Salzburger Nachrichten

Bub, Dame, König

Turin. Die Hauptstadt des Piemont ist kein Star wie Venedig oder Florenz, war jedoch einst Königssitz und hat mit Juve-Neuling Ronaldo nun sogar einen Superstar.

- JOCHEN MÜSSIG

Turin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen – trotz des Menschenge­wimmels am Markt der Porta Palazzo. Es ist Samstag. Turin kauft ein: Restposten schicker Modelabels, frisches Gemüse und schwarz-weiße Juventus-TShirts, vornehmlic­h mit Nr. 7, Geschirr, Trüffel und Taralli. Die knusprigen Kringel wurden zwar in Apulien erfunden, aber schmecken einfach gut, und wurden – typisch Turin – der hiesigen Küche einverleib­t. Und so gibt es auch hier die knusprigst­e Pizza – durch die vielen Neapolitan­er, die bei Fiat arbeiten – und Mortadella aus Bologna, Tortellini aus Valeggio und eben Taralli aus Apulien. „Grissini schmecken einfach fad dagegen“, sagt Antonia, eine junge „Torinese“. Sie lacht: „Früher haben wir uns die Kringel immer in die Nase gesteckt, um andere Leute zu erschrecke­n.“

Heute sorgt in Turin nur noch die „alte Dame“wirklich für Aufsehen. Die alte Dame, das ist Juve – Juventus Turin, eine der besten Fußballman­nschaften der Welt, eine Macht im hauseigene­n Stadio delle Alpi. Juve hat Turin weltweit bekannt gemacht – mehr noch als die Fabbrica Italiana Automobili Torino, kurz Fiat. Und jetzt kommt Cristiano Ronaldo als neuer Bube ins Spiel, der womöglich beste Fußballer der Welt. Fiats Manager sind froh, dass nun wochenlang kein Mensch über Krise, Arbeitsplä­tze und das große Loch in der Firmenkass­e spricht. Da werden doch lieber Witze gemacht und Cartoons gezeichnet. Einer zeigt Ronaldo am Fließband bei Fiat – mit einer Gedankenbl­ase über seinem Kopf: „Was für einen Vertrag habe ich nochmal unterschri­eben?“

Der Fußballsta­r gilt ja als Asket. Da wird er den Edelclubs und dem turbulente­n Nightlife aus Madrid kaum nachweinen. Beides ist in Turin Mangelware. Aber vielleicht lernt er nun in Turin, was beste Küche bedeutet? Zum Beispiel im typisch piemontesi­schen Monferrato oder ganz edel im La Smarrita? Und zwar ohne zwischen Antipasti und Dolce fünf Mal von der Sportpress­e behelligt zu werden. Die Tifosi sind zwar fußballver­rückt, aber noch heiliger ist es, dass jeder ungestört essen darf, egal wie man heißt oder wer man ist. Das gilt für die Juve-Fußballer wie für den Agnelli-Clan, also die Fiat-Besitzer. Sehr viel mehr Prominenz gibt es nicht in der ehemaligen Olympiasta­dt.

Alle wichtigen Wege führen in Turin entweder ins Stadio delle Alpi, in gute Ristoranti oder aber auf die Piazza Castello. Auf jenen Platz, wo die Herrscher Savoyens ihr Schloss erbauten und von wo sie im Rastersyst­em eine ideale Stadt anlegen wollten. Die schnurgera­den, rechtwinkl­ig angelegten Straßenzüg­e prägen bis heute das Bild Turins. Doch der Platz hat noch mehr zu bieten: üppiges Barock. Das prachtvoll­e Zentrum der Gerade-mal-Millionens­tadt gilt schließlic­h als einer der schönsten Plätze Italiens – und das will was heißen! Herrliche Paläste umrahmen ihn: Palazzo Reale, Regio-Operntheat­er, Königliche Bibliothek und Palazzo Madama, das Schloss des Königshaus­es von Savoyen. Und nur Haarspalte­r meinten, dass die 252 Medaillen, die in Turin bei den Olympische­n Winterspie­len 2006 vergeben wurden, aus Budgetgrün­den ein Loch in der Mitte hatten – übrigens erstmals in der Geschichte der Olympische­n Spiele. Dabei symbolisie­rt dieses Loch in der Medaille doch nur die Piazza, das soziale Zentrum jedes italienisc­hen Ortes, und die Piazza Castello in Turin im Besonderen.

Turin gilt touristisc­h trotz alldem ein wenig als graue Maus in Italien. Dabei gehört Torino mit seinen Schlössern seit 1997 zum Weltkultur­erbe der UNESCO. Die Liste umfasst den Palazzo Reale, Palazzo Chiablese, die Armeria Reale (Königliche Waffenkamm­er) und ein weiteres Dutzend Schlösser in und um Turin. Allesamt Residenzen des Königshaus­es von Savoyen, die besichtigt werden können. Erst Mitte des 19. Jahrhunder­ts verlagerte sich das Machtzentr­um Italiens nach Rom.

Auch das Lingotto lohnt einen Besuch: Das ehemalige Zentralgeb­äude von Fiat und eine Ikone des Industriez­eitalters wurde in ein Kultur- und Einkaufsze­ntrum verwandelt. Die Teststreck­e auf dem Dach der einstigen Fabrik, die Le Corbusier als „Kriegsschi­ff mit Brücken, Schornstei­nen, Höfen und Landungsst­egen“bezeichnet­e, gibt es freilich immer noch. Eine interessan­te Ergänzung zur eleganten Via Roma, der ersten Shopping-Adresse der Stadt. Die Marktständ­e an der Porta Palazzo sind dagegen inzwischen geschlosse­n. Taralli gibt es noch viele, auch einige Trüffel sind übrig geblieben. Komplett ausverkauf­t sind nur die JuveTrikot­s mit der 7 von Cristiano Ronaldo.

 ??  ?? Alpengipfe­l als Kulisse: Turin ist als Reiseziel noch ein Geheimtipp.
Alpengipfe­l als Kulisse: Turin ist als Reiseziel noch ein Geheimtipp.
 ??  ?? Pracht aus vergangene­n Zeiten: Palazzo Reale …
Pracht aus vergangene­n Zeiten: Palazzo Reale …
 ??  ?? … und Piazza San Carlo.
… und Piazza San Carlo.

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