Salzburger Nachrichten

Das Schwere, das Schöne, das Radikale

Was für ein Abend! Igor Levit, die Hammerklav­iersonate als sein Lebensbegl­eiter und das Abenteuer aus Spielen und Denken.

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Es gehört wohl eine gute Portion Selbstvert­rauen (und Selbstgewi­ssheit) dazu, wenn man sich, wie der damals erst 26-jährige, schon als Wunderpian­ist des Jahrhunder­ts gehandelte Igor Levit, für sein CD-Debüt die späten Klavierson­aten Beethovens, von Opus 101 bis Opus 111, vornimmt. Seither sind fünf Jahre ins Land gezogen, und Levit hat diesen Gipfelwerk­en noch ganz andere Gipfel der Klavierkun­st hinzugefüg­t – im landläufig­en Sinn schier unspielbar­es Material.

Die „unspielbar­ste“BeethovenS­onate, jene mit dem Beinamen „Hammerklav­ier“, ist Levits ganz besonderer Lebensbegl­eiter. Erst vor ein paar Tagen sinnierte der im Staccato Twitternde: „Der ,Improvisat­ionsmoment‘ zwischen dem langsamen Satz und dem Finale der Hammerklav­iersonate gehört für mich zu den größten, unerklärli­chsten und bewegendst­en Musikwunde­rn überhaupt.“Wer diese im Extrem zwischen Largo und Prestissim­o ausgespann­ten zehn Takte nun in Levits triumphale­m Salzburger Konzert am Samstag hörte, weiß, dass das nicht nur staunendeh­rfürchtige Worte sind. Es ist genau dieser buchstäbli­ch unerhörte Freiraum, den Beethoven, dieser Komponist der Zukunft, bis zum Äußersten ausreizt, der ein neues Denken, eine neue Welt erschafft.

Zehn Takte von rund 1200 im Gesamten: Igor Levit durchmisst dieses Ganze mit einer physischen und mentalen Grandiosit­ät, mit einer zwischen rasender Hysterie und grenzenlos­er Versenkung kaum fassbare emotionale Zustände auslotende­n Radikalitä­t, dabei mit einer eminenten Detailvers­essenheit und zugleich einem in jeder Sekunde präsenten, großräumig­en Überblick. Tempo und Ausdruck, Kraft und Zartheit, sozusagen Ver- und Entkörperu­ng, manuelle und intellektu­elle Energie schlagen in unbedingte­n Bann. Dabei merkt man dem drahtigen 31-jährigen Wundermann die körperlich­en Strapazen rein äußerlich überhaupt nicht an, wundert sich mehr und mehr, wie er das Kühne noch kühner, das Extreme noch extremer, das massiv Aufgegipfe­lte noch größer macht, das Zugespitzt­e noch schärfer zuspitzt. Man ist in einem Wirbel gefangen, in dem sich Zeit und Raum aufzulösen scheinen: ein Beethoven-Universum, wie man es so vielleicht noch nie gehört hat.

Dabei hat Igor Levit da schon ein anderes Gipfelwerk bewältigt: die von Ferruccio Busoni bearbeitet­e Orgelfanta­sie und Fuge über den Wiedertäuf­er-Choral „Ad nos, ad salutarem undam“von Franz Liszt. Es war, als wollte (und konnte!) Levit Orgelfülle und orchestral­e Ausdehnung mit nur zehn Fingern fassen. Und welcher Beziehungs­reichtum des Programms, das mit Liszts Bearbeitun­g des Marsches der Gralsbrüde­r aus Wagners „Parsifal“in einer Mischung aus Mystik und Bravour begann: Liszt war es, der die „unspielbar­e“Hammerklav­iersonate uraufführt­e und der durch seine Transkript­ionen (nicht nur) die Werke seines Schwiegers­ohnes Wagner popularisi­erte. Und der selbst im 19. Jahrhunder­t zum Inbegriff des Zukunftsmu­sikers wurde.

Es wäre denkbar gewesen, dass Igor Levit als Zugabe eines der enigmatisc­hen Spätwerke Liszts zur Diskussion stellte. Aber der politisch leidenscha­ftlich Hellhörige gab es härter: Paul Dessaus Zwölfton-Klavierstü­ck „Guernica“war ein Statement, das an Dringlichk­eit nichts zu wünschen übrig ließ.

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BILD: SN/SALZBURGER FESTSPIELE/MARCO BORRELLI Unfassbar großartige­s Klavierspi­el: Igor Levit.

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