Misstrauen untergräbt Zukunftschancen
Ob Kirchen, Politik, Medien, Medizin oder Wissenschaft – niemand genießt mehr das Vertrauen breiter Schichten der Bevölkerung. Das ist gefährlich.
Vor Kurzem hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Pflanzen, die durch die sogenannte Genschere verändert wurden und damit Züchtungen gleichen, als „Genfood“zu betrachten seien. Somit sind sie denselben Kontrollen und Kennzeichnungen unterworfen wie gentechnisch veränderte Pflanzen, gegen die so manche Bedenken herrschen. Züchtungen, die auf weit weniger wissenschaftliche Weise durch Versuch und Irrtum mit erheblichen Fehlentwicklungen erschaffen wurden, sind zwar auch genetisch verändert, aber halt auf eine weniger wissenschaftliche Weise. Manche Forscher haben den Spruch des Gerichtshofs so interpretiert, dass der EuGH zwar eine Methode sanktioniert, die einem Schrotschuss gleicht, nicht aber jene, die mit dem Skalpell arbeitet.
Die Richter entschieden mehr aus einem Bauchgefühl heraus, mit dem sie glauben, sie stünden auf der Seite der Konsumenten, statt wissenschaftlichen Fortschritt für sich zu beurteilen. Sie reihen sich damit ein in eine Grundbefindlichkeit, die seit vielen Jahren immer mehr um sich greift: Wo man früher gewissen Institutionen und deren Arbeit vertraute (vielleicht manchmal zu viel), herrscht heute ein generelles, unterschiedsloses Misstrauen.
Dieses Misstrauen haben sich manche Institutionen verdient. Man denke nur an die unselige Rolle, die höhere Ränge der katholischen Kirche bei der Vertuschung von sexuellen Übergriffen auf Kinder, Jugendliche und andere Abhängige spielten. Selbst wenn diese Vorfälle auf Fehlverhalten Einzelner zurückzuführen waren, so hat doch das hartnäckige Schweigen von Bischöfen und Kardinälen die ganze Institution in Verruf gebracht. Das ist bedenklich und gefährlich, weil damit ein wichtiger Ansprechpartner das Vertrauen gläubiger Menschen verloren hat.
Ähnliches gilt für Teile der Politik. Nicht nur der Filz Großer Koalitionen mit Dauerabonnement auf die Macht hat allzu viele Bürgerinnen und Bürger dazu gebracht, der Politik generell den Rücken zuzukehren oder zumindest Politikern kaum noch etwas zu glauben. Auch das Negativbeispiel einer Partei, die sich stets als Vertreter „des kleinen Mannes“gerierte, sich aber – kaum war sie an die Tröge der Macht gelangt – ungeniert so bediente, dass noch ein Jahrzehnt später die Gerichte mit der Aufarbeitung dieser Zeit beschäftigt sind.
Die Medien kämpfen mit dem Pauschalvorwurf der „Lügenpresse“, ohne dass dabei differenziert würde zwischen Krawallmedien, die jeden Tag bedenkenlos mehrere Säue durchs Dorf treiben, und jenen, die sich um verantwortungsvolle Berichterstattung, Analyse und Kommentierung bemühen. Wenn Politik und Medien aber nur noch mit scheelen Augen angesehen werden, erleichtert das den Demagogen und Panikmachern das Geschäft bei ihrem Versuch, die liberale Demokratie durch eine autoritäre Staatsform zu ersetzen.
Ganz besonders muss uns aber das wachsende und weitgehend unfundierte Misstrauen in Medizin und Wissenschaft Sorge bereiten. Fast jeder praktische Arzt sieht sich mit eigenartigen Forderungen von einzelnen Patienten konfrontiert, die dank „Doktor Google“bereits vor der Untersuchung beim Arzt zu wissen glauben, was ihnen fehlt und wie es zu behandeln ist. Der Arzt soll dann nur noch das geforderte Medikament verschreiben und es bloß nicht wagen, der Selbstdiagnose des Patienten zu widersprechen. Die Impfmüdigkeit, die durch Europa und Nordamerika rast, bringt alte Gefahren für unsere Gesundheit zurück. Die Impfgegner tun sich leicht, sie verbreiten Propaganda und werden von niemandem in die Pflicht genommen, wenn dann plötzlich Masernepidemien ausbrechen, wie in den USA bereits geschehen.
Der Kreis schließt sich bei der Wissenschaft. Es ist offenbar ein Leichtes, wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel zu desavouieren, Fortschritte in der Pflanzenzüchtung zum Teufelswerk zu erklären und jeden Forscher, der zum Beispiel die Genschere für ein probates Mittel der Pflanzenzüchtung propagiert, als einen bezahlten Knecht gewissenloser Industriekonzerne zu diffamieren. Es herrscht eine Wissenschaftsfeindlichkeit, die Potenzial hat, unser aller Leben schwieriger zu machen, die Fortschritt zunächst einmal als unseriös betrachtet, weil ihm die „natürliche“Komponente fehle. Es sind nur zu oft zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich selbst zum Richter über Wohl und Wehe wissenschaftlichen Fortschritts aufwerfen. Sie propagieren „Natur pur“und unterstützen dabei auch Methoden wie den Einsatz von Kupfersalzen zur Schädlingsbekämpfung – wiewohl das Zeug nachweislich gesundheitlichen Schaden anrichtet.
Wenn es schon möglich ist, dass ein Anhänger der Verschwörungstheorie von den Chemtrails bei uns Infrastrukturminister wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn demnächst Wissenschaftsskepsis in Unterstützung für Scharlatanerie und unwissenschaftlichen Hokuspokus umschlägt. VIKTOR.HERMANN@SN.AT