Geheimem Glück auf der Spur
Anselm Glück malt im Stillen. Die Idee, seine Bilder könnten eine Art geheime Mission erfüllen, gefällt ihm sehr gut.
Anselm Glück malt im Stillen. Im Interview findet er die Idee, seine Bilder könnten eine Art geheime Mission erfüllen, sehr gut.
SALZBURG. Ein Ruhiger ist Anselm Glück; einer, der sich Ritualen des sogenannten Kunstbetriebs entzieht. Der 68-Jährige redet wenig. Es sprechen ohnehin seine Bilder, die derzeit in der Salzburger Galerie Peter Frey zu sehen sind. Dort machte er zwei Ausnahmen: Er kam zur Vernissage und gab ein Interview.
SN: Herr Glück, sind Sie denn musikalisch? Gar nicht. Ich kann kein Instrument. Ich kann nicht singen.
SN: Gibt‘s dennoch einen Einfluss der Musik auf Ihre Kunst? Das weiß ich nicht, aber ich höre auch schon seit Jahren ganz wenig Musik. Ich habe das Bedürfnis nicht mehr. Jedenfalls ist es so, dass mich Musik seit einiger Zeit nicht mehr erreicht. Früher kam ich heim und habe mir Kopfhörer aufgesetzt. Das habe ich nicht mehr. Ich gehe heim und zappe durch das Fernsehprogramm und schau ein Fußballspiel.
SN: Aber ein Fan von Frank Zappa sind Sie noch, oder? Er hat mich wirklich begleitet. Alles, was er in seiner Musik erwähnt, was er zitiert, wo es Querverbindungen gibt, habe ich mir besorgt. Dass es mich wirklich beeinflusst, kann ich nicht behaupten.
SN: Zappa war vielseitig, nahm Stilanleihen in Klassik und Popkultur, griff Zeitgeschichte auf, schuf satirische, absurddadaistische Dinge. Sehen Sie da Verwandtschaft? Nun, hin und wieder – aber auch mehr als Spaß für mich selbst – sage ich über manches Bild oder Ausstellungsplakat, es sei „zappaesk“– auch wenn ich keinen direkten Zusammenhang nachweisen kann.
SN: Sie malen also in Stille. Ja, ich male in Stille. Ich lebe in Stille (er kramt in der Tasche) – ich habe immer Ohropax eingesteckt.
SN: Sie arbeiten nach einem geregelten Zeitplan. Wissen Sie dadurch auch, wie lange es dauert, bis ein Bild gelungen ist, bis wann es fertig ist? Das wäre schön. Aber so einfach ist es nicht. Manchmal habe ich zwei, drei Erscheinungen gleich hintereinander. Dann gibt’s Phasen, da probiere ich und probiere und nichts passiert. Manchmal gehe ich mit großer Begeisterung heim und freue mich auf den nächsten Tag, um fortzusetzen. Dann komme ich ins Atelier und sehe, wie wenig Freude da angebracht ist.
SN: Ist es dann schwer, weiterzumachen? Da bin ich lieblos, verändere etwas, und es geht weiter.
SN: Sie haben lange schon kein Buch mehr veröffentlicht. Wohin sind die Worte, die Sprache denn verschwunden? Ich schreibe etwa so lange schon nicht mehr, wie ich auch keine Musik mehr höre. Es fällt mir gar nichts ein zu schreiben. Aber erst vor ein paar Tagen im Zug hatte ich das Gefühl, ich könnte wieder etwas anfangen. Das heißt aber noch nichts, dieses flüchtige Gefühl.
SN: Warum? Mein Schreiben und auch mein Malen sind sehr methodenbehaftet, ja durch Methode bedingt. Beim Schreiben hat sich für mich die Methode der Montage totgelaufen. Irgendwann merkte ich, dass ich alles schon einmal gemacht hatte. Ich weiß, wenn ich es so oder so angehe, kenne ich den Ausgang. Da hab ich es gelassen. Jetzt gibt es Hoffnung, dass ich wieder in die Nähe von so etwas kommen kann. Das Malen wird mich jedoch nie verlassen, mehr noch: Es hat sich sehr verstärkt.
SN: Ist die Arbeit an Wörtern gleich wie die beim Malen? Nein, es ist anders. Beides – Schreiben und Malen – ist schwer und bedarf einer Anstrengung. Das Schreiben aber hat psychische Schwierigkeiten, all die kleinen Verklemmungen werden immer verstärkt. Das Malen ist eher befreiend.
SN: Weil Sie sich da eher treiben lassen? Ich bin da auch methodisch. Ich beginne ein Bild, während ich an einem anderen arbeite. Die überflüssige Farbe schmiere ich auf eine zweite, leere Leinwand, fast nebenbei im Vorbeigehen oft. Nach einiger Zeit nehme ich diese beschmierte Leinwand, schau auf die Farben und die Muster, wie ich als Kind auf die Maserung unseres alten Holzkastens geschaut habe. Da habe ich jedes Mal etwa neu entdeckt. Mit den Flächen und den Punkten und den Schlieren auf der Leinwand geht es mir genauso.
