1980 AKH-Skandal und Politbeben
Wie es zum größten Skandalfall der Zweiten Republik kam und warum die Sache auch heute noch politisch sensibel ist. Ein Kriminalfall wurde zur politischen Affäre, in der das Zerwürfnis von Kreisky und Androsch eine zentrale Rolle spielt.
Es ist der bis dahin größte Skandal der 1980 gerade 35 Jahre alten Zweiten Republik. Im historischen Kurzabriss über 300 Jahre AKH – Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien – wird er zwar nicht erwähnt. Aber bis heute gehen bei der Nennung dieser drei Buchstaben die Emotionen hoch. Nicht nur, weil sich dort gerade Formel-1-Legende Niki Lauda von einer Lungentransplantation erholt.
Vor 38 Jahren beherrscht der AKH-Skandal die Schlagzeilen, für viele Menschen steht er bis heute als Inbegriff für Korruption und Misswirtschaft mit öffentlichen Geldern. Und bei näherer Betrachtung ist die Sache noch komplexer als bisher wahrgenommen, hat viele Aspekte und Dimensionen.
Zunächst verzögert sich der bereits in den 1950er-Jahren beschlossene Neubau des größten Spitals des Landes erheblich, zudem explodieren die Kosten von einer Milliarde auf rund 45 Milliarden Schilling. Im April 1980 deckt der „profil“-Journalist Alfred Worm Unregelmäßigkeiten, Malversationen und Schmiergeldzahlungen bei der Auftragsvergabe an Firmen auf, die am lukrativen Großprojekt beteiligt sein wollten.
Diese Seite der Geschichte wird schon im Jahr darauf abgearbeitet. 1981 sprengt der AKH-Prozess sämtliche Rekorde: Die Akten umfassen 30.000 Seiten in 67 Ordnern, es gibt ebenso viele Beilagen, vier Sachverständige und über 100 geladene Zeugen. Zwölf Personen sind angeklagt, wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Untreue, verbotener Intervention, Beihilfe dazu oder Verstößen gegen das Devisengesetz. Der Hauptangeklagte Adolf Winter, technischer Direktor der Planungsund Errichtungsgesellschaft AKPE, wird zu neun Jahren Haft verdonnert, die später auf acht Jahre gekürzt werden.
Aber das ist noch nicht alles. Neben dem Korruptionsfall entwickelt sich eine weitere Dimension. Die Rolle der – von manchen stets als Interessenkonflikt wahrgenommenen – Steuerberatungskanzlei Consultatio des damaligen Finanzministers Hannes Androsch bei dem Großprojekt wird thematisiert, Gerüchte über angebliche Parteienfinanzierung tauchen auf, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss und eine ehrgeizige Untersuchungsrichterin namens Helene Partik-Pablé sorgen für immer neue Schlagzeilen. So etwa, als sie den amtierenden Präsidenten der Industriellenvereinigung, Fritz Mayer, verhaften lässt. Der Wiener Bürgermeister Leopold Gratz, sein Finanzstadtrat und vor allem Finanzminister Androsch geraten in Generalverdacht.
Einen politischen Konnex hat der Bau ohnehin, denn die Errichtung eines Krankenhauses ist zu jener Zeit ein politisches Projekt. Tatsache ist, dass die Kosten für das Großprojekt je zur Hälfte die Stadt Wien und der Bund tragen. Tatsache ist auch, dass Gratz nach seiner Wahl bei Androsch anklopft, um das sich hinschleppenden Großprojekt in Schwung zu bringen. Dieser hatte zuvor die Errichtung der UNO-City untadelig gemanagt, in kürzerer Bauzeit als geplant, auch die Kosten blieben im Rahmen.
Als Opfer einer Intrige sieht sich Androsch heute nicht, aber „als Zielscheibe, Kreisky wollte mich weghaben“. Überhaupt sieht er die meisten Aussagen zu seiner Rolle beim AKH als „von A bis Z getürkte Geschichte“. Er verweist auf drei Strafprozesse, die rechtskräftig klärten, dass es keine Verstrickungen oder Verwicklungen gegeben habe. Sein Anwalt hält fest, „dass zwischen Androschs Steuerberatungskanzlei (Consultatio) und ,Korruptionisten‘ keinerlei Verbindung bestanden“habe. Solche Aussagen seien „unwahr und falsch“und könnten „kreditschädigend als auch strafrechtlich relevant sein“.
Androsch einstiger Pressesprecher Beppo Mauhart nennt die Causa AKH in seinen Memoiren einen „inszenierten Skandal“. Gleich mehrere Seiten hätten Interesse gehabt, den Kriminalfall zu einem politischen Skandal hochzuspielen, sagt Androsch. „Die ÖVP hatte das Interesse, vom Fall Rabelbauer mit 10 Millionen Schilling abzulenken. Kreisky wollte ablenken von Schwierigkeiten mit der Verstaatlichten und der Finanzierung seines Hauses in Mallorca.“Und (ÖVP-Chef Alois) Mock habe Kreiskys Nachfolge angestrebt. Einig gewesen seien sich alle in dem Wunsch, Androsch loszuwerden. Dazu komme eine Justiz, die sich habe instrumentalisieren lassen, sagt Androsch. U-Richterin Partik-Pablé landete als FPÖ-Mitglied im Nationalrat. Androsch tritt im Dezember zurück.
Im Verlauf des Jahres 1980 beherrscht erst der Kriminalfall AKH, zunehmend die politische Diskussion um die Zukunft von Androsch die Medienlandschaft. Diskutiert werden Fragen wie: Wer wusste wann was? Wie akut die Alarmstimmung im Land wird, zeigt die Einberufung einer Sondersitzung des Parlaments mitten in der Sommerpause. Wenig später, am 29. August, fasst Bundespräsident Rudolf Kirchschläger die Stimmungslage in Worte. Er sagt: „All das, was jetzt die täglichen Nachrichten erfüllt und bis zur vollständigen und absoluten Klarstellung und Offenlegung aller Sachverhalte auch erfüllen muß, kann zu einer heilsamen Kur für unsere Republik und für unser Volk werden“– wenn jeder Einzelne für sich sein Verhalten, seine Gewohnheiten vom Gesichtspunkt der Moral überdenke. Dann fordert er, man müsse mit dem „Trockenlegen der Sümpfe und sauren Wiesen“beginnen.
Die für die damalige Zeit unerhört direkten Worte sind eine Sensation. Der Satz, der bis heute mit dem AKH und Kirchschläger verbunden bleibt, wäre mit Sicherheit „eine Phrase des Jahrzehnts“, sagt der Germanist Rudolf Muhr, der jährlich Wort und Unwort des Jahres ermittelt.
Für den Politologen Anton Pelinka ist die Causa AKH Ausdruck eines Zeitgeistes jener Jahre, „der durch eine abnehmende Kontrollierbarkeit des politischen Geschehens durch die Parteien bestimmt war“. Von Parteien nicht kontrollierte Medien und investigative Journalisten hätten eine entscheidende Rolle gespielt.
Das taten sie auch bei folgenden Skandalen wie Lucona (Mord, Versicherungsbetrug) oder Noricum (illegale Waffenexporte). Während Pelinka zu Zeiten einer Einparteienalleinherrschaft Skandale sowohl in der Ära Kreisky wie der Ära Klaus sieht, betreffe der AKH-Skandal „geradezu paritätisch“beide Großparteien. Gemeinsam beschlossen sie den Neubau. Die politische Lehre? „Macht tendiert zur Korruption.“In einer Demokratie aber gebe es die Freiheit, diese Tendenz in jedem Fall kritisch auszuleuchten.