Saudis dulden keinerlei Kritik
Kanadas Außenministerin löste mit ihrer Forderung nach der Freilassung von Frauenrechtlerinnen in Saudi-Arabien eine diplomatische Krise aus. Menschenrechtlerinnen feiern sie für ihren Mut.
Die Kritik der kanadischen Außenministerin Chrystia Freeland an der saudischen Menschenrechtspolitik war berechtigt. Und sie hat Mohammed bin Salman offenbar tief getroffen. Der von westlichen Geheimdiensten als impulsiv beschriebene saudische Kronprinz wies nicht nur Freelands Kritik als „dreist und eklatant“zurück, er erklärte auch den kanadischen Botschafter in Riad, Dennis Horak, zur unerwünschten Person und verwies ihn des Landes. Seinen eigenen Botschafter berief der Kronprinz aus Ottawa ab und ordnete außerdem das „Einfrieren neuer Geschäfte und Investitionen“mit und in Kanada an.
Damit war es aber nicht genug. In der Nacht zum Dienstag ordnete der dünnhäutige Prinz auch die Einstellung aller Flüge nach Kanada an. Die staatliche Fluggesellschaft Saudia will vom 13. August an alle Flüge von und nach Toronto streichen.
Zudem sollen 7000 saudische Studenten und ihre Familien aus Kanada in die USA und Großbritannien gebracht werden, um dort ihre Studien fortzusetzen. Jeder der Studenten hatte von Riad bisher ein jährliches Stipendium über 75.000 US-Dollar bekommen. Ihre „Abberufung“bezeichnete das kanadische Außenministerium als „eine Schande“.
Ausgelöst wurde der Streit zwischen Saudi-Arabien und Kanada durch die in der letzten Woche erfolgte Verhaftung von zwei weiteren saudischen Frauenrechtlerinnen. Unter ihnen ist mit Samar Badawi die Schwester des seit sechs Jahren inhaftierten Bloggers Raif Badawi, dessen Frau und Kinder seit drei Jahren in Quebec leben. Am 1. Juli erhielt die Familie die kanadische Staatsbürgerschaft.
Die nun festgenommene Samar Badawi kämpft seit Jahren gegen die Unterdrückung von Frauen in Saudi-Arabien, die sie auch am eigenen Leib spürte. Ihr Vater schlug sie, sodass sie 2008 in ein Frauenhaus flüchtete, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete. Später zog die heute 37Jährige zu ihrem Bruder Raif. Als die geschiedene Mutter eines Sohnes ein weiteres Mal heiraten wollte, ihr Vater jedoch nicht zustimmte, verklagte sie ihn – der erste Fall dieser Art vor einem saudischen Gericht. Bei der Gerichtsverhandlung wurde Badawi wegen „Ungehorsams“festgenommen und kam erst mehrere Monate später frei.
Mittlerweile kämpft die 37-Jährige nicht nur gegen das Vormundschaftssystem in Saudi-Arabien, das es Frauen verbietet, ohne Zustimmung eines männlichen Vormunds zu heiraten, zu reisen oder ein Bankkonto zu eröffnen. Sie wendete sich auch gegen das Frauenfahrverbot, das im Juni aufgehoben wurde, und macht sich für das Frauenwahlrecht stark. 2012 zeichnete die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton Badawi mit dem „International Women of Courage Award“aus.
Zu ihrer Festnahme schwiegen die USA nun aber, anders als Kanada. Die dortige Außenministerin Freeland hatte sich bereits am vergangenen Donnerstag für die Freilassung der Aktivistinnen eingesetzt. „Wir bitten die saudi-arabischen Behörden dringend, sie und alle anderen friedlichen Menschenrechtsaktivisten freizulassen“, schrieb sie auf Twitter. Es dauerte drei Tage, bis der Kronprinz auf die „eklatante Einmischung“reagierte.
Saudische Aktivisten haben für die unbändige Wut von „MBS“, wie Mohammed bin Salman von Freund und Feind genannt wird, eine einfache Erklärung: Während sich die USA und die meisten europäischen Staaten zur Pflege ihrer Wirtschaftsbeziehungen mit Kritik an Saudi-Arabien zurückhielten, habe die kanadische Außenministerin endlich einmal Klartext gesprochen und den Kronprinzen damit tief verletzt. Dessen Credo laute: Wer mit Saudi-Arabien gute Geschäfte mache, habe ansonsten zu schweigen. Er dürfe seinem Partner niemals in den Rücken fallen. An diese „ungeschriebene Regel“würden sich die meisten Geschäftspartner Riads auch halten.
Entsprechend euphorisch reagierten arabische Menschenrechtsaktivisten auf Freelands Mut. „Danke, Kanada, für deine deutlichen Worte“, twitterte die inzwischen in Australien lebende saudische Frauenrechtlerin Manal al-Sharif. „Wann werden die Verhaftungen auch von den USA, Großbritannien und der EU angeprangert?“, fragte sie. Die Welt dürfe nicht wegschauen, wenn Riad sein Vorgehen gegen Verteidiger von Menschenrechtlern intensiviere, empörte sich die ausgezeichnete Aktivistin Radhya Almutawakal aus dem Jemen.
Kanadas Außenministerin zeigte sich am Dienstag zwar „besorgt“angesichts der diplomatischen Krise. Gleichzeitig betonte Freeland aber: „Kanada wird sich immer für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen, dazu gehören auch Frauenrechte und die freie Meinungsäußerung auf der gesamten Welt.“
Das offizielle Saudi-Arabien reagierte darauf und auf Wortmeldungen in sozialen Medien zunächst mit wütenden Attacken. Eine regierungsnahe Organisation veröffentlichte auf Twitter eine Collage, die eine schräg auf den CN Tower von Toronto zufliegende Boeing zeigt – mit der Warnung: „Steckt eure Nasen nicht in fremde Angelegenheit.“Die Bildmontage wurde gelöscht, nachdem sie im Netz als „Drohung im 9/11-Stil“interpretiert wurde.
„Kanada wird sich immer für die Menschenrechte einsetzen.“Chrystia Freeland, Außenministerin