SN: Und dann? Wenn ich beim Hinschauen etwas zu erkennen meine, das mich interessiert, beginne ich an dieser Stelle zu arbeiten.
SN: Und es hört nie auf? Da ist immer etwas Interessantes zu finden? Es hört nie auf. Ich muss mir auch nie überlegen, was ich malen könnte, es kommt zu mir.
SN: Haben Sie denn Angst, dieser Blick vergeht einmal? Nein, wenn ich hinschaue, sehe ich immer etwas, es fällt mir eine Geschichte ein oder etwas, das mir zugestoßen ist – und es geht los.
SN: Jedes Bild würde an einem anderen Tag ein anderes Bild sein, weil Ihnen andere Dinge begegnen? Ja, dann ist etwas anderes los.
SN: André Heller schrieb einmal über Sie, Sie seien eine Art Agent, dessen Kunst eine geheime Mission habe. Dieses Bild gefällt mir sehr gut. Geheimnisse sind gut.
SN: Ist es wichtig, dass Betrachterinnen und Betrachter die Geheimnisse kennen? Auf keinen Fall. Jeder soll sehen, was er will und ihm gefällt. Ich vermeide da auch, etwas zu erklären.
SN: Warum denn? Ich habe es schon erlebt, dass manche irritiert sind, weil sie denken, dass meine Sicht auf die Bilder, die richtige ist. Die Konsequenz daraus ist oft, dass sich jemand denkt, dass er etwas falsch sieht. So ist es aber nicht. Es gibt keine falsche Sicht der Dinge. Aber das wollen die Leute dann nicht wahrhaben. Sie denken, dass sie meine Bilder so sehen müssen wie ich. Was erklärt wird, muss aber nicht stimmen – da sind viele zu autoritätshörig.
SN: Sie begannen in den späten 1960er-Jahren. Wie groß war der Einfluss der damaligen gesellschaftlichen Veränderungen? Enorm, denn es hat sich mein ganzes Verhalten radikal verändert. Das lässt sich heute so gar nicht mehr vorstellen. Plötzlich sind zum Beispiel alle per Autostopp losgefahren. Da veränderte sich die Welt und das Gefühl für das Leben.
SN: War das, nennen wir es einmal „neue Freiheit“, bestärkend für Ihre Idee, Künstler zu sein? Ja, es war eine ständige Bekräftigung und Bestärkung, es taten sich dadurch Freiheiten auf. Ich hatte die Kunst, zuerst das Schreiben, dann das Malen, vom ersten Wort, von der ersten Kritzelei weg immer ernst genommen. Ich wusste, dass ich das will.
SN: Wenn Sie mit dieser Erinnerung heute auf die Welt neuer Grenzen schauen, wie sich eine ängstliche Grundstimmung breitmacht – was sehen Sie dann? Wenn ich auf die Welt schaue? Ich bin seit vielen Jahren in einer Phase, in der ich pessimistischer und pessimistischer und resignativer und resignativer werde. Und ich sehe zwei Dinge: Ich bin 68 Jahre alt, ich sehe meinen kommenden und beginnenden Zusammenbruch. Und wenn ich Fernsehen schau oder Zeitung lese, befürchte ich gleichzeitig einen sich nähernden äußeren Zusammenbruch.
SN: Dennoch haben Ihre Bilder aber doch auch etwas Leichtes, etwas Fröhliches. Das war nie mein Ziel. Aber als ich anfing – und da war eine ganz andere Kunst im Zentrum –, hatte ich schon einen Ansatz: Es war eine stillschweigende Maxime, dass meine Bilder wohltun müssen. Mir. Und auch den Betrachtern. Wenn ich das damals gesagt habe, war das verpönt. Das war mit Kitsch gleichgesetzt. Doch das Wohltuende ist nach wie vor wichtig.
SN: Dann bietet der Besuch einer Ausstellung Ihrer Bilder eine Art Rückzugsort. Das würde ich mir wünschen.
SN: Sie gelten als scheu. Diesen Eindruck machen Sie nicht. Sie erleben eine nervöse Verstellung. Aber Sie haben recht, ich bin wohl ein scheuer und vorsichtiger Mensch. Ich rede kaum noch, ich treffe kaum Menschen. Ich male und geh spazieren. Das ist ein Luxus, weil ich mir das jetzt schon seit 20, 25 Jahren leisten kann.
Mir macht das Leben grundsätzlich große Schwierigkeiten. Ich war auch seit Jahren nie bei einer Ausstellungseröffnung. Das setzt mir zu stark zu. Wenn ich dann wieder im Hotelzimmer bin, denke ich: Was habe ich denn geredet, mit wem habe ich mich denn unterhalten? Sobald ich dann aber im Zug sitze, bin ich ein anderer Mensch und freue mich aufs Weitermalen.