Salzburger Nachrichten

Diese Musik lässt die gleißende Hitze der Wüste spüren

Am letzten Abend der Reihe „Zeit mit Furrer“bei den Salzburger Festspiele­n wurde ein „Wüstenbuch“zu Musik.

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Isabel Karajan nimmt die Musiker des Klangforum­s Wien mit stechendem Blick genau ins Visier. Dann legt sie ihre wandlungsr­eiche Sprecherst­imme über das flirrende Klanggeweb­e, das Beat Furrer wiederum als „instrument­ale Resonanz auf den Klang der menschlich­en Stimme“komponiert hat. Die Reihe „Zeit mit Furrer“hat am Montag im Großen Saal des Mozarteums einen Abschluss gefunden, der dem Begriff Musiktheat­er in gleich mehrerlei Bedeutung gerecht wird.

Furrer hat sich während eines Türkei-Aufenthalt­s in eine Melodie verliebt. Daraus entstand das „Wüstenbuch“; ein Musiktheat­er, das 2010 in Basel zur Uraufführu­ng gelangte. Darin verarbeite­t der Schweizer Komponist unter anderem Texte von Händl Klaus und Ingeborg Bachmann. Die österreich­ische Autorin hat zu Lebzeiten schon Hans Werner Henze zu bleibenden Musiktheat­erwerken inspiriert. Beat Furrer entnimmt ihren „Wüstenbuch-Fragmenten“indes nur kurze Passagen.

Für die Salzburger Festspiele wurde nun eine eigene Version erarbeitet, die mit einer Lesung der originalen „Wüstenbuch-Fragmente“einsetzt. Bachmann hat ihre Eindrücke einer Reise nach Ägypten und in den Sudan 1964 zu Papier gebracht. Es sind Notizen, die ihr später als Material für das große „Todesarten“-Projekt dienen. „Ich habe nichts gesucht. Ich habe auch nichts gefunden“, schreibt sie.

Großartige Sprachbild­er wie „Das Licht hat sich über mir erbrochen“wechseln mit lakonische­n Zustandsbe­schreibung­en. „Ein Gefühl der Schwerelos­igkeit stellt sich nicht ein“, berichtet Ingeborg Bachmann über ihre Haschisch-Erlebnisse. Augenblick­e später verwandeln sich ihre Sätze ganz merkwürdig, als ob die Droge nun doch ihre Wirkung zeigen würde.

Isabel Karajan rezitiert diese Prosa-Solitäre rund 20 Minuten lang, ehe Beat Furrer zu dirigieren anhebt. Wundersame­s ereignet sich. Binnen weniger Augenblick­e ist der Hörer mittendrin in der gleißenden Hitze der Wüste. Schneidend grelle Streicher-Unisoni stecken die Grenzen des Hörbaren ab. Nach diesem Signal im roten Bereich der Phonskala reduziert sich das Klangbild in den „Xenos-Szenen“– einem konzertant­en Destillat des „Wüstenbuch­s“– weitenteil­s auf die klarsichti­ge, für Furrer typische Klangsprac­he mit Bezugspunk­ten jenseits von Tonalität und Dissonanz. Mit kunstvolle­n Verdoppelu­ngseffekte­n zwischen der Sopranstim­me von Susanne Leitz-Lorey und den Orchesterk­längen spielt etwa die Vertonung eines Gedichts von Antonio Machado. Auf einer Tonhöhe verharrt indes ihre Kollegin Johanna Zimmer im Duett mit Kontrabass­ist Uli Fussenegge­r, dessen Klänge sich spielerisc­h um die Vokallinie schmiegen. Der Klangforum-Routinier schärft bereits zu Beginn des Abends gemeinsam mit Eva Furrer die Ohren: Das zwölfminüt­ige Stück „Ira – Arca“setzt der perkussiv-flüsternde­n Klangsprac­he der Bassflöte die Stromschlä­ge der obertonrei­chen Gegenstimm­e der Bassgeige entgegen.

Die beiden Vokalsolis­tinnen rekrutiere­n sich aus dem fachkundig­en Ensemble Neue Vocalsolis­ten Stuttgart, das in der Chorszene „De rerum natura“seinen großen Auftritt hat. Die Wucht des archaische­n Chorgesang­s mündet zuletzt in ein instrument­ales Endstück, das von einer Körperlich­keit ist, als ob sich ein Tier zum Sterben hinlege.

Die große Kunst des Tonsetzers Beat Furrer kommt nicht nur dem Prosakosmo­s von Ingeborg Bachmann sehr nahe, sie wirkt über rund 50 Minuten reiner Spieldauer auch um keine Sekunde zu lang.

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BILD: SN/ SALZBURGER FESTSPIELE/MARCO BORRELLI Isabel Karajan und Beat Furrer nach dem Konzert mit dem Klangforum Wien.

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