„Die Politik kapituliert vor dem Mammon“
„Sound of Music“statt Barockmuseum? „Das ist eine Aufforderung für alle Karikaturisten Österreichs“, sagt der Kunsthändler Herbert Giese.
Im Salzburg Museum wurde am Donnerstagabend doppelt gefeiert: der Ankauf des Gemäldes „Die Kapitulation von München“von Joseph Ignaz Mildorfer und der 100. Geburtstag von Kurt Rossacher. Dessen Sammlung war ab 1973 im Barockmuseum am Mirabellgarten und gehört seit 2012 dem Salzburg Museum. Da der Wiener Kunsthändler Herbert Giese bei der Würdigung Kurt Rossachers nicht mit Kritik sparte, baten ihn die SN um Erläuterungen. SN: Sie sind nach Salzburg gekommen, um den Sammler Kurt Rossacher zu ehren. Warum ist Ihnen das ein Anliegen? Herbert Giese: Zum einen habe ich ihn als hochinteressanten Kunsthistoriker und Kunsthändler, vor allem aber als Kenner erleben dürfen. Seine Kennerschaft war viel mehr als die eines Theoretikers. Er war ein Liebhaber. Er war ein Begeisterter und Begeisternder, der sich über das Nicht-Rationale drübergetraut hat. So jemand ist ganz selten, daher muss man sich daran erinnern.
Zum anderen bin ich traurig, weil das, was er in Salzburg hinterlassen hat, zerbröselt. SN: Was „zerbröselt“? Die Schließung seines Museums im Mirabellgarten. Bis 2012 war es eines dieser kleinen, feinen Museen, die eine Stadt lebens- und liebenswert machen – kein großer Tanker, aber ein wunderbarer Mosaikstein in einem großen Angebot. SN: Wie war er als Sammler? Sein Lieblingsgebiet waren die Inventionen des Barock, die „bozzetti“und „modelli“. Da hat er interessante Studien betrieben und zum Beispiel einen Entwurf von Gian Lorenzo Bernini für den Petersdom entdeckt.
Die barocken Bilder, die heute in unseren Museen hängen, sind prächtig und wirkungsvoll. Aber dem voran geht ja ein Findungsprozess. Die ersten Entwürfe hat er mit Leidenschaft gesammelt. Da sieht man, was einem Kremser Schmidt, Paul Troger, Daniel Gran, einem Franz Anton Maulbertsch oder Joseph Mildorfer als Erstes eingefallen ist und wie sie das gelöst haben. Diese ersten assoziativen Einfälle sind ja das Interessanteste am Schöpfungsprozess. SN: Warum halten Sie es für so schlimm, wenn es dafür kein eigenes Museum gibt? Es ist wie mit Studienrichtungen an Universitäten: Wenn es keine Orchideenstudien mehr gibt, bekommen wir nur mehr Experten für Wirtschaft und Juristerei. Aber die Besonderheiten, die Schönheiten, die Vielfalt gehen verloren. Das Barockmuseum war ein Kleinod, wie ein Schmuckstein. Es ist nicht unbedingt massentauglich gewesen. Trotzdem: Es zuzusperren ist Beispiel einer geistigen Verarmung und einer Ignoranz der Kulturpolitik. SN: Warum? Den kulturellen Reichtum einer Stadt machen nicht nur die massentauglichen Angebote aus. Zur Kultur gehören nicht nur Blockbuster mit den dazugehörigen Ticketverkaufsrekorden, sondern auch die vielen kleinen Kostbarkeiten am Rand. Das Barockmuseum war keine dieser Attraktionen, wo täglich Tausende verschwitzt durchrennen, damit sie zu Hause erzählen können, wo sie gewesen sind. Es war ein Luxus, den sich eine Kulturstadt leisten soll, ja, muss. SN: Aber mit der Neuordnung der Salzburger Museen entstand das Domquartier, dessen Hauptthema das Barock ist. Das Domquartier ist eine unglaublich schöne Initiative. Wunderbar gelungen! Doch deshalb einen einzelnen, funkelnden Schmuckstein woanders wegzunehmen ist falsch. So imponierend das Domquartier ist: Als Ort für die Sammlung Rossacher ist das eine Notlösung – eine Versorgungsaktion für eine nicht verstandene, offenbar auch nicht geliebte kleine Sammlung. Und über „Sound of Music“, den geplanten Ersatz, haben wir ja noch gar nicht geredet! Dass das ins einstige Barockmuseum kommen soll, ist nachgerade ein Treppenwitz! Das ist eigentlich eine Aufforderung für alle Karikaturisten und Kabarettisten Österreichs. SN: Warum denn? Das wäre so, wie wenn wir statt der Albertina ein Mickey-Mouse-Museum machten. Da kapituliert die Museumspolitik vor dem Mammon.
„Sound of Music“ist durchaus wichtig. Salzburg braucht den Tourismus und die Einnahmen daraus; dieser Film ist ein Welterfolg. Aber ein Museum darüber ist doch nur eine Cashcow! Eigentlich müsste man dort auch Hamburger verkaufen, jedenfalls aber Mozartkugeln.
Museumspolitik machen heißt ja, selbst kulturell kreativ sein. Das hat wenig zu tun mit Rationalisieren, Verkaufen und Erzielen von Umsätzen. Aber das traut sich heute keiner mehr laut sagen. SN: Was würden Sie empfehlen? Rossacher hat sein Barockmuseum im Stil der 70er-Jahre konzipiert. Das war ein bisserl eine finstere Höhle, eine Ehrfurcht gebietende Halle. Vermutlich ist das nicht mehr zeitgemäß. Ich empfehle, einen jungen Ausstellungsmacher und einen jungen Kunsthistoriker zu beauftragen, ein neues Barockmuseum zu entwerfen. Wie kann man die Geschichte des österreichischen und des süddeutschen Barock – von dem unser Kulturtourismus ganz gut lebt – erzählen? Wie kann man Menschen für solche Bilder neugierig machen, obwohl nicht „Rubens“auf dem Schild steht und man mehr als 30 Sekunden braucht, um ein wenig zu begreifen? Der Standort am Mirabellgarten ist wunderbar. Dort ein Barockmuseum zu machen ist und bleibt eine geniale Idee. SN: Was würde Kurt Rossacher zur heutigen Situation sagen? Bei der Vorstellung, sein Barockmuseum wird zum „Sound of-Music“Museum? Da kriegt er einen Herzinfarkt oder er hebt seinen Stock, mit dem er so oft und gern gefuchtelt hat, und drischt auf alles ein. Nein, er würde das nicht begreifen.
„Zur Kultur gehören kleine Kostbarkeiten.“