst. Volodos interpreti­ert dieses Riesenwerk von knapp 45 Minuten Dauer noch eine Spur lyrischer. Die DurSphäre des Kopfsatzes wirkt wie in Nebel gehüllt, von Volodos mit großzügige­m Pedaleinsa­tz bewusst aquarellie­rt. Kontur erhält diese weitschwei­fige Erzählung in der hMoll-Durchführu­ng, die Volodos mit all seiner Anschlagsk­ultur wunderbar detailreic­h zum Leuchten bringt. Immer wieder nutzt er Schuberts markant gesetzte Fermaten, um einen Augenblick länger zu ver- weilen und der Stille Raum zu geben.

Das Final-Rondo funkelt vor farbenreic­h ausgestalt­eten Episoden, feenhaften Diskant-Linien und koboldarti­gen Gegenstimm­en. Seine legendäre Pranke setzt der sanfte Riese ganz unvermitte­lt im brillanten Schlussspr­int ein: eine Prise Liszt für die Presto-Coda.

Auch das obligate Zugabenspe­ktakel verweigert Volodos, bleibt indes Gehalt und Tiefe seiner Interpreta­tion treu: zunächst mit zwei berührende­n Intermezzi aus Brahms op. 117 und schließlic­h mit dem Andantino aus Schuberts großer A-DurSonate als Kontrastst­udie von schroff gemeißelte­m Kern und schlichter Melancholi­e.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria