„Niemand ist größer als das Kunstwerk“
Die Salzburger Festspiele vertrauen ihm seit Jahren die großen Opern an. Heuer ist Franz Welser-Möst Herausragendes gelungen.
Die Salzburger Festspiele vertrauen ihm seit Jahren die großen Opern an. Heuer ist Franz Welser-Möst Herausragendes gelungen. Der österreichische Dirigent hat einen erheblichen Teil zum Erfolg der „Salome“Neuproduktion beigetragen. Im SN-Interview erklärt er, was ihm in seiner Arbeit besonders wichtig ist.
SALZBURG. Franz Welser-Möst schreitet gut gelaunt durch die Hofstallgasse. Der österreichische Dirigent hat einen erheblichen Teil zum Erfolg der „Salome“-Neuproduktion bei den Salzburger Festspielen beigetragen. Im Zusammenspiel mit Regisseur Romeo Castellucci ist ein Gesamtkunstwerk aus Musik und Szene entstanden – mit einer herausragenden Asmik Grigorian in der Titelrolle. SN: Herr Welser-Möst, Kritik und Publikum waren sich selten so einig wie bei dieser „Salome“. Wie fühlen Sie sich? Franz Welser-Möst: Diese Arbeit gemacht zu haben ist eines der größten Erlebnisse in meiner Karriere. Vor eineinhalb Jahren habe ich Asmik Grigorian zum ersten Mal getroffen. Wir haben immer wieder und immer wieder an ihrer Partie gearbeitet. Man muss sich dessen bewusst sein, was das für ein Risiko war. Eine 37-jährige Sängerin, die für diese Partie noch jung ist, die erstmals eine deutschsprachige Rolle singt, und das dann gleich bei den Salzburger Festspielen. Das ist schon außergewöhnlich. SN: Haben Sie schon einmal so lange mit einer Sängerin an einer Rolle gearbeitet? Je älter ich werde – und das war die 79. Premiere in meinem Leben –, desto mehr verlange ich das. Ich habe damals beim „Rosenkavalier“in Salzburg 2014 neun Monate vorher mit Günther Groissböck angefangen, ein halbes Jahr vorher mit Krassimira Stoyanova. Es gibt gewisse Stücke, und da gehören „Rosenkavalier“und „Salome“dazu, da läuft man ja auch gegen die Aufführungsgeschichte an.
Geschwindigkeit ist nur an der Oberfläche möglich. Wenn Sie Tiefgang wollen, dann müssen Sie sich auch die Zeit nehmen, viel Zeit. Ich kritisiere das ganz bewusst hart, dass manche Stars erst fünf Tage vor der Premiere zu den Proben kommen. Das sieht man und hört man dann auch. Oper muss aber ein Gesamtkunstwerk sein. SN: Es gibt namhafte Sänger, die offen sagen, sie bräuchten keine monatelange Probezeit vor Neuinszenierungen. Ich vertrete da halt eine andere Position. Eine Oper ist keine Show berühmter Sänger. Es muss immer um das Stück gehen. Niemand von uns ist größer als das Kunstwerk, in dessen Dienst wir uns stellen müssen.
In Salzburg ist das eine andere Situation. Nehmen wir die „Salome“: Ich war beim Konzeptionsgespräch und von Anfang an bei den szenischen Proben dabei. Auch Mariss Jansons (Dirigent der „Pique Dame“, Anm.) sitzt vom ersten Tag an dabei. SN: Ist das vielleicht auch das Besondere an den Salzburger Festspielen? Schauen Sie, es gibt nicht die Zwänge eines Repertoiretheaters, wo die Sänger noch Rollen in anderen Opern übernehmen. Hier kommt man zusammen. Außerdem gibt es schon diese Vibration, dass man weiß, eine Tür weiter proben die eine andere Oper. Das ist natürlich auch ein Wettbewerb, und das ist gut so. Wettbewerb belebt das Geschäft. Und da entsteht etwas Spezielles. Das müssen Festspiele auch sein. Ich bin da zu 100 Prozent bei Intendant Markus Hinterhäuser, der sagt: Wir wollen kein Startheater, sondern das Kunstwerk ist der Star. Punkt. SN: Die „Salome“ist im Vergleich zum „Rosenkavalier“kompakt. Warum probt man so lange? Es geht nicht immer um die Zeit. Bei der „Salome“geht es wesentlich um die doppelten Böden. Da tun sich mehrere Dimensionen auf. Man schaut sich den Text an, das ist die Oberfläche. Aber die Musik öffnet da unglaubliche Abgründe.
In den musikalischen Proben habe ich mit den Sängern sehr viel über Subtext gesprochen. In der Partitur sind die Figuren komplex. Wir versuchten, jeden einzelnen Charakter zu entwickeln. Das braucht Zeit. Ein kompliziertes Ding wie das „Juden-Quintett“gibt es im ganzen „Rosenkavalier“nicht. Da muss man immer wieder noch einmal feilen und nachschrauben.
Bevor die szenischen Proben losgehen, verlange ich musikalische Proben. Letztendlich soll das ja immer auf einer gemeinsamen Schiene fahren. Das ist ja die Herausforderung bei der Oper, aber auch das wahnsinnig Schöne, wenn’s funktioniert. SN: 2012 haben Sie dem damaligen Intendanten Alexander Pereira für Mozarts Da-Ponte-Trilogie abgesagt. Sechs Jahre später sind sie der prägende Operndirigent in Salzburg. Alles richtig gemacht? Im Nachhinein ist immer jeder g’scheiter. Ich habe den Da-PonteZyklus zurückgelegt, weil eine Bedingung von mir nicht erfüllt worden ist (die Terminwahl war zu dicht, Anm.). Ich rechne das Alexander Pereira hoch an, dass er nicht nachtragend ist. Er rief mich ein Jahr später an und bat mich, statt des erkrankten Zubin Mehta den „Rosenkavalier“zu dirigieren. Ich habe aber nicht geplant, dass ich Strauss dirigieren kann, wenn ich Mozart absage. Es war eine glückliche Fügung. SN: Es hat also eines zum anderen geführt? Na ja, ich habe 2015 den „Fidelio“dirigiert. Dann haben sich die Wiener Philharmoniker für mich ausgesprochen, als es um das Dirigat der „Liebe der Danae“2016 ging. So ergeben sich die Dinge. Und auf einmal ist man „der“Strauss-Dirigent. SN: Ihr Strauss-Repertoire ist noch nicht ausgeschöpft. Gibt es etwas, das Sie reizt? Ja. Je älter ich werde, desto näher komme ich Strauss in seiner geistigen Welt. Es gibt da schon noch die eine oder andere Oper. „Capriccio“etwa habe ich noch nicht dirigiert. SN: Auf was kommt es denn bei Strauss an? Man muss der Versuchung widerstehen, die Kuh zu Tode zu melken – um in der bajuwarisch-deftigen Sprache von Richard Strauss zu bleiben. Man muss verstehen, woher er geistig kommt. Er war ein großer Anhänger der griechischen Antike, der Aufklärung, auch Nietzsches. Das fließt alles mit ein. Und Strauss war jemand, der auf Klarheit Wert gelegt hat. Er wird immer als Allegro-Komponist bezeichnet. Das bedeutet für den Dirigenten, nicht ein Rubato an das andere zu fügen, sondern diese klassische Klarheit in seiner Musik umzusetzen. Und sich nicht auszubreiten, weil’s so schön ist.
Strauss wird als Anführer der Moderne gesehen, weil er sich eben nicht in Schwulst ergangen hat. Er hat vielmehr eine raffinierte Klangsprache in einer sehr modernen Weise, wie man sie vorher nur von den Franzosen gekannt hat, in die deutsche Musik eingebracht. SN: Wenn die Wiener Philharmoniker spielen, dann hört man das womöglich noch ein bisschen besser. Das ist ein Originalklang-Ensemble, wenn’s um Strauss geht. Weil sie diesen süßlichen Tonfall beherrschen, ohne dass es schwülstig wird. Das ist ja ein wichtiger Teil dessen, was Strauss ausmacht. Aber das kommt aus einer tiefen geistigen Quelle der Aufklärung heraus. SN: Kommen wir zum Cleveland Orchestra. Seit 2002 sind Sie Chefdirigent. Der Altersschnitt der Besucher ist markant gesunken. Ein Fünftel ist unter 25 Jahre alt. Wie ist Ihnen das gelungen? Es ist ganz einfach. Der Trick ist: Man muss mit den jungen Menschen so kommunizieren, wie sie untereinander kommunizieren. Wir sind andauernd auf Social Media unterwegs. Wir haben auf Facebook 135.000 Follower. Und die sind vor allem aus dem Raum Cleveland.
„Man darf bei Strauss nicht die Kuh zu Tode melken.“Franz Welser-Möst, Dirigent „Ich bin kein Digital Nerd. Aber mit 20-Jährigen zu reden hält mich jung.“Franz Welser-Möst, Dirigent
SN: Facebook allein kann’s ja nicht sein. Nein. Aber man kriegt die jungen Menschen damit in den Konzertsaal. Zudem ermöglichte ein großes Geldgeschenk, dass junge Menschen unter 20 gratis ins Konzert gehen können. 90 Prozent von denen kommen wieder.
Wir erreichen pro Jahr 60.000 Schüler. Wir dürfen nicht die klassische Musik zur Krise erklären, sondern wir müssen Lösungen finden. Man muss in diesen Dingen mit der Zeit gehen. Die Kunst ist so toll, wie sie schon immer war. Eine „Fünfte“von Beethoven bleibt ein Meisterwerk. Man muss nur den Zugang ändern.
Was ich gelernt habe: Man darf junge Menschen nicht unterfordern. Die hören sich eine „Achte“von Bruckner genauso an wie ein Stück von Pintscher oder Strawinsky. Es muss spannend sein. Für Kinder nur Mozart, wie das früher die Maxime war – das stimmt heute so nicht mehr. SN: Sind Sie selbst ein Digital Nerd? Nein, bin ich nicht. Aber ich finde es spannend, mit jungen Leuten zu reden. Das hält einen selbst jung. SN: In den letzten Tagen haben die Missbrauchsvorwürfe gegen Ihre Kollegen Daniele Gatti und Gustav Kuhn die Schlagzeilen dominiert. Wie sehen Sie das? Worum es wirklich geht, ist der Machtmissbrauch. Wenn ich eine Führungsposition einnehme, besitze ich Macht. Man muss sich Tag für Tag überlegen, was man damit tut.
Als ich 1999 meinen Vertrag in Cleveland unterschrieben hatte, bat mich der Intendant in sein Büro. Er hat mich aufgeklärt, was „Sexual Harassment“, also sexuelle Belästigung, im US-Gesetz bedeutet. Ich war ja neu im amerikanischen System, weil ich zuvor nur in Europa Chefpositionen innehatte. In den USA sind die Gesetze sehr scharf. SN: Auch das Cleveland Orchestra ist betroffen: In einem Artikel in der „Washington Post“werden Konzertmeister William Preucil sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Der Intendant in Cleveland hat ihn sofort nach Erscheinen dieses Artikel suspendiert. Eine unabhängige Kommission untersucht das jetzt. Man muss diese Dinge nüchtern und sachlich analysieren und dann die Schlüsse daraus ziehen. SN: Wie haben Sie persönlich darauf reagiert? Dass ich darüber nicht erfreut bin, ist ja wohl klar. Ich kenne William seit 1989 und habe ihn immer als außergewöhnlichen Musiker geschätzt. Es ist nicht leicht, wenn so etwas auftaucht. Das tut einem weh. Ich finde aber nichts Falsches dran, jemandem, der Fehler gemacht hat, menschliches Mitgefühl zu zeigen. Wir leben in einer sehr empathielosen Zeit. Niemand von uns ist ohne Schattenseiten. Sich jetzt aufs moralische hohe Ross zu schwingen finde ich auch verwerflich.