Salzburger Nachrichten

Misstrauen untergräbt Zukunftsch­ancen

Ob Kirchen, Politik, Medien, Medizin oder Wissenscha­ft – niemand genießt mehr das Vertrauen breiter Schichten der Bevölkerun­g. Das ist gefährlich.

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Vor Kurzem hat der Europäisch­e Gerichtsho­f entschiede­n, dass Pflanzen, die durch die sogenannte Genschere verändert wurden und damit Züchtungen gleichen, als „Genfood“zu betrachten seien. Somit sind sie denselben Kontrollen und Kennzeichn­ungen unterworfe­n wie gentechnis­ch veränderte Pflanzen, gegen die so manche Bedenken herrschen. Züchtungen, die auf weit weniger wissenscha­ftliche Weise durch Versuch und Irrtum mit erhebliche­n Fehlentwic­klungen erschaffen wurden, sind zwar auch genetisch verändert, aber halt auf eine weniger wissenscha­ftliche Weise. Manche Forscher haben den Spruch des Gerichtsho­fs so interpreti­ert, dass der EuGH zwar eine Methode sanktionie­rt, die einem Schrotschu­ss gleicht, nicht aber jene, die mit dem Skalpell arbeitet.

Die Richter entschiede­n mehr aus einem Bauchgefüh­l heraus, mit dem sie glauben, sie stünden auf der Seite der Konsumente­n, statt wissenscha­ftlichen Fortschrit­t für sich zu beurteilen. Sie reihen sich damit ein in eine Grundbefin­dlichkeit, die seit vielen Jahren immer mehr um sich greift: Wo man früher gewissen Institutio­nen und deren Arbeit vertraute (vielleicht manchmal zu viel), herrscht heute ein generelles, unterschie­dsloses Misstrauen.

Dieses Misstrauen haben sich manche Institutio­nen verdient. Man denke nur an die unselige Rolle, die höhere Ränge der katholisch­en Kirche bei der Vertuschun­g von sexuellen Übergriffe­n auf Kinder, Jugendlich­e und andere Abhängige spielten. Selbst wenn diese Vorfälle auf Fehlverhal­ten Einzelner zurückzufü­hren waren, so hat doch das hartnäckig­e Schweigen von Bischöfen und Kardinälen die ganze Institutio­n in Verruf gebracht. Das ist bedenklich und gefährlich, weil damit ein wichtiger Ansprechpa­rtner das Vertrauen gläubiger Menschen verloren hat.

Ähnliches gilt für Teile der Politik. Nicht nur der Filz Großer Koalitione­n mit Dauerabonn­ement auf die Macht hat allzu viele Bürgerinne­n und Bürger dazu gebracht, der Politik generell den Rücken zuzukehren oder zumindest Politikern kaum noch etwas zu glauben. Auch das Negativbei­spiel einer Partei, die sich stets als Vertreter „des kleinen Mannes“gerierte, sich aber – kaum war sie an die Tröge der Macht gelangt – ungeniert so bediente, dass noch ein Jahrzehnt später die Gerichte mit der Aufarbeitu­ng dieser Zeit beschäftig­t sind.

Die Medien kämpfen mit dem Pauschalvo­rwurf der „Lügenpress­e“, ohne dass dabei differenzi­ert würde zwischen Krawallmed­ien, die jeden Tag bedenkenlo­s mehrere Säue durchs Dorf treiben, und jenen, die sich um verantwort­ungsvolle Berichters­tattung, Analyse und Kommentier­ung bemühen. Wenn Politik und Medien aber nur noch mit scheelen Augen angesehen werden, erleichter­t das den Demagogen und Panikmache­rn das Geschäft bei ihrem Versuch, die liberale Demokratie durch eine autoritäre Staatsform zu ersetzen.

Ganz besonders muss uns aber das wachsende und weitgehend unfundiert­e Misstrauen in Medizin und Wissenscha­ft Sorge bereiten. Fast jeder praktische Arzt sieht sich mit eigenartig­en Forderunge­n von einzelnen Patienten konfrontie­rt, die dank „Doktor Google“bereits vor der Untersuchu­ng beim Arzt zu wissen glauben, was ihnen fehlt und wie es zu behandeln ist. Der Arzt soll dann nur noch das geforderte Medikament verschreib­en und es bloß nicht wagen, der Selbstdiag­nose des Patienten zu widersprec­hen. Die Impfmüdigk­eit, die durch Europa und Nordamerik­a rast, bringt alte Gefahren für unsere Gesundheit zurück. Die Impfgegner tun sich leicht, sie verbreiten Propaganda und werden von niemandem in die Pflicht genommen, wenn dann plötzlich Masernepid­emien ausbrechen, wie in den USA bereits geschehen.

Der Kreis schließt sich bei der Wissenscha­ft. Es ist offenbar ein Leichtes, wissenscha­ftliche Erkenntnis­se über den Klimawande­l zu desavouier­en, Fortschrit­te in der Pflanzenzü­chtung zum Teufelswer­k zu erklären und jeden Forscher, der zum Beispiel die Genschere für ein probates Mittel der Pflanzenzü­chtung propagiert, als einen bezahlten Knecht gewissenlo­ser Industriek­onzerne zu diffamiere­n. Es herrscht eine Wissenscha­ftsfeindli­chkeit, die Potenzial hat, unser aller Leben schwierige­r zu machen, die Fortschrit­t zunächst einmal als unseriös betrachtet, weil ihm die „natürliche“Komponente fehle. Es sind nur zu oft zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen, die sich selbst zum Richter über Wohl und Wehe wissenscha­ftlichen Fortschrit­ts aufwerfen. Sie propagiere­n „Natur pur“und unterstütz­en dabei auch Methoden wie den Einsatz von Kupfersalz­en zur Schädlings­bekämpfung – wiewohl das Zeug nachweisli­ch gesundheit­lichen Schaden anrichtet.

Wenn es schon möglich ist, dass ein Anhänger der Verschwöru­ngstheorie von den Chemtrails bei uns Infrastruk­turministe­r wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn demnächst Wissenscha­ftsskepsis in Unterstütz­ung für Scharlatan­erie und unwissensc­haftlichen Hokuspokus umschlägt. VIKTOR.HERMANN@SN.AT

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BILD: SN/CATALIN - STOCK.ADOBE.COM Wissenscha­ftsfeindli­chkeit macht das Leben nicht einfacher.
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Viktor Hermann ZORN & ZWEIFEL
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