Kündigung mit 50, dann folgte die Lehre
Die frühere Vorstandsassistentin Andrea Wieser-Borer ging durch ein tiefes Tal. Mit 52 Jahren ist sie nun bautechnische Zeichnerin.
14 Tage vor ihrem 50. Geburtstag wurde Andrea WieserBorer gekündigt. Nach 23 Jahren bei der Firma Erdal in Hallein, wo sie lange die Assistentin des Generaldirektors beziehungsweise Assistentin eines Geschäftsführers war. Vor zwei Wochen hat sie die Lehre zur bautechnischen Zeichnerin mit 52 Jahren und ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen.
Doch die Zeit von Dezember 2015 bis Juli 2018 war nicht so einfach für Wieser-Borer, wie dies die verkürzt dargestellte Biografie vermuten lässt. Nach der Kündigung sei sie völlig unsicher geworden, erzählt Wieser-Borer, etwa beim Einkaufen, wenn sie auf andere Menschen getroffen ist. Sie, der Profi in Kom- munikation auf allen Ebenen, hatte plötzlich Schwierigkeiten beim Alltagsplausch. „Eine Kündigung schlägt aufs Selbstwertgefühl. Ich ging durch ein tiefes Tal“, sagt sie. Wenn sie heute analysiert, warum, sagt sie, dass Kündigungen immer ein Beigeschmack anhafte, dass der oder die Gekündigte Schuld auf sich geladen hätte.
Nachdem Wieser-Borer ihren heute 35-jährigen Sohn allein großgezogen hatte und 33 Jahre lang keinen Tag arbeitslos gewesen war, empfand sie den Gang zum Arbeitsmarktservice als niederschmetternd. Und nachdem man ihrer 47jährigen Freundin beim AMS mitgeteilt hatte, sie sei unvermittelbar, hatte sie wenig Hoffnung. Doch Wieser-Borer hatte Glück mit ihrer AMS-Beraterin, die selbst eine technische Ausbildung gemacht hat. Sie hat Wieser-Borer bei ihrer Idee, völlig neu anzufangen, unterstützt und sie zur Servicestelle „Frau und Arbeit“geschickt. Da Wieser-Borer vor zwölf Jahren selbst ein Haus gebaut und gezeichnet und privat berufsbegleitend schon mehrere Ausbildungen in diese Richtung an der Fachhochschule Kuchl und der HTL in Hallein gemacht hat, wurde schnell klar, wohin die Reise gehen sollte. In Richtung bautechnische Zeichnerin. Doch wer nimmt einen Lehrling mit 50?
Die frühere Generaldirektorassistentin fuhr von einem Baumeister zum anderen, bis sie in den „Salzburger Nachrichten“die JobAnnonce der Baumeister Frank GmbH in Grödig las. Die suchten einen bautechnischen Zeichner beziehungsweise eine Zeichnerin. Firmenchef Johannes Frank (37) erzählt, er wollte gar keinen Lehrling aufnehmen. Aber in seinem kleinen Unternehmen komme es darauf an, dass jeder alles mache, und er habe gesehen, dass Wieser-Borer eine Person ist, die eigenständig arbeiten und perfekt organisieren kann. So habe er sie als Lehrling plus einen technischen Zeichner aufgenommen. „Frau Wieser war sehr motiviert und hat zur Bewerbung viele Unterlagen und Arbeiten mitgebracht, da sie sich privat bereits mit dem Fachgebiet auseinandergesetzt hat.“Das Argument, Ältere seien teurer, lässt Frank nicht gelten. Erstens würden Betriebe, die Ältere aufnehmen, gefördert, und außerdem erspare er sich mit billigeren Arbeitnehmern, die nicht so gewissenhaft und nicht so mit Eifer bei der Sache seien, sicher nichts. Frank hat deshalb auch einen Polier mit über 60 angestellt. Und er sucht für sein wachsendes Kleinunternehmen schon wieder Personal. Diesmal einen Maurer-Lehrling.
Wieser-Borer rät anderen in ähnlichen Situationen, wie sie es erlebt hat: „Wenn man das macht, was Freude macht, dann soll man das tun.“Sie selbst sei stolz auf sich, was sie nun geschafft habe. Bei ihrem vorigen Arbeitgeber hatte sie übrigens „sehr gern gearbeitet. Ich hätte nie gekündigt. Doch meine Biografie schreibt sich durch die Kündigung heute spannender.“Zur Kündigung Wieser-Borers bei Erdal kam es, da im Zuge des Wirkens eines neuen, jungen Mitarbeiters in leitender Funktion mehrere Ältere (siehe Zahlen zur Arbeitslosigkeit im Kasten anbei) und Behinderte gekündigt wurden. Dass es sie selbst erwischt hat, habe sie erstaunt, vor allem das Wie, sagt sie. Es habe gedauert, bis sie realisiert habe, dass diese Tür zugegangen ist. „Und dann weiß man, dass man noch bis 62,5 arbeiten muss.“
In der Berufsschule ist es WieserBorer auch mit den jungen Leuten gut gegangen. „Natürlich bin ich ihnen mit meiner ständigen Fragerei auf die Nerven gegangen“, sagt sie lachend. Und die Jungen hätten sich manches auch schneller gemerkt, aber das habe sie durch Durchhaltevermögen wettgemacht. Dass nur sie und ein HTL-Abgänger die Lehre mit Auszeichnung abgeschlossen haben, freut sie. „Das habe ich schon von mir erwartet.“Ihr Mann ist nun jedenfalls froh, dass der Esstisch nach eineinhalb Jahren frei von Lernunterlagen ist. Jetzt peilt die 52-Jährige in guter Absprache mit ihrem Arbeitgeber die Selbstständigkeit an, „um meinen Rhythmus leben zu können“. Denn beim Zeichnen vergisst sie oft die Zeit und arbeitet bis tief in die Nacht hinein. Und sie ist dankbar: „Für die vielen Chancen, die wir in Österreich haben.“
„Eifer und selbstständige Arbeit zählen.“Johannes Frank, Baumeister